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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Was bedeutet die Wannseekonferenz von 1942 heute?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDonnerstag, 20.01.2022

Am 20. Januar 1942, also vor 80 Jahren, fand die Wannseekonferenz statt.

Der Mord an den europäischen Juden war schon im Gange, aber bei diesem Zusammentreffen in Berlin sind Details der Organisation und die Zusammenarbeit der einzelnen Instanzen geregelt worden. Sie war eine entscheidende Wegmarke bei diesem Menschheitsverbrechen.

Sie war und bleibt ein welthistorisches Ereignis.

Normalerweise sind Fernsehspiele zu Gedenktagen dröge, hier aber kann ich Wolfgang Höbel zustimmen, der im SPIEGEL schrieb:

Matti Geschonnecks »Die Wannseekonferenz« ist ein strenges, finster entschlossenes Meisterwerk.

Der Regisseur verschafft der einzigen weiblichen Figur, einer von Lilli Fichtner dargestellten Sekretärin, nicht mehr Raum als plausibel. Den Männern vor der Kamera gestattet er gerade so viel psychologisch differenzierte Heutigkeit wie nötig. Mit maximaler Konzentration legt er das Prosaische und Grausame eines fast gewöhnlichen Beamtentreffens offen.

In mal gestresster, mal zum Scherzen gelockerter Runde reden seine Protagonisten mit deutscher Gründlichkeit über die technischen Details der Auslöschung von Menschen, als handelte es sich um Baugenehmigungen.

Es gibt kleine Eifersüchteleien unter den großteils nicht besonders unsympathischen Menschen im Raum; auch sind von einem Rechtskundigen mal pathetisch formulierte Einwände zu hören, »weil die Menschen doch Regeln und Normen brauchen«. Doch über das zentrale gemeinsame Anliegen, die, wie es einmal heißt, »vollständige biologische Ausmerzung des Judentums bis zum Ural«, herrscht unter den fleißigen Bürokraten in der Wannseevilla nicht der geringste Meinungsunterschied.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeyer, der sich bekanntlich in Verwaltungsfragen auskennt, hielt zur Filmpremiere eine Rede (hier auf YouTube, hier als offizieller Redetext), in der er das Verstörende des Films so beschreibt:

Matti Geschonnecks Film ist eine in vielen Passagen wortgetreue, vielleicht die genaueste Adaption des Protokolls der Wannseekonferenz.

Was wir sehen und erleben, ist eine reibungslos funktionierende Verwaltungsmaschinerie, Ressortabstimmungen, Vorlagen und Abläufe, die sich – abgesehen vom Inhalt der Besprechung – in nichts von denen unterscheiden, die es auch heute noch in Ministerien und Behörden gibt.

Es ist eben das Gewöhnliche, das Vertraute, das uns anspringt, entsetzt und verunsichert. Was Geschonneck gelingt, ist eine Inszenierung der Banalität des Bösen.

Im Interview erläutert der Regisseur, wie er die Lücken zwischen den spärlichen Überlieferungen fiktional schloss.

Im letzten Jahr gab es eine Auseinandersetzung darüber, wie man über den Mord an den europäischen Juden sprechen solle, ob Vergleiche mit anderen epochalen Verbrechen, wie denen des Kolonialismus, sinnvoll seien.

Zum Jahres- und Gedenktag gab es nun dazu eine Diskussion, die trotz einiger zänkischer Passagen, aufschlussreich ist.

Gregor Papsch diskutiert mit

Prof. Dr. Norbert Frei, Historiker, Universität Jena

Prof. Dr. Sybille Steinbacher, Historikerin, Universität Frankfurt a.M. und Direktorin des Fritz Bauer Instituts

Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Historiker, Universität Hamburg und Leiter der „Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe"

Jürgen Zimmerer fordert darin:

Wir brauchen eine Erweiterung der Erinnerungskultur. Man kann die Singularität der Shoah herausstellen und trotzdem sagen: es gibt Vorläufer auch im Kolonialismus.

Er begründet es mit dem Deutschland der vielen Herkünfte.

Möglicherweise bringt der in seiner spröden Art auch emotional berührende Film von Matti Geschonnek die Wannseekonferenz auch Menschen nahe, die keine lange Geschichte in Deutschland haben.

Gestern & Heute: Was bedeutet die Wannseekonferenz von 1942 heute?

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Kommentare 3
  1. Jürgen Klute
    Jürgen Klute · vor fast 3 Jahre

    @Achim Engelberg: Der Wiener Standard hat zu dem Film eine Kritik veröffentlicht, die ich nachvollziehbar finde. Es geht in keiner Weise um eine Relativierung, sondern es geht um die Frage, wie dieses Protokoll erstellt wurde. Dazu verweist der Autor der Kritik einige Belege. Die machen dann noch einmal deutlich, wie sehr sich die Täter der Ungeheuerlichkeit ihrer Taten bewusst waren. Deshalb finde ich diese Kritik eine sinnvolle Ergänzung zu deinem Post. Hier der Link: https://www.derstandar...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      Danke.

      Ich antworte hier nur kurz. Da es mehrere solcher Stimmen gibt, antworte ich mit einem Piq noch in dieser Woche.

      Es geht hier um das schwierige Verhältnis zwischen Überlieferung - Quellenkritik - Geschichtsschreibung - Fiktion (Film, Drama, Roman).

      Und dazu kommt noch der zeitlich-kulturelle Abstand.

  2. Thilo Exner
    Thilo Exner · vor fast 3 Jahre

    Danke für den Beitrag. Nun werde ich mir den Film doch ansehen. Ich habe die Gedenkstätte vor wenigen Monaten besucht und war beinahe von Gefühlen überwältigt. Ich bin nicht in der Lage, das in Worten auszudrücken, was dort auf mich einstürmte. Da war zum Einen diese schöne Villa in einem idyllischen Garten, zum Anderen spürte man noch die Präsenz dieser erbärmlichen Nazi Gestalten, aufgeplustert durch ihre Uniformen, aufgewertet durch ihre Teilnahme an der Konferenz in solch anspruchsvollem Umfeld. Der Kontrast zwischen den unermesslichen Grausamkeiten, die dort geplant wurden und dem Ort, an dem dies geschah führt schon wieder zu einem Kloß in meinem Hals.

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