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Volk und Wirtschaft

Der Kolonialismus - ein Verlustgeschäft?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlDonnerstag, 08.08.2024

Auf die Frage, inwiefern Kolonialismus und Sklaverei einerseits die rasante Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft sowie des westlichen Wohlstandes erst ermöglicht haben und diese mit ihrer "Profitgier" gleichzeitig ursächlich für diese war, hat sich, wie die FAZ richtig bemerkt, die einfache Antwort weitgehend durchgesetzt: 

Laut einem einflussreichen linken Narrativ stellt die Sklaverei quasi die Ursünde des Kapitalismus dar. Erst die Profite daraus hätten das nötige Kapital für die industrielle Revolution geschaffen. So argumentierte der Historiker Eric Williams, erster Präsident von Trinidad und Tobago nach der Unabhängigkeit, in seiner Schrift „Capitalism and Slavery“ (1944). Vor ihm hatte das schon Marx in „Das Kapital“ (1867) behauptet. Die Lohnarbeit in Europa sei verkappte Sklaverei, der Kapitalismus habe aber als „Sockel“ die Sklaverei in der Neuen Welt gebraucht. … Die Gruppe „Black Lives Matter UK“ sagt explizit, um Imperialismus und weiße Vorherrschaft zu brechen, müsse man den Kapitalismus überwinden.

Zunehmend melden jedoch empirische Untersuchungen Bedenken gegenüber dieser simplen Erzählung an. So der Ökonom Kristian Niemietz vom Institute of Economic Affairs (IEA) in London in seiner öffentlich zugänglichen und sehr lesenswerten StudieDarin verweist der Autor auf die Pauschalisierung o.g. Marx-Williams-These:

Die Marx-Williams-These wurde in den 1960er Jahren erweitert und popularisiert, als die Theorien des "Maoismus und des Dritte-Welt-Gedankens" in der studentischen Protestbewegung in Mode kamen. Enttäuscht von der heimischen Arbeiterklasse, die wenig Neigung zeigte, ihre "historische Mission" zum Sturz des Kapitalismus zu erfüllen, suchten die radikalen Studenten anderswo nach einem Ersatzproletariat und fanden es in der Bauernschaft der Entwicklungsländer.

Diese popularisierte Version ging verallgemeinert über die ursprüngliche These hinaus. Während sich Eric Williams 1944

im engeren Sinne auf den transatlantischen Sklavenhandel und die Zuckerplantagen in der Karibik konzentriert hatte, wird dies in der popularisierten Version auf den "westlichen Imperialismus" im Allgemeinen ausgeweitet. Aber Williams behauptete weder, dass die Sklaverei der einzige Faktor war, noch dass die Industrielle Revolution ohne sie nicht möglich gewesen wäre. Doch die popularisierte Version vereinfachte dies zu der Aussage: "Der Reichtum des Westens beruht auf Sklaverei und Kolonialismus".

Die Frage, ob dieser ursprüngliche westliche Imperialismus wirtschaftlich sinnvoll ist oder war, ist auch viel älter als die Schriften von Eric Williams oder Karl Marx. Sie ist ungefähr so alt wie dieser Imperialismus selbst. Es waren die frühen Gegner des Imperialismus im 1800 Jh., die sagten, dass er einer Kosten-Nutzen-Analyse nicht standhalten würde. So schrieb Adam Smith (lt. der Studie) im Jahr 1776:

"Der vorgebliche Zweck war es, die Manufakturen zu fördern und den Handel Großbritanniens zu steigern. Aber seine wirkliche Wirkung bestand darin, die Profitrate des Handels zu erhöhen und unsere Kaufleute in die Lage zu versetzen, einen größeren Teil ihres Kapitals in einen Handelszweig zu stecken, dessen Erträge geringer und weiter weg sind als die der meisten anderen Handelszweige, als sie es sonst getan hätten [...] Unter dem gegenwärtigen System der Verwaltung zieht Großbritannien daher nichts als Verlust aus der Herrschaft, die es über seine Kolonien ausübt."
Er hielt den Vorschlag, "dass Großbritannien freiwillig alle Autorität über seine Kolonien aufgeben und ihnen überlassen sollte, ihre eigenen Magistrate zu wählen, ihre eigenen Gesetze zu erlassen und Frieden und Krieg zu machen, wie sie es für richtig halten", aus verschiedenen Gründen für politisch unrealistisch, behauptete aber:
"Wenn es jedoch angenommen würde, wäre Großbritannien nicht nur sofort von den gesamten jährlichen Kosten der Friedenssicherung in den Kolonien befreit, sondern könnte mit ihnen einen solchen Handelsvertrag abschließen, der ihm einen freien Handel sichern würde, der für die große Masse des Volkes vorteilhafter wäre, wenn auch weniger für die Kaufleute, mit dem Monopol, das sie gegenwärtig genießen."

