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Volk und Wirtschaft

Abzocke im Osten - Die Einheitsverbrecher

Lutz Müller
Diplomökonom

Geboren 1956. Längste Schulzeit in Döbeln/Sachsen. Statistikstudium in Odessa. Tätigkeiten für verschiedene statistische Institutionen im In- und Ausland, Schwerpunkt Wirtschaftsstatistik und Beratung im Transformationsprozess. Un-Ruhestand in Berlin.
Kontakt: [email protected]

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Lutz MüllerSamstag, 17.12.2022

Die Doku von SPIEGEL TV und ZDF erzählt in 44 Minuten vier spektakuläre Fälle von "Vereinigungskriminalität", die die deutsche Wiedervereinigung als ein „Eldorado für Betrüger aller Art“ präsentieren:

  • Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei (WBB), Rostock: Investor Jan Zwagerman International, Niederlande – Veruntreuung von Firmengeldern mit Hilfe eines deutschen Komplizen;
  • Wärmeanlagenbau (WBB), Berlin, erworben von Michael Rottmann;
  • Betrug mit Immobiliengeschäften insbesondere in Leipzig durch Bauunternehmer Jürgen Schneider;
  • einer der größten Wirtschaftsthriller um das SED-Vermögen – Drahtzieherin Rudolfine Steindling, genannt "rote Fini".

Drei Episoden aus der ersten Story:

Ingo Schöngraf, damals Betriebsrat bei der BBB, berichtet über seine Rettungsversuche für das solvente Unternehmen, dessen Dienstleistungen auf dem Weltmarkt gefragt waren. Er ging bis zu den Vorständen der Treuhandanstalt und zur Bundesregierung, ohne Erfolg.

Investigativjournalist Dirk Laabs zeigt u. a. auf, worin die Leichtgläubigkeit der Treuhand bestand, wie Warnungen erfahrener Juristen ignoriert und durch Umwandlung staatlicher Betriebe in GmbH die Möglichkeiten der Kontrolle sofort abgeben wurden.

Der Historiker Marcus Böick konstatiert, dass Menschen auf individueller Ebene die deutsche Vereinigung als Erfolgsgeschichte sehen, und nicht nur in materieller Hinsicht. Auf kollektiver Ebene ist es anders: Im Ergebnis steht für die Ostdeutschen eine Abwertung ihrer Leistungen.

Die Dokumentation ist vor allem aufgrund der authentischen Schilderungen historischer Zeugen wertvoll. Ohne die politischen Veränderungen im Vereinigungsprozess genauer zu analysieren, werden die Schwachstellen im System herausgearbeitet, die es Betrügern leicht machten.

Sie wird keine Antwort auf die Fragen geben, ob die DDR-Wirtschaft insgesamt marode war und inwieweit Fehler in der Politik ihren Niedergang nach der Vereinigung beschleunigten, wie in diesem PIQD zur Treuhandanstalt besprochen. Eine Aufarbeitung ihrer Geschichte kann aber nur aufbauend auf der empirischen Analyse erfolgen. Wirtschaftskriminalität ist nur einer der Aspekte, wenn auch einer mit Rundum-Schadenswirkung.

P.S. 
Wirtschaftskriminalität war eine Begleiterscheinung der politischen Umbrüche und wurde durch lasche Gesetze und Fehler begünstigt. Darum geht es in der Doku. Und diese Fälle sollen aufgearbeitet werden. Es gibt keine Aussagen, dass der Treuhandanstalt Betrug inkriminiert wird, wie in einem Kommentar dargestellt. 

Die Diskussion zu diesem PIQ ist recht weit vom Thema abgerückt. Es scheint unmöglich, das komplexe Thema um die Wirtschaft im Osten nach der Wiedervereinigung mit seinen einzelnen Aspekten befriedigend diskutieren zu können. Trotzdem habe ich mich bemüht, auf die hier aufgeworfenen Einwände, die von den konkreten Aussagen der ZDF-History-Doku ablenken und damit diese implizit in Frage stellen, soweit möglich einzugehen. 

