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Zeit und Geschichte

Wie die angelsächsischen Universitäten von den Linken gekapert wurden

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlMittwoch, 20.03.2019

Niall Ferguson zählt zu den produktivsten Historikern der Gegenwart.  Er ist mit der somalischen Schriftstellerin und Islamkritikerin Ayaan Hirsi Ali verheiratet. Also wahrscheinlich kein praktizierender Rassist. Was er über das geistige Klima und die Machtkämpfe an den angelsächsischen Universitäten sagt, ist nicht neu aber er sagt es drastisch:

In den 1980er Jahren hiess das: Vielfalt an Ideen, Positionen, Zugängen. Heute heisst es: Diversität von Hautfarben, Geschlecht, sexuellen Präferenzen. Die neue Diversität ist das Gegenteil von echter Vielfalt. In ihrem Namen werden all jene diskriminiert, die nicht der gewünschten Weltanschauung entsprechen.
Die Linke agiert Ihrer Ansicht nach also heute so, wie dies das konservative Establishment vor 1968 tat?
Gewiss. Nur – beides ist falsch. Man schafft einen Fehler nicht dadurch aus der Welt, dass man einen zweiten begeht. Das ist kein Fortschritt. ...

Wenn er recht hat, wofür einiges spricht, ist dies die Bankrotterklärung der freien, kritischen Wissenschaft. Und die herrschende Diskussionskultur in vielen Medien zeigt, das gilt nicht nur für die Wissenschaft. Ob es das war, was Gramsci wollte, als er der Linken empfahl, die kulturelle Hegemonie zu erobern?

Wie die angelsächsischen Universitäten von den Linken gekapert wurden

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Kommentare 10
  1. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor mehr als 5 Jahre

    ...ich habe ja keinen eigenen Einblick in amerikanische Universitäten und habe insofern erstmal Grund zuzuhören, was Ferguson sagt. Nun drehen sich ja diese Geschichten und Vorwürfe um den progressiv (oder von mir aus links) motivierten Niedergang der freiheitlichen Kultur an den angelsächischen Unis seit Jahren immer wieder durch meine timelines. Mindestens ab und zu wurde sehr glaubhaft von wirklich bizarren Auswüchsen berichtet. Alles nicht zu unterschätzen, wenn auch das angeblich so berechenbare und unabdingbare Skalieren aller Dynamik auf unsere Systeme ausbleibt aus meiner Sicht.

    Das hier malt vor meinem inneren Auge aber das Bild von einem verbitterten Intellektuellen, der sein Weltbild schwinden sieht. Und einstimmt in den schnappatmenden Chor der angeblich ausgestoßenen Konservativen.
    Was ist aber das Problem, wenn ein Prof für Militärgeschichte (!) ersetzt wird durch eine Professorin für Gender-Forschung?
    Und vielleicht gibt es keine Meritokratie an amerikanischen Unis mehr - aber gab es die zu vor? In der amerikanischen Gesellschaft sicher nicht, so wie jetzt auch nicht und bei uns auch nicht. Das wäre jetzt als Phänomen einer linken Gewaltherrschaft?
    Und der Mob, der in den sozialen Netzwerken andere niederschreit? Vielleicht ist es meine Bubble, aber dem vernehmen nach scheint der ja bei uns einstweilen eher rechter Natur zu sein oder?
    "Den Kanon der toten weissen Männer zu dekonstruieren" klingt für mich jetzt auch eher nach einem interessanten Ansatz. Klar nicht als Zwang, aber als Ansatz...
    Und so zieht sich das durch den ganzen Text.

    Mir scheint die Diskrepanz einfach zu abgrundtief zwischen dieser behaupteten, feindlichen Übernahme durch eine diffuse Linke und der realpolitischen Entwicklung der letzten 30 Jahre. Anders gesagt: falls es eine beherrschende Linke gibt irgendwo, so stellt sie sich beim Herrschen wirklich dämlich an.