Adam Smith hielt also damals schon den Freihandel mit den eben dann nicht kolonialisierten Regionen für eine wirtschaftlich bessere Politik. Auch empirisch hat man das früh nachgerechnet. Etwa sechzig Jahre nach Smith beschrieb Richard Cobden, einer der Gründer der Anti-Corn Law League, den Kolonialismus als "eine schwere Last für die Menschen dieser Reiche" (Cobden 1835: 111) und als "das kostspielige Anhängsel einer aristokratischen Regierung" :

"Unsere Seestreitkräfte in Westindien [...] bestanden aus 29 Schiffen mit 474 Kanonen, um einen Handel von knapp über zwei Millionen pro Jahr zu schützen. Das ist noch nicht alles. Eine beträchtliche militärische Streitmacht wird auf jenen abgelegenen Inseln aufrechterhalten [...] Hinzu kommen unsere zivilen Ausgaben und die Kosten für das Kolonialamt [...]; und wir sehen [...], dass unsere gesamten Ausgaben für die Verwaltung und den Schutz des Handels dieser Inseln den Gesamtbetrag ihrer Einfuhren unserer Produkte und Manufakturen bei weitem übersteigen.

Letztlich kam Cobden zu dem Schluss, dass, wenn Großbritannien seine Kolonien an einen Feind verlöre, dieser "Feind" Großbritannien in Wirklichkeit einen Gefallen tun würde. Was insgesamt auch besagt, das der Weg zum britischen (und anderen) Imperialismus letztendlich eine politische Entscheidung (ein teurer Umweg?) war, die neben der Kolonialbürokratie und einem kleinen und speziellen Teil der Wirtschaft wohl auch dem Ego vieler Politiker und einfacher Briten "gut tat". Gleichzeitig waren die in Summe hohen Kosten über alle Bürger verteilt und für den Einzelnen nicht transparent. So konnten Regierungen (bewusst oder unbewusst) eine Politik durchsetzen, die die Nationen als ganzes ärmer machten.

Und so kommt Plickert in seiner Studie - indem er ganz nüchtern Kosten-Nutzen-Kalkulationen vieler Wirtschaftshistoriker zusammenträgt - lt. FAZ zum Schluss:

„Kolonialismus und Sklavenhandel waren allerhöchstens geringe Faktoren für den wirtschaftlichen Durchbruch Britanniens und des Westens und möglicherweise sogar Verlustbringer.“ …. Denn die Kolonialreiche brachten nicht nur Gewinne, vor allem für Plantagenbesitzer und Großhändler, sie verursachten auch gewaltige Kosten. Um das Empire zu erobern und Handelswege zu sichern, waren hohe Militärausgaben nötig. Zur Finanzierung mussten die Briten im 19. Jahrhundert die zweithöchsten Steuern in ganz Europa zahlen. Der Wirtschaftshistoriker Patrick O’Brien von der London School of Economics geht davon aus, dass die Steuerlast um ein Viertel niedriger hätte sein können, hätte das Land für das Militär nur so viel ausgegeben wie Frankreich und Deutschland. Zudem hat O’Brien gezeigt, dass die wirtschaftliche Bedeutung des Kolonialhandels oft überschätzt wurde. Der Hauptteil des britischen Außenhandels fand mit Westeuropa und Nordamerika statt, viel weniger mit den Kolonien in der Karibik, Afrika und Indien.

Auch für Deutschland gab es frühe Warnungen vor den Kosten und Problemen möglicher Kolonialstrategien. So zitiert die Studie Otto von Bismarck aus dem Jahr 1868:

Der vermeintliche Nutzen von Kolonien für Handel und Industrie des Mutterlandes ist zumeist illusorisch. Denn die Kosten, die mit der Gründung, dem Unterhalt und vor allem dem Unterhalt von Kolonien verbunden sind, [...] übersteigen sehr oft den Nutzen, den das Mutterland aus ihnen zieht, ganz abgesehen davon, dass es schwerlich zu rechtfertigen ist, der ganzen Nation eine erhebliche Steuerlast zugunsten einzelner Wirtschaftszweige aufzuerlegen. 

Und so war es dann für die deutschen Kolonien auch, wie die Studie nachweist. Sie warfen insgesamt keine Profite ab. 

