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Volk und Wirtschaft

Kulturen, Wohlstand, Werte in der Globalisierung - eine Annäherung?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlMittwoch, 14.08.2024
Sozialwissenschaftler, Medien und politische Strömungen streiten schon lange darüber, wie sich der kulturelle Wandel in einer sich modernisierenden, reicher werdenden und sich globalen Welt vollzieht. Einige sagten voraus, dass die nationalen Kulturen sich annähern würden, indem sie mit dem Wohlstand etwa die für westliche Demokratien typischen sozialen Werte, oder auch die universellen Menschenrechte, übernehmen. Andere meinten, dass die kulturellen Differenzen und Werteunterschiede bleiben oder sich im Laufe der Zeit sogar vergrößern würden. 

Die ZEIT führt dazu ein Interview mit dem Verhaltensforscher Danila Medwedew, der kürzlich diese Problematik gemeinsam mit Joshua Conrad Jackson in einer Studie analysiert hat. Empirisch beruht diese Analyse auf Daten der World Values Survey, die 1981 zum ersten Mal von einem internationalen Netzwerk von Sozialwissenschaftlern erhoben wurde. Leider ist dieser Artikel (wie so viele der interessantesten Texte) hinter der Bezahlschranke. Die Inhalte findet man aber veröffentlicht bei "Nature" unter dem Titel "Worldwide divergence of values".

Die in den westlichen Demokratien verbreitetste Hypothese ging davon aus, dass technischer Fortschritt und wachsender Wohlstand dazu führen, dass Kulturen sich auf Dauer immer ähnlicher werden und die ganze Welt irgendwann Freiheit und Demokratie nach westlichem Vorbild übernehmen würde.
Die traditionellen Modernisierungstheorien sagten bekanntlich eine Konvergenz der gesellschaftlichen Werte voraus. Inspiriert von den Philosophien von Marx und Hegel gingen die Modernisierungstheoretiker davon aus, dass das Ende des Kalten Krieges und der Aufstieg der Globalisierung die weltweite Ausbreitung einer "universellen Zivilisation" mit liberalen und individualisierenden Werten, die den Vorrang der persönlichen Rechte und Freiheiten betonen, katalysieren würde. Andere vertraten die Ansicht, dass die globale Verbreitung der Industrialisierung die traditionelle Kultur aufbrechen und durch "moderne" Klassenstrukturen und Werte ersetzen würde. Diesen Perspektiven liegt die Annahme einer unilinearen Modernisierung zugrunde: moderne Technologie und Globalisierung sollten dazu führen, dass die Kulturen der Welt immer mehr den demokratischen westlichen Nationen ähneln.
Das bekannteste Gegenmodell vertrat der Politologe Samuel Huntington, der einen "Clash of Civilizations" prophezeite: Kulturelle Unterschiede münden Huntington zufolge unweigerlich in feindselige Konflikte. Er ging nach dem Ende des Kalten Krieges
von einer Verlagerung des Konfliktes zwischen Ideologien, welche die nationalstaatlich verfassten Bündnisse geprägt hatten, zu einem Konflikt zwischen Zivilisationen aus, weil diese bei der Eindämmung der westlichen Dominanz mit ihrer Geschichte, ihren Sprachen, ihren Wertvorstellungen und ihren Religionen die höchsten sinnstiftenden Einheiten geworden seien.

Er sah insbesondere drei aufstrebende Kulturen - jene der Hindu, der Sini und des Islam. Diese würden den Westen als Zivilisation herausfordern, wodurch die Geopolitik multipolar würde. Der Westen

 habe zu lange die fehlgeleitete, arrogante, falsche und gefährliche Auffassung vertreten, die ökonomische Modernisierung führe gleichzeitig zum Durchbruch westlicher Werte. Statt einer Politik der Menschenrechte fordert Huntington eine Geopolitik der Macht, angeführt von den Vereinigten Staaten. Huntington regt zudem die Stärkung der westlichen Identität nach außen und innen an.
Was hat nun die Studie von Medwedew ergeben? Dazu im Interview:
Nun, die Werte und kulturellen Unterschiede in vielen Gesellschaften haben sich auseinanderentwickelt. Das hat uns sehr erstaunt. ….. Wir haben große Unterschiede bei emanzipatorischen Werten zwischen westlichen Ländern und dem Rest der Welt festgestellt, bei Werten wie Autonomie und Selbstverwirklichung oder bei der Akzeptanz von Abtreibung und Homosexualität. Die Akzeptanz von Homosexualität in Ländern wie Australien oder Dänemark ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegen. In vielen nicht westlichen Ländern ist sie niedrig geblieben, die Lücke ist dadurch größer geworden. Bei manchen Werten entwickeln sich die Einstellungen sogar gegensätzlich. …. ich beobachte, dass sich die Menschen in vielen Ländern bewusst vom Westen abgrenzen. Viele muslimische Länder etwa konstruieren ihre nationale Identität in Opposition zum Westen, gerade solche, die eine koloniale Vergangenheit haben. Und es gibt Länder wie Russland, wo Regierungen mehr oder weniger offen sagen: Wir führen Krieg gegen westliche Werte.