Abzocke im Osten - Die Einheitsverbrecher

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Kommentare 13
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre

    Waren diese Machenschaften der Verantwortlichen in der DDR nicht auch Wirtschaftskriminalität?
    "Die internen Informationen der HA XVIII über den Zustand der DDR- Wirtschaft, die Kleine Mielke direkt weiterleitete, dokumentieren, dass Grund- probleme des wirtschaftlichen Planungsmechanismus und strukturelle Mängel der DDR-Wirtschaft bereits in den 1970er Jahren zutreffend beschrieben wur- den.13 Aufgrund ihrer Berichte gelangte die HA XVIII zu einer realistischen Bestandsaufnahme der volkswirtschaftlichen Lage, die im staatlichen Berichts- wesen nicht üblich war.14 Wenngleich viele Berichte aus dem Partei- und Staatsapparat über eine Beschreibung der Symptome der krisenhaften ökonomischen Entwicklung nicht hinausgingen, ermöglichten die vielfältigen Informations- kanäle dem MfS doch bemerkenswerte Einsichten in einige Ursachen der seit Anfang der 1980er Jahre ausgebrochenen Wirtschaftskrise. Zunächst konnten die sich häufenden Mitteilungen über die gängige Praxis, durch statistische Tricks und Manipulationen vor Ort die Kennziffern der Jahrespläne als erfüllt abrechnen zu können, noch als temporäre Funktionsmängel der Planwirtschaft bagatellisiert werden. Später wurden die Berichte über den fortschreitenden Verschleiß der materiell-technischen Ausrüstungen in den staatlichen Betrieben und damit der ökonomische Substanzverlust zu Recht als Vorboten des bevorstehenden wirtschaftlichen Untergangs gedeutet. …..

    Der nicht mehr zu übersehende wirtschaftliche Verfall rückte bereits am Ende der 1970er Jahre verstärkt in den Mittelpunkt interner Analysen des MfS. Die HA XVIII übermittelte der ZAIG des MfS immer häufiger Informationen, in denen die tatsächliche Wirtschaftslage geschildert wurde.16 Immer öfter war jetzt von Skepsis und Resignation unter führenden Wirtschaftsfunktionären die Rede, so dass unrealistische Vorgaben wider besseres Wissen hingenommen wurden. Die Berichte des MfS dokumentieren die nicht mehr zu übersehende Erosion der Macht. In der Wirtschaftselite der SED, ja selbst in Teilen der Machtzentrale im „großen Haus“, breiteten sich Zweifel am Sinn ihrer eigenen Tätigkeit aus. "

    Statistische Tricks und Manipulationen und fortschreitender Verschleiß der staatlichen Betriebe hinter dem Rücken der Bürger. Was den DDR-Bürgern letztendlich ihre Lebensleistung zerstört hat. Zu versuchen, das jetzt der Treuhand unterzujubeln, finde ich nicht ok.

    https://www.ssoar.info...

    1. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

      Die Wirtschaftskriminalität habe weder ich der Treuhand „untergejubelt“, noch ist dies aus der Doku zu erkennen. Ein P.S. zur Klarstellung im piq.

      Betrügereien und Tricks staatlicher Institutionen, die wie in der IfZ-Studie beschrieben die Wirtschaftslage der Öffentlichkeit präsentierten, waren moralisch verwerflich. Es war ein Betrug am Volk, dem realistische Informationen verweigert wurden. Man wollte positive Stimmung verbreiten, wirtschaftliche Probleme sollten nicht den Arbeitskollektiven als Untererfüllung der Planvorgaben angelastet werden. Um dies als Wirtschaftskriminalität zu klassifizieren, müssten sich die daran Beteiligten persönlich bereichert haben. Aus Kontakten in der DDR auf meiner Arbeitsebene würde ich das verneinen.