Die deutschen Kolonialverwaltungen führten Gewinn- und Verlustrechnungen, ähnlich wie ein privates Unternehmen. Daraus geht hervor, dass einige wenige Kolonialverwaltungen zwar kleine Überschüsse erwirtschafteten, die meisten aber große Verluste machten. Das Kolonialreich als Ganzes konnte nur etwa drei Viertel seiner Kosten decken; der Rest musste durch Subventionen aus Berlin gedeckt werden.

Gleichzeitig können in der deutschen Entwicklung des Kapitalismus die Kolonien kein kausaler Faktor für die Industrialisierung des Landes gewesen sein, selbst wenn sie rentabel gewesen wären. Denn die Industrialisierung kam dort zuerst und der Erwerb von Kolonien folgte - politisch motiviert - später. 

Das relativiert die Gräueltaten, die mit den kolonialen Eroberungen und Herrschaften einhergingen, natürlich in keiner Weise. Im Gegenteil. Nur, um diese und andere Prozesse, die Geschichte überhaupt, zu verstehen, müssen wir wohl noch mal über komplexere Triebkräfte, Ursachen und Wirkungen genauer nachdenken. Was, wenn nicht mehr Wohlstand, treibt Nationen in solche imperialen Abenteuer?

PS: Eine Ausnahme beschreibt die Studie - einzig Belgien ist es wohl gelungen, das zu sein, 

was wir am ehesten mit einer Kolonie vergleichen können, die der gegenwärtig modischen Auffassung von Kolonien als Goldeseln für den Kolonisator entspricht. Sie war für Belgien höchstwahrscheinlich profitabel (auch wenn die Gewinne sehr konzentriert waren).

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Kommentare 14
  1. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor einem Monat · bearbeitet vor einem Monat

    Ich habe Plickerts Text jetzt nicht gelesen, er steht ja auch hinter einer Bezahlschranke, aber für Deutschland war die Kolonie Togo rentabel https://www.dw.com/de/... und Samoa brauchte zumindest keine Zuschüsse https://www.bundesarch...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat

      Die Studie behauptet nicht, das es gar keine einzelnen Kolonielgebiete gegeben hat, die auch etwas Gewinn abgeworfen haben. Es ging immer um die nationalen Kolonialaktivitäten als ganzes. Die Studie ist ja offen und ich habe sie verlinkt. Zum deutschen Kolonialreich sagt sie:
      "But they were not profitable. German colonial administrations kept profit-and-loss accounts, much like a private company. We can see from those accounts that, while a few of them made minor surpluses, the majority were major lossmakers. The colonial empire as a whole could only cover about three-quarters of its costs; the rest had to be met by subsidies from Berlin. …..

      The colonies accounted for less than 1 per cent of German exports, less than 0.5 per cent of German imports, and no more than 2 per cent of German overseas investment (Baumgart 1992: 145). They also failed in their (flawed) ‘Malthusian’ aims of creating a living space for the ‘surplus population’ to emigrate to; the white population in the colonies only increased to a little over 20,000 people (ibid.: 144). German colonialism was, in short, an unambiguous failure in every respect, powerfully vindicating von Bismarck’s initial empire scepticism."

      In der dazugehörigen Tabelle werden in der Tat z.B. für 1912 für Togo und Samoa kleine Gewinne ausgewiesen (je 0,2 Mio. Reichsmark). Für alle anderen Gebiete Verluste, die sich trotz und incl. der Gewinne auf 20,5 Mio. RM summieren.

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Monat

      @Thomas Wahl Hallo Thomas, das die Kolonien insgesamt nicht rentabel waren, ist ja bekannt. Trotzdem guter Hinweis von dir auf die Studie!

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Monat

      @Dirk Liesemer "Die Kolonien verschafften Spanien nicht nur einen immensen geografischen, sondern auch wirtschaftlichen Aufstieg. Daraufhin zählte das spanische Reich schnell zu den weltweit wichtigsten Wirtschaftsmächten."
      https://www.studysmart...

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat

      @Achim Engelberg Spanien gehörte aber nie zu den großen kapitalistischen Industrienationen. Die Gewinne aus den Kolonien wurden für große Kriege verpulvert und für Luxus der Eliten. Es war und blieb ein Feudalreich. Es waren wohl gerade die Reichtümer aus den Kolonien, die in Spanien dazu führten, selbst keine große industrielle Infrastruktur aufzubauen. Man kaufte sich die Güter von den Nachbarn. Große Kolonien gingen schon am Beginn des 19. Jh. verloren. Dann gegen Ende des 19. Jh. erkämpften die Territorien in Nordamerika die Unabhängigkeit, in denen sich dann der Kapitalismus entfaltete. Spanien blieb eher unterentwickelt.