Obwohl alle Menschen meist über dieselben psychologischen und kognitiven Grundmechanismen verfügen, rufen unterschiedliche Umweltbedingungen wie Geografie und Klima, u.a. divergierende Herausforderungen in ihren Lebensverhältnissen, Unterschiede in den Kulturen hervor. Aber auch durch gesellschaftliche Veränderungen wie Wohlstandswachstum oder gar Katastrophen, Kriege oder Pandemien verändern sich Kulturen:

Neue Normen entstehen, wenn Menschen glauben, dass andere in der Gesellschaft auf eine bestimmte Verhaltensform Wert legen. In den Sozialwissenschaften nennen wir das intersubjektive Kultur. Normen, Werte und Kultur sind immer miteinander verflochten.

Dabei, wenig überraschend, spielen Wohlstand und Wirtschaftsleistung eine besondere Rolle bei der Evolution von Werteeinstellungen. So schreiben die Autoren im "Nature"-Artikel:

In unserer Regressionsanalyse war das Pro-Kopf-BIP die einzige Variable, die die Unterscheidungskraft von Werten signifikant vorhersagte (siehe Tabelle 2), …, wobei der positive Koeffizient darauf hindeutet, dass Länder mit höherem Einkommen unterscheidungskräftigere Werte haben als Länder mit niedrigerem Einkommen. Keine anderen Parameter erreichten diese Signifikanz (ps> 0,05). In unserer ergänzenden Tabelle 8 zeigen wir, dass andere geopolitische Variablen nicht signifikant mit der Wertunterscheidungskraft verbunden sind, selbst wenn wir das BIP pro Kopf aus dem Modell entfernen. Weitere Analysen ergaben, dass der Zusammenhang zwischen dem Pro-Kopf-BIP und der Wertdifferenzierung je nach Weltregion variiert. 

Es zeigt sich also, so Medwedew im Interview:

Länder mit einem ähnlichen Bruttoinlandsprodukt tendieren zu ähnlichen Wertevorstellungen, wohlhabende Länder ähneln anderen wohlhabenden Ländern. Viele Länder in Asien sind die Ausnahme: Japan, Taiwan, Südkorea, Singapur und Hongkong sind wohlhabender geworden, aber nicht so progressiv wie westliche Länder, die einen ähnlichen Wohlstandzuwachs verzeichnet haben. Das Wirtschaftswachstum in Singapur hat nicht dazu geführt, dass das Land heute kulturell die Vereinigten Staaten imitiert. Das zeigt, wie komplex die Auswirkungen von Globalisierung und Lokalisierung sind.

Diese Forschungen zeigen auch, dass es nicht zielführend ist, vom Verhalten und dem Selbstverständnis westlicher Menschen Aussagen über die menschliche Psychologie im Allgemeinen zu treffen. Wir Menschen aus westlichen, gebildeten, industrialisierten, reichen und demokratischen Ländern (WEIRD) entwickelten psychologische Eigenschaften, moralische Einstellungen, die sich vom Rest der Welt durchaus unterscheiden. Die Studienautoren haben empirisch nachgewiesen, dass sich dieses Problem in den letzten vierzig Jahren verschärft hat. Wir WEIRD-Subjekte sind gegenüber dem großen Rest der Welt noch abgehobener, noch "eigenartiger" geworden, zumindest in unseren sozialen und moralischen Werten.

Wichtig und bedenkenswert erscheint mir daher Medwedew's Schluss im Interview der ZEIT:

Als die Vereinten Nationen 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedeten, haben wir gesehen, wie unglaublich schwierig es war, sich überhaupt darauf zu einigen, was Menschenrechte sind. Bis heute rührt die Kritik an der Idee von Menschenrechten daher, dass eine Handvoll Länder über ihre Definition bestimmt haben. Ich fände es schön, wenn alle universelle Menschenrechte anerkennen würden. Bloß glauben wir im Westen, dass das geschehen sollte, indem wir die anderen davon überzeugen – sei es auf die sanfte oder weniger sanfte Art. Die anderen müssen nur ein bisschen wohlhabender werden und warten, dann merken sie schon, wie wundervoll unser System ist, denken wir. Diese Art von imperialer Mentalität sollten wir infrage stellen, unabhängig davon, ob wir an universelle Menschenrechte glauben. Ich persönlich halte es für gut, normative Gräben zu überbrücken. Der Weg dahin könnte allerdings anders aussehen, als wir es uns im Westen wünschen.
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