    1. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor mehr als 5 Jahre

      ich will ergänzen: klar ist, dass es das Problem "PC-Mob" gibt und das zitierte Beispiel des Google Mitarbeiters James Damore ist ein gutes. Dazu gab es diese erstklassige Einordnung in der NYT, die gut erklärt, was außer dem Mob noch dazu gehört und die außerdem ein Gegenbeweis dafür ist, dass alles so gleichgeschaltet wäre...selbst die NYT ist hier auf der Seite von Damore.
      https://www.nytimes.co...

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      Ich kann leider auch nicht aus eigener Anschauung über den Zustand der amerikanischen Universitäten urteilen. Ferguson selbst ist eigentlich gut im Geschäft und bestimmt nicht ausgestoßen. Das er sich in einem Kulturkampf wähnt, wird deutlich. Das ist allerdings sicher ein beidseitiges Phänomen - wie m.E. die Reaktionen hier andeuten. Ich weiß ebenfalls nicht, ob die Konservativen besonders „Schnappatmen“, das scheint mir eher ein allgemeines Merkmal unserer Zeit zu sein. Übrigens sagt F. selbst, dass es früher auch keine wirkliche Meritokratie gab, nur heute tut man nicht mal mehr so.

  2. John Le
    John Le · vor mehr als 5 Jahre

    Die Konservativen und ihre Opferrolle...
    Wann waren sie oder der Autor zuletzt an einer Universität? In Deutschland ist der RCDS mittlerweile an vielen Universitäten stärkste Studentenkraft, die Wahlen sind ausgeglichen...
    Und haben Sie schon mal Wirtschaftslehre oder Rechtswissenschaften an einer Universität erlebt? Das ist neoliberal und reaktionär. Cambridge, Oxford, Harvard und Co. sind auch nicht "links" unterwandert, wenn man mal überlegt, wie viele "linke" Intellektuelle in den letzten 20 Jahre diese Universitäten verlassen haben. Mir sind keine bekannt. Im Gegenteil: mit dem Scheitern des Kommunismus und der DDR nimmt der Anteil "linker" studentischer Positionen kontinuierlich ab.

    Der Autor mag ein Historiker sein (ich kenne ihn nicht), aber er hat offensichtlich ein anderes Problem, nämlich seine persönliche Meinung und sein Weltbild im 21. Jahrhundert wiederzufinden. Allein schon das er versucht Diversität, Gleichberechtigung und andere liberale Errungenschaften als "links" darzustellen, zeigt doch, dass er sich im Grabenkampf verirrt ist.

    Erzkonservative und Konservative haben ein anderes Problem: sie erhalten immer weniger Fürsprecher und immer mehr Kritiker. Das liegt aber nicht daran, das die Universitäten "links" unterlaufen werden, sondern das immer weniger Menschen konservative Positionen teilen.
    Also nicht das Fürsprechen für linke Positionen, sondern die Kritik an der konservativen Weltanschauung sollte dem Historiker zu denken geben. Fragen Sie doch mal Frau AKK oder andere CDUler, was die von Diversität und Gleichberechtigung halten, von Minderheitenschutz oder Rassismus. Das sind doch lange keine linken Ideen mehr.... Willkommen im 21. Jahrhundert

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      Also erst mal, der Artikel ist nicht von mir. Sie kennen Niall Ferguson nicht? Traurig ......

      Im übrigen polemisiert der Autor nicht gegen Minderheitenschutz und tritt nicht für Rassismus ein, das ist eine böse Unterstellung. Auch versucht er nicht die genannten liberalen Einstellungen als „links“ darzustellen sondern kritisiert deren normativen Mißbrauch im Meinungskampf. Ich glaube, Ihre Kritik geht weitgehend am eigentlichen Inhalt vorbei. Aber Sie bestätigen durchaus den vom Artikel kritisierten Trend.