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Monat

      @Thomas Wahl Spanien schuf den modernen Welthandel, den andere übernahmen.

      Den Reichtum, den das spanische Königtum und andere Herrschende aus den Kolonien zogen, kann man bis heute in Touristengebieten besuchen.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat · bearbeitet vor einem Monat

      @Achim Engelberg Der "moderne" Welthandel war nicht allein das Werk Spaniens. Ja, man kann in der ganzen Welt die Reichtümer bewundern, die Feudalherren aus ihren Eroberungen/Kolonien zogen Von Taj Mahal bis zum Kreml. Das hat aber mit Kapitalismus wenig oder nichts zu tun. Als Marxisten sollte uns der Unterschied zw. den Wirtschaftsformen bekannt sein?

    7. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Monat

      @Thomas Wahl Ja, bereits Ende des 16. Jahrhundert begann der Niedergang (Niederlage gegen England 1588 zum Beispiel), aber zuvor hatte Spanien eine entscheidende Rolle. Viel bedeutender war es für den globalen Handel als Russland. Als die Niederlande sich von Spanien lösten gründeten sie New Amsterdam, das, als die Engländer übernahmen, bis heute New York heißt.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor einem Monat

    Es ist schon erstaunlich, dass diese ollen Kamellen immer wieder aufgetischt werden.

    Hier merkt man die Überlegenheit aller von Marx ausgehenden oder von diesem angeregten Analysen.

    Marx ging nicht von einer These aus, sondern von Klassen- und Besitzverhältnissen. Eine Kolonie konnte dadurch gesamtgesellschaftlich unrentabel sein, aber für einige Schichten höchst profitabel und wichtig für die Macht des Imperiums.

    Außerdem verkennt diese Sicht die Phasen des Kolonialismus und Neokolonialismus. Eine kurze, wahrlich nicht ausreichende Analyse bietet dieser Artikel:
    https://monde-diplomat...

    Wer die Entstehung des Imperialismus und den damit verbundenen Kolonialismus verstehen will, braucht mehr Zeit: https://www.herder.de/...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat · bearbeitet vor einem Monat

      Das es um Klassen und Schichten geht heißt doch nicht, dass Klassen etwas einheitliches sind. Hast Du die Konkurrenz vergessen? Und es besagt auch nicht, dass wenn ein Teil der Oberschicht mehr Gewinne macht es allen in der Schicht dadurch besser geht. Auch innerhalb der Schichten gab und gibt es immer politische Kämpfe. Klassen sind doch keine Rechenmaschinen, die komplett zum Vorteil der Ganzheit ihrer Schicht operieren. Marx war schon etwas komplexer als diese Verballhornung. Und Marx ging natürlich auch von Thesen aus, die viele Marxisten dann wie Monstranzen vor sich her trugen. Und hatte Marx nicht das Motto, "An allem ist zu zweifeln"?

      Wie monde diplomatique schreibt:
      "Der auf hard power gestützte direkte Kolonialismus stieß jedoch an ökonomische Grenzen. Er konnte sich halten, solange es dafür „geopolitische“ Gründe gab und der Besitz der überseeischen Territorien den Eroberern wirtschaftliche Vorteile einbrachte, die größer waren als die militärischen und personellen Kosten für die Sicherung der Gebiete."

      Und die Berechnungen der Studie zeigen, die wirtschaftlichen Vorteile haben nie wirklich über längere Zeiträume überwogen. Das kann man nachlesen, nachrechnen und dann widerlegen.
      Einmal Hobsbawm lesen reicht da nicht. So anregend und gleichzeitig umstritten wie er ist. Also ich würde ihn nicht als olle Kamelle bezeichnen aber auch die Erkenntnisse in der Geschichtswissenschaft entwickeln sich weiter.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Monat

      @Thomas Wahl Natürlich gibt es Weiterentwicklungen - in der Geschichte und anderswo.

      Aber was soll man Positives schreiben zu Sätzen wie diesen:

      "Laut einem einflussreichen linken Narrativ stellt die Sklaverei quasi die Ursünde des Kapitalismus dar. Erst die Profite daraus hätten das nötige Kapital für die industrielle Revolution geschaffen. So argumentierte der Historiker Eric Williams, erster Präsident von Trinidad und Tobago nach der Unabhängigkeit, in seiner Schrift „Capitalism and Slavery“ (1944). Vor ihm hatte das schon Marx in „Das Kapital“ (1867) behauptet."

      Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals ist bei Marx wohl etwas komplexer dargestellt.

      Wenn man etwas Neues zur Herausbildung des Industriekapitalismus haben möchte, empfehle ich:
      https://www.chbeck.de/...