      Was allerdings die Stasi (die ja auch zum Staat gehörte) betrifft, da könnte noch viel mehr ans Tageslicht kommen. Zu Verbrechen wurde ja in 30 Jahren schon viel berichtet, aber zur Wirtschaftskriminalität kam bisher wenig heraus. Die Geschichte mit dem SED-Vermögen zeigt, dass die Koko-Transaktionskanäle für die Veruntreuung des Parteivermögens der SED genutzt wurden, s. Story Nr. 4 in der Doku. Alexander Schalck-Golodkowski war Stasi-Oberst. Er wurde von der Bundesregierung geschützt und fand bei seiner Flucht Unterschlupf in einem Pfarrhaus in München-Pasing. Dass es eine separate Berichterstattung der Stasi gegeben hat, ist sicher durch Akten belegt. Kann jedoch ausgeschlossen werden, dass dort keine Fälschung aus Eigennutz für kriminelle Geschäfte erfolgte? Die Verschlimmbesserung der Lage konnte durchaus als Akzelerator gedient haben. Eine solch verwerfliche Organisation ist nicht glaubwürdig.

      www.bpb.de/themen/deut...

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

      @Lutz Müller Es geht ja nicht nur um diesen einen Piq. Ich bin hierher gestoßen, über den Piq und die Diskussion hier: https://www.piqd.de/re...

      Und der Betrug am Volk diente ja wohl auf Regierungsebene und kurz darunter der Sicherung der eigenen illegitimen Macht, der eigenen Position. Wenn das keine persönliche Vorteilsnahme ist, was dann? Eine Diktatur ist doch nicht nur moralisch verwerflich.

      Und auf der Ebene der Kombinate wollte man doch auch seine Positionen halten. Man fälschte bewußt. Bewußter Selbstbetrug? Nur sehr wenige waren mutig genug auszusteigen.

      Das Honecker persönlich eher einen kleinbürgerlichen materiellen Konsum frönte. (Von den Jagdgebieten mal abgesehen) ändert doch nichts daran, dass er quasi die Macht über das gesamte Volksvermögen hatte. Laut Marx war das Problem auch beim Kapitalisten nicht der private Konsum, sondern die Macht über die Produktionsmittel.

      Natürlich kann bei der Berichterstattung der Stasi nicht ausgeschlossen werden, dass dort gezielt Darstellungen taktisch und strategisch gestaltet wurden. Auch da kämpfte man um Macht und Einfluß.

      Nirgendwo kann ausgeschlossen werden, dass dort keine Fälschung aus Eigennutz für kriminelle Geschäfte erfolgte. Oder für die eigene Reinwaschung, das Recht behalten, das Verschleiern des eigenen Versagens etc.. Das gilt auch und besonders für ehemalige DDR-Eliten - ich kenne doch die Diskussionen in meiner eigenen Familie. Man versucht ja auch sich selbst zu rechtfertigen.

      Und bei der Beurteilung der Gesamtsituation ist schon entscheidend, wie kaputt die DDR-Wirtschaft real war. Wer sie runtergewirtschaftet hat. Und wie realistisch die Schätzung von 1989/90 des Wertes der Volksvermögen wirklich war. Der Westen hatte ja bis zum Schluß an das Märchen von der siebtstärksten Wirtschaftsmacht DDR geglaubt. Die westlichen Berater und Ökonomen meinten Anfangs ja in der Tat, dass die Marktwirtschaft das in kürze richten würde. Obwohl sie fast nie einen DDR-Betrieb von innen gesehen haben. Und wenn dann die herausgeputzten Teile, die man auch der Parteiführung präsentierte. Für viele aus der alten DDR-Elite liegt es also sehr nahe, die Schuld für das Desaster der Treuhand zuzuschieben - explizit oder implizit.

      Also nicht die Wirtschaftskriminalität wurde von einigen der Treuhand untergeschoben (das hab ich nirgendwo gesagt). Sondern die Folgen des Wirtschaftsdesasters der DDR.

