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Zeit und Geschichte

Wahre Bekenntnisse eines Verschwörungstheoretikers

Leopold Ploner
Lebt am Ammersee, hat also von vornherein einen recht entspannten Blick auf die Welt.

Elektronikingenieur, Marketing, Werbetexter, Verleger, Blogger.

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Leopold PlonerSamstag, 30.05.2020

Der bekennende Verschwörungstheoretiker bin ich. Allerdings nicht mein heutiges Ich, sondern mein Ich von vor gut vierzig Jahren. Natürlich ging es damals nicht um Migration, Impfpflicht oder 5G. Es ging um Imperialismus, Aufrüstung, die RAF, Altnazis etc. Trotzdem erkenne ich in meinem jüngeren Ich viele Grundzüge, mit denen ich auch gut auf eine Pegida-Demo passen würde. Drei Gemeinsamkeiten fallen mir besonders auf.

1. In Wirklichkeit

Mein damaliges Ich glaubte sehr daran, dass die Welt von geheimen Kräften gesteuert wird. Ein fester Glaube, dass die Politik nur ein vorgeschobenes Kasperltheater ist, um die Menschen einzulullen. "In Wirklichkeit" seien es ganz andere Kräfte, die die Richtung bestimmen, nämlich eine Allianz aus Großkapital, Geheimdiensten, Militär und Industrie. Sie zetteln nach Belieben Kriege an, bestimmen, wer Kanzler oder Präsident sein darf, und servieren unbequeme Regierungen eiskalt ab (Allende! Mossadegh!). Bundeskanzler, Minister und Parlamentarier sind nur Marionetten in diesem Spiel.

2. Die Systempresse

Nachdem die heimlichen Machthaber alles kontrollierten, kontrollierten sie natürlich auch die Medien. Ich und viele andere waren überzeugt, dass in Rundfunk und Presse beispielsweise die Vorgänge rund um den deutschen Herbst nur verzerrt und einseitig dargestellt wurden. Wir benutzten ganz naiv den Begriff "Systempresse", ohne uns bewusst zu sein, dass das ein Ausdruck aus dem Jargon der Nationalsozialisten war.

Von dieser Propaganda wollte ich mich nicht verdummen lassen und las dafür regelmäßig "Das Blatt", eine linksautonome Münchner Wochenzeitung, dessen Geschichte ich hier verlinkt habe. Viel wichtiger als Gedrucktes waren aber die Informationen von Freunden und Bekannten. Zum Beispiel wusste jemand aus erster Hand, dass bei einer Demo mehrere Teilnehmer von Polizeiwagen überrollt und schwer verletzt worden waren. In der Systempresse stand natürlich kein Wort darüber, da wurde das alles verschwiegen. Aber der Bekannte am Kneipentisch kannte angeblich eines der Opfer persönlich, und warum sollte er lügen?

3. Gewalt als Notwehr

Das ist für mich die gruseligste Parallele zwischen meinem jüngeren Ich und den heutigen Wutbürgern. Mein Verhältnis zu Gewalt war gelinde gesagt indifferent. Natürlich waren wir prinzipiell alle gegen Gewalt, schließlich wollten wir ja eine bessere, friedlichere Welt. Aber wenn die heimlichen Machthaber und ihre Handlanger vor keiner Gräueltat zurückschreckten, war es da nicht legitim sich zu wehren? "Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht", wurde damals oft zitiert. Auch wenn man selbst keine Gewalt ausübte, war da doch ein gewisses Verständnis und Mitgefühl mit Gewalttätern. Wenn uns die Mächtigen jeden Tag betrogen und an der Nase herumführten, war es dann nicht praktisch Notwehr, einen Repräsentanten dieses Regimes umzubringen?

Natürlich hätte ich selbst niemals eine Bombe gezündet oder einen Menschen erschossen, aber viel Mitleid mit den Opfern wollte sich auch nicht einstellen. Im berühmten Göttinger Mescalero Aufruf wird eine "klammheimliche Freude" über die Ermordung des Generalbundesanwalts Buback geschildert. Das ist schon sehr nahe an den "Absaufen! Absaufen!" Rufen wenn gegen Migranten gehetzt wird.

