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Volk und Wirtschaft

DDR-Aufarbeitung: Das Leid der Kinder in den Wochenkrippen

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerMittwoch, 15.12.2021

In ihrem halbstündigen Feature "Die Tränen der Kinder: Wochenkrippen in der DDR" widmet sich die Autorin Katja Aischmann einer kollektiven Betreuungsform, die viele Betroffene als traumatisch erlebt haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich das Land im Aufbau. Es wurden deutlich mehr Arbeitskräfte benötigt. Während die BRD sich Gastarbeiter ins Land holte, setzte die DDR auf die Frauen. Kinderkrippen wurden in großem Maß hochgezogen, die den Müttern die Kinderbetreuung schon wenige Wochen nach der Geburt abnahmen, und die zugleich im Sinne des sozialistischen Gedankens eine Kollektiverziehung vornehmen sollten.

Viele Krippenkinder wurden nicht nur tagsüber betreut, sondern sie blieben die ganze Woche über dort – sechs Tage lang. Die Mütter hatten oft keine andere Wahl. Sie arbeiteten im Schichtdienst. Anderen passte vielleicht ein Kind nicht in die aktuelle Lebenssituation, und sie nahmen das Angebot der Rundumbetreuung dankend an – auch in dem Glauben, ihren Kindern damit etwas Gutes zu tun – so wie das SED-Regime es ihnen vermittelte.

Heute weiß man es besser, und die Spätfolgen vieler Betroffener zeigen, was diese Betreuungsform für Schaden angerichtet hat. Eine engere emotionale Bindung zwischen Eltern und Kindern konnte sich so kaum entwickeln. Und der Erziehungsstil in den Krippen ließ oft auch kaum Nähe zu.

Das ehemalige Krippenkind Ingo hat bis heute mit seinen Emotionen zu kämpfen. Er erinnert sich noch deutlich an die Einsamkeit in seinem Gitterbettchen in der Wochenkrippe.

"Ich liege im Bett und starre auf die Decke. Und es ist keiner da, der sich mit mir beschäftigt. Diesen Moment, den habe ich sehr in Erinnerung. Dieses Alleinesein und an die Decke gucken. Bis es dann Essen gegeben hat. Das Essen war sozusagen ... das war die Tagesstruktur."

Oft warteten die Erzieherinnen bereits vor der Krippe und nahmen den Müttern die Kinder ab. Die Mütter bekamen die Schlafräume ihrer Kinder so gar nicht zu Gesicht. Die "Spielzeit" zwischen den strikt getakteten Mahlzeiten mussten die Kinder oft allein in ihren Betten verbringen.

"Wir haben das mal überschlagen: Wie viel Augenkontakt hat es für diese Kleinstkinder gegeben – und sind auf unter eine Stunde mit einer erwachsenen Person individuell gekommen. (...) Kindererziehung war sehr geprägt von der Vorstellung, dass die Kinder nicht zu sehr verwöhnt werden. Das war teilweise auch bei Erziehern in Fleisch und Blut übergegangen, dass zu viel individuelle Zuwendung die Kinder verwöhnt."

Konkrete Erinnerungen an Situationen und Szenen bleiben in diesem Alter selten haften. Doch eine Psychiaterin bestätigt im Feature, dass sich so früh sehr wohl Erinnerungen an Stimmungen, Geräusche, Gerüche und Gefühle einprägen.

Das inzwischen 50-jährige Krippenkind Andrea besucht im Feature den Betreuungsort ihrer Kindheit und sucht dort nach aufkommenden Gefühlen:

"Aber leider ist das ja irgendwie ein Teil meiner Geschichte, dass ich diese Gefühlswelt so abgekapselt habe. (...) Ich habe sehr früh gemerkt, dass nur ich für mich sorgen kann, ja, ein anderer tut's nicht. Das hat mich durch mein Leben begleitet."

Andrea bekam mit Anfang 40 Depressionen und begann daraufhin, in ihrer Vergangenheit zu forschen. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Mutter – ohne Erfolg. Eine Schuld wies sie ab, und man signalisierte ihr, sie solle das Thema ruhen lassen. Einer solchen Abwehrhaltung begegnet die Sozialwissenschaftlerin Heike Liebsch immer wieder. Dabei wurden schon zu DDR-Zeiten Forschungen der Sozialhygienikerin und Medizinerin Eva Schmidt-Kolmer zur Säuglingsbetreuung angestellt, die ein Problem der Betreuungsart der Wochenkrippen offenlegten:

"Die Ergebnisse überraschen selbst Schmidt-Kolmer und sind so gar nicht im Sinne der Staatsführung. Denn bei den Wochenkrippenkindern treten in allen getesteten Bereichen erhebliche Entwicklungsrückstände gegenüber den Tageskrippenkindern auf. Doch Schmidt-Kolmers Antwort ist nicht, die Kinder wieder zurück in die Familien zu bringen. Stattdessen schlägt die Forscherin vor, die Kinder zu beschäftigen. (...) Doch im Rahmen von Schmidt-Kolmers Studie gibt es eine Erkenntnis, die nicht an die Öffentlichkeit dringen darf: Der extrem hohe Krankenstand unter den Wochenkrippenkindern. Niemand kann sich das damals erklären, und auch die Eltern will man nicht verunsichern."

Heute liegt eine Erklärung dafür vor, es sind klassische psychosomatische Krankheiten:

"Das Baby oder Kleinkind gerät in primitive Stresssituationen. Das heißt, es reagiert mit Angst, mit Rückzug, körperlich, also mit innerer Aufregung (...) der Körper reagiert mit Darmerkrankungen, die Bauchspeicheldrüse ist überfordert..."

Bis heute ist das Thema der Wochenkrippen unzureichend aufgearbeitet, und insbesondere zwischen Eltern und früheren Krippenkindern wird wohl oft nach wie vor geschwiegen. Dieses Feature ist vielleicht ein hilfreicher Beitrag, dem etwas entgegenzusetzen und das Gespräch voranzubringen.

Das MDR-Feature entstand 2021 mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

DDR-Aufarbeitung: Das Leid der Kinder in den Wochenkrippen

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