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre

    Na ja, Beispiele sind kein Beweis für das Große und Ganze. Man kann mit Beispielen alles Beweisen, auch das Gegenteil. Man kann damit gut Stimmung machen. Eine empirische Analyse zum Gesamtprozess ist das nicht. Keiner bezweifelt dass es Wirtschaftskriminalität gegeben hat, immer und überall. Selbst in der DDR. Auch, gerade im Vereinigungsprozess, wo die Situation chaotisch war und es kein Vorbild gab. Da nicht nur im Umfeld der Treuhand. DDR-Parteien, Organisationen, Kader etc. haben sich bereichert oder es versucht. Nicht nur beim SED-Vermögen oder den KoKo-Firmen. Was die Treuhand betrifft sollte man beachten:

    "Trotzdem sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich im Verhältnis zu Größe und Komplexität der bis heute einmalig gebliebenen Aufgabenstellung der Treuhandanstalt der Umfang der Treuhandkriminalität in einem überschaubaren Rahmen hält. Angesichts der Krassheit mancher Einzelfälle wird und wurde dies schnell und gerne übersehen. Auch liegt eine Ursache manchen Betruges gegenüber der THA sicher in dem Umstand begründet, dass sich die Treuhandanstalt im Regelfall am Ertrags- und nicht am Substanzwert der von ihr zu privatisierenden Unternehmen orientierte. Dieser wiederum war oftmals sehr gering, weil die Unternehmen keine Chance hatten, im Wettbewerb zu bestehen, wenn nicht ein Investor erhebliche Umstrukturierungen vornehmen würde. Dazu war aber regelmäßig der kostenintensive Abbau von Arbeitsplätzen und der ebenso kostenintensive Austausch veralteter Produktionsanlagen notwendig. Daher kam es mehrfach zu sog. "1-DM-Verkäufen", die nicht nur Investoren anlockten, die diese Bezeichnung auch wirklich verdienten."

    https://www.bpb.de/sho...

    1. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor fast 2 Jahre

      Nochmal, Treuhandkriminalität war hier nicht das Thema. Wobei ich es schon bizarr finde, dass der Begriff überhaupt Eingang in das bpb-Dokument – eine rechtsstaatliche Institution – fand. Und warum „… in einem überschaubaren Rahmen hält“ und nicht Zahl der Verdachtsfälle, Anklagen, Verurteilungen bis Erscheinungsdatum 2002?

      Beispiele sind kein Beweis für das Große und Ganze. Aber Belege in einem Puzzle sind sie doch. Da wird man nicht drum herum kommen. Und zwar nicht nur Kriminalfälle, sondern auch die ganz legalen Übernahmen, nach denen die Produktion eingestellt wurde, und natürlich auch erfolgreiche Übernahmen und Sanierungen. Angefangen bei den Großunternehmen: Die ersten beiden Fälle hier stehen für sich allein schon im Promillebereich der Beschäftigten, die im Osten ihre Arbeit verloren hatten.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

      @Lutz Müller Nochmal, es geht hier auch nicht nur um den einen Piq. Mit dem Fall der Mauer, dem Zusammenbruch des RGW, der Sowjetunion und dann der Einführung der DM war klar, dass ein Großteil der DDR-Bürger (aber auch der Bürger der anderen Ostblockstaaten) ihre Jobs verlieren würden. Mit oder ohne Treuhand. Immer wieder zu betonen, die überforderte Treuhand sei Schuld an der verbreiteten Misere lenkt ab vom Versagen des real existierenden Sozialismus. Welche "Superkraft" genau hätte denn das Problem mit den Großunternehmen lösen können? Mit welchen Mitteln, mit welchem Personal, in welchen Zeiträumen und was hätte es gekostet? Das ist doch alles idealisierendes Wunschdenken.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre

      @Lutz Müller Hier ein paar umfangreichere komplexere Analysen zur Treuhand, unter Auswertung auch der Akten, die es also durchaus gibt - auch erschienen bei der bpb:

