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Volk und Wirtschaft

Habeck möchte eine Industriepolitik für Deutschland kaufen

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 03.11.2023
Wirtschaftsminister Habeck hat nun seine neue Industriestrategie vorgestellt. Er plant eine stark auf staatliche Unterstützung beruhende Industriepolitik und will dafür die Schuldenbremse lockern. Eigentlich ist es ja umgedreht, die Industrie soll den Staat „subventionieren“ oder genauer mit finanzieren. Die Phraseologie Habecks – den Standort Deutschland stärken, den Wohlstand erneuern und für wirtschaftliche Sicherheit sorgen – klingt gut. Das Konzept sieht neben schnelleren Genehmigungsverfahren und Infrastrukturinvestitionen auch einen zeitlich befristeten, vom Staat subventionierten Industriestrompreis vor.
Die Kernbotschaft des Papiers: "Wir wollen Deutschland als starken Industriestandort in seiner ganzen Vielfalt erhalten. Vom Weltkonzern über die mittelständischen Hidden Champions bis zum Kleinbetrieb. Von der energieintensiven Grundstoffindustrie über den Maschinen- und Fahrzeugbau bis zur Raumfahrt." Auch die energieintensive Grundstoffindustrie solle weiterhin präsent sein.
Die Idee, ein eher mittelgroßes Land könne eine Industrie in ganzer Breite und Vielfalt auf hohem Niveau betreiben, ist eigentlich schon in der DDR und anderen realsozialistischen Ländern widerlegt worden. Autonomie, Ausstieg aus der internationalen Arbeitsteilung, führt zwangsläufig zur Ineffizienz. Man muss sich schon spezialisieren, sich für eine spezifische Struktur entscheiden. Ob das nun marktgetrieben durch die Wirtschaftsakteure oder den Staat geschieht (oder in Interaktion der beiden) sei erst mal dahin gestellt. Habeck allerdings verneint Vorschläge, die meinen, Deutschland solle angesichts ungünstiger Standortbedingungen für die Produktion von erneuerbaren Energien auf besonders energieintensive Betriebe etwa aus der Chemie-, Glas- oder Zementindustrie künftig verzichten. Als Ausweg sieht er die Subventionierung der teuren Energie. In der Hoffnung, die geplante zukünftige deutsche EE-basierte Elektrizitätsinfrastruktur würde irgendwann billigen Strom liefern. Das Echo auf die Habeck'sche Strategie in den Medien ist großteils kritisch. 

Hintersinnig meint etwa Gabor Steingart unter Berufung auf den Streetartkünstler Banksy, der selbst öffentlich nie in Erscheinung tritt:
Die Spitzenbeamten des Wirtschaftsministers haben es Banksy nun gleich getan. Unter dem Tarnnamen Robert Habeck haben sie eine Industriestrategie vorgelegt. Kühl rechnen sie auf vielen der 60 Seiten dieses staatlichen Dokuments mit dem Regierungshandeln und auch dem grünen Minister ab. Ihre Subversivität besteht darin, dass sie den Minister auf kühle und faktische Art vors Rohr schieben. Wahrscheinlich hat er selbst gar nicht gemerkt, wie seine Politik hier zerlegt wird.

Die NZZ findet natürlich die Zielstellung der Industriestrategie von Habeck – Deutschland als starken Industriestandort zu erhalten – grundsätzlich richtig. 

Zwar sei unter den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht viel Neues, aber durchaus auch Richtiges. Das gilt u.a. für Schritte, die die allgemeinen Standortbedingungen für Unternehmen verbessern, 

darunter der Ausbau der Energie- und Verkehrsinfrastruktur, aber auch Bürokratieabbau und beschleunigte Genehmigungsverfahren. Einiges davon hat die Ampelregierung bereits auf den Weg gebracht, doch steht der Praxistest erst am Anfang. Weiter will Habeck die Abscheidung und Speicherung beziehungsweise Nutzung von CO2 in Deutschland zulassen. Sinnvoll ist sodann das Ansinnen, den Arbeitskräftemangel nicht nur mit Erleichterungen bei der Zuwanderung von Fachkräften zu lindern, sondern auch durch finanzielle Anreize für Arbeitnehmer, die freiwillig über das Rentenalter hinaus arbeiten.

Der Autor René Höltschi sieht aber die Methode üppiger Fördertöpfe und den Industriestrompreis kritisch. Sicher, die derzeitigen Regeln (z.B. die Schuldenbremse) sind in Zeiten entstanden, als die marktorientierte Globalisierung relativ reibungslos lief und die geopolitischen Spannungen wenig spürbar waren.

Dem ist entgegenzuhalten, dass auch nach der «Zeitenwende» das Geld nicht auf den Bäumen wächst, sondern Staatsschulden von heute die Steuern von morgen sind. Spätestens hier wird die Strategie widersprüchlich: Einerseits diagnostiziert sie zu Recht, dass Deutschland im internationalen Vergleich sehr hohe Unternehmenssteuern erhebt, anderseits verschreibt sie als Therapie höhere Schulden.

Und nebenbei gesagt, die steigenden Zinsen lassen inzwischen die Schuldenaufnahme sehr teuer werden. Vor kurzem noch haben wir hier diskutiert, dass Schuldenmachen eigentlich nichts kostet, da die Zinsen gegen Null gingen und kaum eine Inflationsgefahr in Sicht sei.

Zu den inhaltlichen Schwächen der Habeck-Strategie kommt ein politisches Problem. Das Papier 

beschreibt nicht die Industriestrategie der Bundesregierung, sondern jene des Wirtschaftsministeriums. Bei zentralen Fragen wie dem Industriestrompreis oder der Schuldenbremse besteht Dissens mit mindestens einem der beiden Koalitionspartner, der FDP. Die Industrie, die von der Regierung mehr Planungssicherheit fordert, ist damit so klug als wie zuvor. Und das in der Halbzeit der Legislaturperiode.