Wie gesagt, mit diesen drei Grundzügen – dem Glauben an eine geheime Weltmacht, dem Misstrauen gegenüber den etablierten Medien und dem indifferenten Verhältnis zu Gewalt – würde mein jüngeres Ich gut zu vielen Verschwörungstheorien von heute passen.

Wahre Bekenntnisse eines Verschwörungstheoretikers

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Kommentare 4
  1. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor 4 Jahren

    Toller piq...Chapeau!
    Und ja, an mancher Stelle gehe ich für mich selber mit, auch wenn ich mich nicht ganz so reingesteigert habe glaube ich.
    Aber: das gemeine an der Verschwörungstheorie sind heute wie gestern die enthaltenen Spurenelemente von Wahrheit. Ich meine verstanden zu haben, dass Mossadegh eben tatsächlich CIA und FBI zum Opfer gefallen ist. Und ja klar ist ein Teil der Medien tendenziös oder offen parteiisch (siehe Springer und die Transatlantik Beziehungen).
    Ich glaube anlässlich Bubacks Ermordung sagte Erich Fried "es ist nicht gut, wenn ein Mensch so stirbt. Es ist nicht gut, wenn ein Mensch so gelebt hat".
    Anyway - danke für den Arschtritt.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 4 Jahren · bearbeitet vor 4 Jahren

      Hier ein interessanter Wikipedia-Artikel zum Sturz Mossadeghs und der Beteiligung der CIA. Beteiligt waren sie sicher aber wie maßgeblich?
      https://de.wikipedia.o...

      "Im Jahr 2009 hatte Präsident Barack Obama in seiner Rede an die islamische Welt als erster US-Regierungschef öffentlich das eingestanden, was die CIA jahrzehntelang geleugnet hatte: „Mitten im Kalten Krieg spielten die Vereinigten Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch gewählten iranischen Regierung.“[40]

      Nach 60 Jahren hat auch erstmals die CIA selbst ihre Beteiligung an der Operation Ajax öffentlich eingeräumt.[41] Die Aufhebung der Geheimhaltung („declassification“) maßgeblicher Papiere am 19. August 2013 war auf Drängen des unabhängigen National Security Archive an der George Washington University hin geschehen. Es begrüßte die Entscheidung der CIA zur Freigabe der Materialien und äußerte die Auffassung, dass dies auch schon vor vielen Jahren durchaus ohne Gefährdung der nationalen Sicherheit hätte geschehen können. Sein stellvertretender Direktor Malcolm Byrne wies nicht zuletzt darauf hin:

      „Es gibt keine guten Gründe mehr, aus einem derart entscheidenden Abschnitt unserer jüngsten Vergangenheit ein Geheimnis zu machen… Die grundlegenden Fakten sind weithin jedem Schulkind im Iran bekannt. Eine Unterdrückung der Details verzerrt nur die Geschichte und führt zur Mythenbildung auf allen Seiten.[42]“

      Das National Security Archive stellte die CIA-Akten zugleich auch der Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung.[43]

      Ray Takeh bewertet die Aussage Obamas in einem 2014 erschienenen Artikel als “well known … but not well founded. … In reality, the CIA’s impact on the events of 1953 was ultimately insignificant. Regardless of anything the United States did or did not, Mosaddeq was bound to fall and the shah was bound to retain his throne and expand his power” ...."
      https://www.foreignaff...

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 4 Jahren

    Verschwörungstheorien haben natürlich Anziehungskraft. Gerade für uns als wir jung waren...
    Aber ... Man darf nicht aufhören sich zu entwickeln. DA liegt der Unterschied zwischen Ihnen heute und den heutigen pegida-/corona-Demonstranten.

    1. Leopold Ploner
      Leopold Ploner · vor 4 Jahren

      Nun ja, dass sich die eigenen Einstellungen in 40 Jahren ändern, ist nicht ungewöhnlich. 2050 werden sich wahrscheinlich auch viele wundern, warum sie damals bei Pegida mitmarschiert sind.

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