      Der Harvard-Professor geht in seiner globalen Sicht, die Marx 1867 noch nicht haben konnte, über den Altmeister hinaus.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat · bearbeitet vor einem Monat

      @Achim Engelberg Das heutige dort genannte Narrativ ist doch nicht deckungsgleich mit Marx. Aber es existiert sehr wohl und ist populär wirksam. Was Beckert in King Cotton sagt, das Händler im Zusammenspiel mit der Staatsgewalt enorme Vermögen anhäuften, steht überhaupt nicht im Widerspruch zu der Studie. Im Gegenteil, das wird dort auch thematisiert. Die Kolonial-Händler haben überproportional Gewinne gemacht, abgesichert durch Kanonenboote, Kolonialbeamte etc. Die Studie behauptet nur, das ein Weg ohne Kolonien, etwa über Freihandel, effektiver gewesen wäre, weil eben die Kolonien die Kosten nicht wieder einspielten. Das steht in keiner weise im Widerspruch zur Marx'schen Geschichtsauffassung. Für ihn war die Industrialisierung, die große Maschinerie, der Quell des Reichtums. Dazu hätte es keiner Kolonien und keiner Sklaverei bedurft. Das war m.E. eher ein Impuls noch aus der Feudalzeit. Und letztendlich hat sich diese effiziente Industrialisierung politisch und ökonomisch über viele Kämpfe und Irrungen auch durchgesetzt.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Monat · bearbeitet vor einem Monat

      Hier noch mal mein Lieblingszitat von Engels zu seiner und Marxens Geschichtsauffassung. Vielleicht sollten wir versuchen auch in dieser Komplexität und Differenziertheit zu diskutieren? Und nicht immer mit Hobsbawm als Autoritätsbeweis.

      "Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase. Die ökonomische Lage ist die Basis, aber die verschiedenen Momente des Überbaus - politische Formen des Klassenkampfes und seine Resultate - Verfassungen, nach gewonnener Schlacht durch die siegende Klasse festgestellt, usw. - Rechtsformen, und nun gar die Reflexe aller dieser wirklichen Kämpfe im Gehirn der Beteiligten, politische, juristische, philosophische Theorien, religiöse Anschauungen und deren Weiterentwickelung zu Dogmensystemen, üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form. Es ist eine Wechselwirkung aller dieser Momente, worin schließlich durch alle die unendliche Menge von Zufälligkeiten (d. h. von Dingen und Ereignissen, deren innerer Zusammenhang untereinander so entfernt oder so unnachweisbar ist, daß wir ihn als nicht vorhanden betrachten, vernachlässigen können) als Notwendiges die ökonomische Bewegung sich durchsetzt. Sonst wäre die Anwendung der Theorie auf eine beliebige Geschichtsperiode ja leichter als die Lösung einer einfachen Gleichung ersten Grades. Wir machen unsere Geschichte selbst, aber erstens unter sehr bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen. Darunter sind die ökonomischen die schließlich entscheidenden. Aber auch die politischen usw., ja selbst die in den Köpfen der Menschen spukende Tradition, spielen eine Rolle, wenn auch nicht die entscheidende. …..
      Zweitens aber macht sich die Geschichte so, daß das Endresultat stets aus den Konflikten vieler Einzelwillen hervorgeht, wovon jeder wieder durch eine Menge besonderer Lebensbedingungen zu dem gemacht wird, was er ist; es sind also unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante - das geschichtliche Ergebnis – hervorgeht, die selbst wieder als das Produkt einer, als Ganzes, bewusstlos und willenlos wirkenden Macht angesehen werden kann. Denn was jeder einzelne will, wird von jedem andern verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat. So verläuft die bisherige Geschichte nach Art eines Naturprozesses und ist auch wesentlich denselben Bewegungsgesetzen unterworfen. Aber daraus, daß die einzelnen Willen - von denen jeder das will, wozu ihn Körperkonstitution und äußere, in letzter Instanz ökonomische Umstände (entweder seine eignen persönlichen oder allgemein-gesellschaftliche) treiben - nicht das erreichen, was sie wollen, sondern zu einem Gesamtdurchschnitt, einer gemeinsamen Resultante verschmelzen, daraus darf doch nicht geschlossen werden, daß sie = O zu setzen sind. Im Gegenteil, jeder trägt zur Resultante bei und ist insofern in ihr einbegriffen. ….."
      Marx/ Engels: Briefe; Ausgewählte Schriften in zwei Bänden; Band II; Dietz V. 1952

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Monat

      @Thomas Wahl Ja, die Altersbriefe von Engels sind großartig. Stehen bei mir in Griffweite.

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