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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Momentan lehrt der 67jährige Autor von rund 20 Büchern in Princeton, aber er ist kein reiner Universitätsgelehrter: Er ist auch Aktivist und wirkte u. a. an zwei der Matrix-Filmen mit.
Lange las ich kein so radikales, aber nicht extremistisches Interview. Der Extremist ist ein undifferenzierter Scharfmacher, der Radikale ist ein genauer Unterscheider, der aber als Lösung nur einen grundumstürzenden Wandel für ausreichend hält.
Wie Cornel West begründet, warum der Diktaturliebhaber im Weißen Haus sich wie ein Gangster benimmt, ist stark:
Ein Gangster ist jemand, der glaubt, dass er sich alles erlauben kann, und damit durchkommt. Keine Haftung. Keine Verantwortlichkeit. Er übernimmt selbst keine Verantwortung. Das ist es, was Gangster tun. Und das ist auch der Unterschied zwischen einem Gangster und einem Heuchler. Denn ein Heuchler weiss, dass es Standards gibt, die er nicht erfüllen kann. Es gibt gewisse Dinge, die man tun sollte, die er aber nicht tut. Du siehst hier die Kluft zwischen der Idee und der Realität. Der Gangster hingegen hat keine Standards. Trump wird alles tun, alles sagen, und dabei glauben, dass er damit davonkommt. Das ist: Gangster. Ein neofaschistischer Gangster wiederum ist einer, der die Herrschaft von Big Money befördert, von Militarismus, und der gleichzeitig die Schwächsten und Verletzlichsten der Gesellschaft zu Sündenböcken erklärt, um sie zu terrorisieren, um sie einzuschüchtern, und das alles im Namen der Flagge, im Namen einer gewissen Art von Nationalismus, im Namen einer gewissen Art von billigem Patriotismus: America first! Mit dabei auf dem Fahrersitz: die Wall Street. Ebenfalls mit dabei: das US-Militär. Die imperiale Politik.
Es gibt viele prägnante Stellen für die man über die Links Belege erhält. Cornel West besitzt einen Rund- wie Detailblick.
Landesweit sind es 53 Cent jedes budgetierten Dollars, also mehr als die Hälfte von allem, was in diesem Land budgetiert wird, die zum beziehungsweise durch das Pentagon fliessen. Und die Forderung, der Polizei die Mittel zu streichen, geht Hand in Hand mit der Forderung, dem Pentagon die Mittel zu streichen. Sie geht Hand in Hand mit der Forderung, Wall Street zu regulieren, wo die Gier regelrecht Amok läuft. Die Forderung meint aber nicht eine völlige Demontage der Polizei. Sie bedeutet, über ein neues Konzept öffentlicher Sicherheit nachzudenken.
Freilich, auch Cornel West ist gespalten wie sein Land USA:
- Joe Biden ist das System, my dear brother. Joe Biden ist ein neoliberales Desaster.
- Sie selbst haben inzwischen empfohlen, ihn zu wählen.
- Das zeigt, wo wir gelandet sind: Wir haben die Wahl zwischen einem neofaschistischen Gangster und einem neoliberalen Desaster.
Aber wenn die USA tatsächlich so ein Polizeistaat sind, wie Cornel West zupackend analysiert, hat er da nicht Angst um sein Leben?
Ich lebe mit Todesdrohungen seit 1991. Ich muss damit leben, davon auszugehen, jeden Tag ermordet zu werden, weil ich versuche, die Tradition von Martin Luther King Jr. aufrechtzuerhalten. Das ist meine eigene amerikanische Realität.
Cornel West blickt dabei nicht nur auf die großen USA, sondern er betrachtet auch das kleine Ungarn, wo sich diktatorische Tendenzen zeigen.
Trotz und gerade wegen seiner globalen Sicht weiß er, ohne Hoffnung kann man nichts verändern:
Wir dürfen den Glauben an eine friedliche Transformation nicht verlieren, denn ansonsten sind wir in ernsthaften Schwierigkeiten. Ich bin selbst ein Mann des Blues. Als solcher pflege ich einen vertrauten Umgang mit den Katastrophen, die uns im Leben und überall auf der Welt begleiten. Dissidenten in Gefängnissen. Verfolgung von jüdischen, muslimischen, christlichen Minderheiten. Neofaschisten in Regierungen in den USA, in Ungarn, Brasilien, Indien. Ökologischer Kollaps. Ökonomische Ungleichheit. Nukleare Bedrohungen. Mit all diesem Schrecken trotzdem irgendwie klarzukommen, bedeutet, ein Mann oder eine Frau des Blues zu sein. Es bedeutet, Kummer zu akzeptieren, aber niemals dem Kummer und damit den Katastrophen das Feld zu überlassen.
Ach, und er empfiehlt, sich A Love Supreme von John Coltrane anzuhören und noch einige andere Musik, die ich mag.
Quelle: Daniel Ryser fragt Cornel West Bild: Sebastian Kim www.republik.ch
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allen zur lektüre empfohlen, die jetzt denken, mit der kandidatur von biden/harris wären die US aus dem gröbsten raus, wenn die denn die wahl gewönnen.
Die Unterscheidung, die West zwischen Lügnern und Heuchlern trifft, erinnert mich an eine weitere Unterscheidung, die ich in Bezug auf post-truth-politics gelesen habe und dich ich ziemlich erhellend finde. Sie stammt von dem US-Philosophen Harry Frankfurt. Und zwar ist es der Unterschied zwischen Lügen und Bullshitting. Während der Lügner Respekt vor der Wahrheit hat – er will nur nicht, dass andere sie erfahren – ist dem Bullshitter die Wahrheit einfach egal. Er biegt sich die Welt so zurecht, dass sie zu seinen Ideen und Zielen passt. Trump ist demnach kein Lügner, sondern ein Bullshitter. Wer mehr darüber lesen will: https://theconversatio...