Die FAZ schätzt den Vorstoß Habecks mit der Industriestrategie daher auch so ein:

In welche Richtung er gehen will, hat Habeck in den vergangenen Monaten oft genug deutlich gemacht: Er will die Schuldenbremse lockern, dem Staat durch die Aufnahme neuer Kredite Spielraum für höhere Ausgaben verschaffen. Aktuell, als Wirtschaftsminister, fehlt ihm dafür die Macht. Mit dem einen Satz in der Industriestrategie läutet Habeck den Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 ein.

Dieser Artikel sieht einen weiteren Vorteil für Habeck. Er bekam ungewohnt viel Lob aus Teilen der Wirtschaft. Besonders natürlich aus den Zweigen, die sich dadurch Vorteile versprechen:

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) freute sich über das „klare Bekenntnis des Wirtschaftsministers zur Industrie als Basis des Wirtschaftsstandorts Deutschland“. Im Juni, auf dem „Tag der Industrie“, hatte der Verband noch mit der Arbeit der Ampelkoalition abgerechnet. Nun hofft er darauf, dass sich Habeck mit seinem Werben für einen Industriestrompreis in der Regierung doch noch durchsetzt. Zustimmung zur Industriestrategie kam auch vom Verband der Chemischen Industrie. Habeck habe „die Bedeutung der Grundstoffindustrien für unseren Wirtschaftsstandort erkannt“.

Ob daraus ein nachhaltiger Vorteil für die gesamte Volkswirtschaft wird, ist dabei eine ganz andere Frage. Man kann gespannt sein, wie lernfähig Habeck noch sein wird. Er ist eigentlich immer für eine intellektuelle Überraschung gut. Aber trotz seines Kommunikationstalents – die Entfremdung zwischen der Industrie und dem Wirtschaftsminister nimmt eher zu.

Zwar hat er nicht gezögert, im vergangenen Jahr gegen die drohende Energieknappheit Flüssiggasterminals zu bauen und die Kohlekraftwerke wieder hochzufahren. Eine Grundsatzdebatte darüber, ob ein Industrieland wie Deutschland neben Wind und Sonne nicht auch eine witterungsunabhängige CO2-arme Stromquelle wie die Atomkraft braucht, wollte er seiner Partei aber lieber nicht zumuten. Auch bei Projekten wie der Kindergrundsicherung oder dem Bürgergeld bremst Habeck nicht, obwohl das Niveau der Sozialleistungen in Deutschland schon heute so hoch ist wie in kaum einem anderen Land.

Wir gehen spannenden wirtschaftspolitischen Zeiten entgegen. Eingebettet in globale Konflikte und die Klimaerwärmung. Bleiben wir dran …..

Habeck möchte eine Industriepolitik für Deutschland kaufen

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Kommentare 3
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 12 Monaten

    Originalton Habeck:
    „Der Klima- und Transformationsfonds ist ein Fonds zur Sicherung von Wertschöpfung und Arbeitsplätzen“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Wenn das gefährdet ist, sind Arbeitsplätze und Wertschöpfung gefährdet. Die Abwanderung der Industrie schadet unserem Land und der Gesellschaft. Industrie heißt Arbeit, Produktion, Wertschöpfung.“

    Soweit so richtig!

    https://www.faz.net/ak...

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor einem Jahr

    "Auch bei Projekten wie der Kindergrundsicherung oder dem Bürgergeld bremst Habeck nicht, obwohl das Niveau der Sozialleistungen in Deutschland schon heute so hoch ist wie in kaum einem anderen Land."

    Das ist Klassenkampf von oben und es droht ein Kapitalismus ohne Demokratie, wie ein neues Buch heißt:

    https://www.suhrkamp.d...

    Eine Studie der Böckler-Stiftung belegt empirisch, dass hierzulande die Demokratie durch Armut akut gefährdet ist: hier die Meldung auf tagesschau.de, in der es einen Link zur Studie gibt:

    https://www.tagesschau...,

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr · bearbeitet vor einem Jahr

      Na ja, wenn Klassenkampf von unten darin besteht das Niveau der Sozialleistungen möglichst auf 100% zu bringen oder unter keinen Umständen zu reduzieren, dann wird das schief gehen. Die DDR hat gezeigt, das man nicht beliebig viel für Soziales ausgeben kann, auch wenn man es möchte. Ich denke mit solchen pauschalen Urteilen kann man keine gute (linke) Politik machen. Wieviel will man denn konkret wofür ausgeben? Das Leben ist letztendlich konkret, Ressourcen limitiert. Und die Wähler merken mehrheitlich, das die ewigen Versprechungen der Linken nicht realistisch sind.

      Was die Böckler-Stiftung (als Lobbyorganisation) so mißt ist Ungleichheit, auch relative Armut. Das zu verbessern muß man nicht mehr ausgeben sondern gezielter und anders. Aber die Rezepte vom immer mehr Staatsausgaben führen auch schnell zu absoluter Armut für alle. Siehe z.B. die Grund-Rente in der DDR. Wohlstand für alle entsteht nicht allein durch Verteilung. Es geht also um eine nachhaltige Balance von Einnahmen, Ausgaben, Anreizen und Fordern. Im übrigen sind es nicht vorrangig die Armen, die AfD wählen und bei DIE Linke sind sie es auch nicht. Vielleicht sind es doch die unrealistischen Versprechungen, die die Demokratie gefährden?

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