      "Die Treuhandanstalt ist zum Symbol für die Fehlentwicklungen im Zuge der deutschen Vereinigung geworden. Mit ihr wird der Ausverkauf der ostdeutschen Wirtschaft verbunden, sie ist Ausdruck der finanziellen Abwicklung der DDR. Doch war die Arbeit der Treuhand so verheerend wie ihr Ruf? Hat die Anstalt die alleinige Verantwortung für die gravierenden Umbrüche in den ökonomischen Strukturen der neuen Bundesländer? Norbert F. Pötzl unternimmt den Versuch, mit Vorurteilen über Arbeit und Auswirkungen der Treuhandanstalt zu brechen. Er untersucht Aufgabe und Wirken der Organisation und betrachtet ihre führenden Akteure. Dabei vertritt er die These, dass die Treuhand auch für viele positive Entwicklungen in den ostdeutschen Bundesländern verantwortlich ist und entlarvt, wie populistische Parteien die Arbeit der Anstalt für tagespolitische Zwecke missbrauchen."

      https://www.bpb.de/sho...
      ———————————

      Mit seiner umfangreichen Untersuchung setzt sich Marcus Böick von solchen einfachen Narrativen ab. Er beschreibt Gründungsumstände und ideelle Grundlagen der Treuhand, zeichnet die Etappen ihrer Geschichte nach und geht dabei insbesondere auf die handelnden Akteure ein. So entsteht eine kritische Bilanz eines widersprüchlichen, folgenreichen und bis heute kontrovers diskutierten ökonomischen Umwandlungsprozesses."

      https://www.bpb.de/sho...

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

      @Lutz Müller Hier eine Besprechung zum ersten Buch beim dlf:

      "Pötzl setzt sich sehr detailliert mit Petra Köppings erfolgreichem Buch „Integriert doch erst mal uns!“ auseinander. Seiner Meinung nach geht es in die gleiche Richtung wie die Stimmungsmache von Linkspartei und AfD. Er weist der sächsischen Integrationsministerin mehrere Falschmeldungen nach, die im aktuellen Treuhand-Bashing nichtsdestotrotz immer wieder zitiert werden.
      Zum Beispiel, wenn die SPD-Politikerin sagt, 85 Prozent des ostdeutschen Produktivvermögens seien an Westdeutsche gefallen. Das stimme nur, wenn allein der Kaufpreis herangezogen werde, aber nicht bei der Zahl der Firmen. Denn Geschäfte, Gaststätten und Hotels, Apotheken, Buchhandlungen oder Kinos seien fast immer ausschließlich an Ostdeutsche gegangen, ebenso kleine und mittlere Firmen, die fast immer von leitenden ostdeutschen Mitarbeitern gekauft worden seien.

      Bei Pötzl ist kompakt nachzulesen, welche Vorwürfe der Treuhand zu Recht gemacht werden können und welche falsch sind.
      Köppings Beispiel einer angeblichen Marktbereinigung zum Wohle westdeutscher Investoren nimmt Pötzl regelrecht auseinander. Sie hat den ostdeutschen Elektro-Porzellan-Hersteller Großdubrau genannt, bei dem angeblich westdeutsche Unternehmer die Porzellan-Rezepturen, Mitarbeiterlöhne und Maschinen mitgenommen hätten. Während sich Köpping nur auf Hörensagen beruft, recherchierten Pötzl bzw. Schröder und fanden heraus, dass nichts an der Geschichte wahr ist:
      „Köpping redet, nicht anders als die AfD, den Leuten populistisch nach dem Mund. Sie versucht, den Frust, der Wähler zur AfD treibt, auf ihre parteipolitischen Mühlen umzuleiten. Sie tritt mit anderen ostdeutschen Politikern in einen Wettstreit, Menschen in ihrem Selbstmitleid zu bestärken, statt sie zu ermutigen und zu eigenen Anstrengungen anzuspornen. Statt zu versöhnen, spaltet sie das Land.“
      Der Hamburger Journalist nennt die Summe der Transferleistungen von West nach Ost, die netto über anderthalb Billionen Euro betragen haben, und er stellt Überlegungen an, warum interessierten Kreisen so viel daran liegt, die Ostdeutschen als Opfer zu stilisieren. Seiner Vermutung nach steckt dahinter eine Strategie, sich Vorteile zu verschaffen, und er verstärkt diesen Gedanken mit Herfried Münklers Warnung, dass es nichts Schlimmeres gebe als Opfernarrative, weil sie die Berechtigung verliehen, bei nächster Gelegenheit mal so richtig draufzuhauen.