    2. Clara Westhoff
      Clara Westhoff · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Es gibt viele einflussreiche Historiker, ich finde nicht, dass es "traurig" ist wenn man Ferguson (noch) nicht kennt. Finde ich etwas anmaßend. Was meinst du denn zum letzten Absatz von John Les Kommentar? Der geht am Inhalt nicht vorbei und trifft es eigentlich ganz gut.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Clara Westhoff Ferguson hat nicht gegen Gleichberechtigung, Diversität und nicht pro rassistisch argumentiert. Das war doch gar nicht die Frage. Er hat den Mißbrauch dieser Begriffe an den angloamerikanischen Unis kritisiert. Diese Antwort geht also am Thema vollkommen vorbei. Es ist genau diese moralisierende „Diskussionskultur“, die er kritisiert. Sein Weltbild kennen wir doch gar nicht, solange wie du seine Bücher nicht gelesen hast.

    4. Clara Westhoff
      Clara Westhoff · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Sagt doch auch keiner, dass er gegen Gleichberechtigung und Diversität argumentieren würde ;) Was er sagt ist, dass neue Diversität das Gegenteil von echter Vielfalt sei und das halte ich für sehr problematisch. Und warum ist das hier gerade eine moralisierende Diskussionskultur? Über sein Weltbild hatte ich auch kein Wort verloren, bin etwas verwirrt, wie Du jetzt darauf kommst?

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Clara Westhoff Im (vor)letzten Absatz von John Le steht er (Ferguson) hätte Probleme mit seiner Weltanschauung und dann was Frau AKK von Diversität, Gleichberechtigung etc. halten. Darauf habe ich mich bezogen. Als Antwort auf deine Frage, was ich vom letzten Absatz dieses Kommentares halte.
      Also moralisierend/normativ ist das schon, wenn man den Autor sofort in eine Ecke stellt - die Konservativen und ihre Opferrolle - und dann diese zugeschobene Rolle, das angebliche Weltbild kritisiert und nicht den Artikel. Konservative können natürlich nicht recht haben ....
      Sein Satz zur Diversität bezieht sich auf die intellektuelle Diversität an den Universitäten: „Es gab in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten eine breit geteilte intellektuelle Neugierde, eine echte Vielfalt der Gebiete und Themenzugänge, es fanden richtige Debatten statt, die von Erzkonservativen bis hin zu Marxisten geführt wurden. Man konnte alles sagen, was Hand und Fuss hatte, alle Thesen waren debattierwürdig. “ Und weiter: „In den 1980er Jahren hiess das: Vielfalt an Ideen, Positionen, Zugängen. Heute heisst es: Diversität von Hautfarben, Geschlecht, sexuellen Präferenzen. Die neue Diversität ist das Gegenteil von echter Vielfalt. In ihrem Namen werden all jene diskriminiert, die nicht der gewünschten Weltanschauung entsprechen.“ Also es geht nicht um die Diversität unserer realen Gesellschaft sondern um den Gegenstand, die Methoden der geistigen Auseinandersetzung. Man muß nicht mit Ferguson übereinstimmen. Man sollte aber versuchen zu erkennen was gemeint ist und nicht gleich die Stereotype herausholen.

  3. Clara Westhoff
    Clara Westhoff · vor mehr als 5 Jahre

    Das Interview ist wirklich interessant, obwohl Ferguson an mehreren Stellen doch sehr dramatisch und nach einem Verschwörungstheoretiker klingt. Insbesondere mit dieser Kernaussage tue ich mich schwer: "Die neue Diversität ist das Gegenteil von echter Vielfalt. In ihrem Namen werden all jene diskriminiert, die nicht der gewünschten Weltanschauung entsprechen." - Ist diese neue Weltanschauung nicht viel inklusiver als die alte und damit auch diverser? Kompliment an den Journalisten, der immer wieder anspricht, dass die Aussagen polemisch und unpräzise sind.

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