      Pötzls Treuhandkomplex geht weit über die Legenden über die Privatisierungsanstalt hinaus. Auf knappen 220 Text-Seiten sind Fakten zusammengetragen, werden Belege angeführt, dass die Treuhand es keineswegs auf die Vernichtung der ostdeutschen Erwerbstätigen abgesehen hatte, dass sie aber ein Erbe antrat, das sie nicht zu verantworten hatte."

      https://www.deutschlan...

    5. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor fast 2 Jahre

      @Thomas Wahl Der Link funktioniert nicht.

      Kleinere Unternehmen wie Geschäfte, Gaststätten und Hotels, Apotheken, Buchhandlungen oder Kinos können nicht von Firmenzentralen aus geführt werden, die Hunderte Kilometer entfernt sind. Für Kleinunternehmer kann die Niederlassung in einem anderen Bundesland schon eine Hürde sein. Wobei es auch Leute aus dem Westen gab, die diesen Schritt taten, im Osten Aufbauarbeit leisteten und glücklich geworden sind.

      Mit Stückzahlen zu operieren und eine gerechtere Verteilung beweisen zu wollen, zeugt indes von fehlendem ökonomischen Sachverstand. Wenn die Kaufpreise – und die wären ja, so der Vorwurf der Treuhand-Kritiker, nicht realistisch gewesen – nicht geeignet sind, könnten bspw. Beschäftigtendaten als Maß dienen. Dies würde auch die Bedeutung für den Arbeitsmarkt Ost und die makroökonomische Dimension widerspiegeln.

      Setzten wir uns hingegen mit der Kritik auseinander, dass die Kaufpreise für Großbetriebe tendenziell unter ihrem Wert lagen – was in den Gegendarstellungen auf die höheren Investitionsrisiken zurückgeführt wird, so dürfte sich der Anteil der Übernahmen durch Westdeutsche von 85 % in Realität weiter zu ihren Gunsten erhöhen. In den o. g. risikoärmeren Wirtschaftszweigen, für deren Dienstleistungen eine stabile Nachfrage bestand, dürften realistischere Kaufpreise verlangt worden sein.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre

      @Lutz Müller Hier der Link: https://www.deutschlan...

      Was war den "der Wert" der Unternehmen? Das ist doch das Problem. Es gibt den Wert an sich nicht. Der Kaufpreis ist letztendlich der Wert, zu dem gekauft wurde. Beim Substanzwert, das ist richtig, da hätte man aufpassen müssen. Der Ertragswert lag ja oft bei null oder war negativ. Beschäftigungsdaten sind gut und schön. Aber entscheidend war ja, ob überhaupt die Beschäftigung erhalten werden konnte in Unternehmen ohne Markt und mit veralteter Technik. Also auch diese Diskussion zeugt von wenig ökonomischem Sachverstand ….

    7. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

      @Thomas Wahl Meine Kritik bezog sich nicht auf den Kaufpreis an sich, sondern darauf, dass ein Großbetrieb mit einer Kneipe verglichen wird und daraus der Schluss gezogen wird, die Ostdeutschen hätten ja auch eine Menge abbekommen. Dass der Vermögensstand es gar nicht erlaubt hätte, größere Betriebe zu übernehmen (abgesehen ggf. von schwarzen Stasi-Geldern), ist eine andere Frage. Wenn Norbert Pötzl dann auch noch das Niveau der Männer-Renten im Osten mit dem Gesamt-Rentenniveau im Westen vergleicht, wäre das ebenso faul, ein Verstoß gegen allgemeine Regeln, oder tendenziös. Hat er das so geschrieben (habe das Buch noch nicht gelesen)?

      Im Übrigen hat sich der Autor – wie im Hörfunkbeitrag dargestellt – um eine ausgewogene Bewertung der Tätigkeit der Treuhand bemüht. Sabine Adler hat ja wiederholt für den Dlf in ebendiese Richtung gearbeitet. Wenn sie allerdings schreibt, „dass die Treuhand es keineswegs auf die Vernichtung der ostdeutschen Erwerbstätigen abgesehen hatte“ - hat Pötzl das wirklich so gesagt, Vernichtung von Menschen???

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

      @Lutz Müller Ja, ok. Sicher kann man nicht einfach einen Großbetrieb mit einer Kneipe vergleichen. Aber die wenigen Großbetriebe mit tausenden Kneipen etc., das ergibt schon Sinn. In der Tat, wir Ossis hatten gar nicht die finanziellen und fachlichen Grundlagen Großunternehmen privat zu übernehmen. Das ist keine andere Frage, sondern die Ursache des Ungleichgewichtes. In Deutschland gehören inzwischen übrigens die Aktien der Großunternehmen auch mehrheitlich nicht mehr den Deutschen.

      Pötzl hat übrigens nicht nur die Männerrenten mit dem Westniveau verglichen sondern auch die Frauenrenten. Konkret heißt es: "Die Renten sind mit fast 1200 Euro bei den Ostmännern rund 100 Euro höher als die Durchschnittswestrenten. Frauen im Osten bekommen sogar 300 Euro mehr als im Westen, weil sie viel länger und häufiger erwerbstätig waren." Woraus man statistisch schließen kann, dass auch die Renten aller Ostdeutschen Bezieher über den der Westdeutschen liegen. Zumindest bei den gesetzlichen Renten.

      Der Satz „dass die Treuhand es keineswegs auf die Vernichtung der ostdeutschen Erwerbstätigen abgesehen hatte“ bezog sich mit Sicherheit nicht auf Pötzl. Aber andere suggerieren das schon.

      Ich habe beim Umzug aus Platzgründen leider einen Großteil meiner Bibliothek abgegeben. Da muß Pötzl dabei gewesen sein. Kann also auch nicht mehr nachschlagen ……😏

    9. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor fast 2 Jahre

      @Thomas Wahl Habe mir heute das Buch ausgeliehen. Die Formulierung „Vernichtung der ostdeutschen Erwerbstätigen“ taucht bei Pötzl nicht auf. Frau Adlers Text legt das aber nahe, so etwas sollte sich der ÖRR nicht erlauben. Gießt zusätzlich Öl ins Feuer – klingt wie von der AfD; und sagte tatsächlich irgendjemand so etwas, sollte es genau benannt werden.

      Auch die Erläuterung zu den Renten im Dlf ist schwammig. Pötzl beschreibt das präzise.

      Angaben gesetzliche Altersrenten für 2018: Ost/West bei Männern 1198/1095 Euro, bei Frauen 928/622 Euro. Und die längeren Erwerbsbiografien waren nicht nur für die Ostfrauen typisch, wie es der Dlf darstellte: Männer 44,6/40,6, Frauen 41/28 Jahre (Quelle: www.deutsche-rentenver...).

      Was an dieser Stelle nicht steht, ist, dass die Ostrenten viele Jahre deutlich unter dem Westniveau lagen, bei stärker gestiegenen Lebenshaltungskosten. Das Punktesystem wurde im Laufe der Zeit angepasst. Habe die Daten jetzt nicht recherchiert. Hinzu kommt, dass gut ausgebildete Leute, wenn sie zusätzlich noch sehr flexibel/mobil sein konnten, nach der Wende im Vorteil waren. Durchschnittszahlen sind schon aussagefähig, aber dahinter steckt eine viel größere Ungleichverteilung, als es sie in der DDR gab. Belohnung von Leistungen ist gut, aber es gibt eben auch viele Schicksale von Langzeitarbeitslosen und sozial Schwachen.

      Pötzls Buch werde ich mir noch genauer anschauen, ich merkte aber an einigen Stellen bereits, dass er seine Opponenten nicht überzeugen konnte.

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