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Volk und Wirtschaft

Ist Sahra Wagenknecht rinks oder lechts?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMittwoch, 01.11.2023
Über die politische Einordnung von Sahra Wagenknecht und ihrem "Programm" als Links oder Rechts wird erbittert gestritten. Als sei das eine entscheidende Frage? Einige halten sie für "eine gefallene Linke auf rechten Abwegen". Für andere bleibt sie noch immer links, die Linkspartei ist der Abweichler. Sie selbst sagt:
Für mich geht es um die klassischen Themen: soziale Gerechtigkeit und Frieden. Links sein heißt für mich zu verhindern, dass einige absahnen und andere ausgebeutet werden, und außenpolitische Konflikte nicht mit Waffen, sondern mit Diplomatie zu lösen. Das sind die linken Themen, mit denen ich mich immer identifiziert habe.
Ob man wirtschaftliche und/oder soziale Konzepte als Links, Rechts oder überhaupt einordnet, das hängt u.a. davon ab, von welchen theoretischen oder ideologischen Annahmen man selbst bei der Einordnung ausgeht. Jens Jessen hat in der Zeit vorgeschlagen die Unterscheidung anhand der klassischen linken Basis/Überbau-Theorie vorzunehmen. Um es mit Marx zu formulieren:
In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte notwendige von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen.
Daraus folgt, so die Interpretation im empfohlenen Artikel:
Rechtsabweichler waren im 20. Jahrhundert diejenigen Linken, die den Kontakt zur bürgerlichen Mitte suchten, indem sie marktwirtschaftliche Positionen vertraten oder den sogenannten „Überbau“ von Kultur, Geschlecht und „Race“ betonten. Linksabweichler nahmen dagegen einen orthodox-marxistischen Standpunkt ein, der in der ökonomischen „Basis“ verankert ist und Klassenfragen stellt. Deshalb, so Jessen, sei Wagenknecht, die nicht gern gendert und es mit der Willkommenskultur nicht übertreiben will, eine Linksabweichlerin, die den „Überbau“ nebensächlich findet.
Demzufolge wäre Wagenknecht keine Rechtsabweichlerin, wie man es ihr wegen der Nähe zu einigen Positionen der AfD (z.B. bei der Flüchtlingsfrage oder der Kritik des Genderns und der sogenannten Wokeness) teilweise vorwirft. Jessen sagt dazu in der ZEIT:
Aber die Diagnose ist historisch falsch. Was man in sozialistischen Staaten, zur Zeit ihrer Blüte, oder in kommunistischen Parteien unter Rechtsabweichung verstand, war keine Nähe zum Faschismus – die Faschisten haben immer, in ihrem Elitenhass und der Vergötzung des "Volkes", bestimmte sozialistische Positionen geteilt. Rechtsabweichung hieß etwas anderes, nämlich Kompromisse mit dem Klassenfeind zu schließen oder für wünschenswert zu halten, zum Beispiel mit kapitalistischen Staaten, bürgerlichen Parteien, privatwirtschaftlichen Strukturen. Um Rechtsabweichlerin zu sein, müsste Sahra Wagenknecht heute die Nähe zu CDU oder FDP oder, früher für noch schlimmer gehalten, zu Sozialdemokraten suchen, kurz: zum Establishment.

Nach der reinen marxistischen Grundüberzeugung aller kommunistischen Parteien lassen sich gerechte Verhältnisse nur durch grundlegende Änderungen der ökonomischen Basis, sprich durch die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln erreichen. Keinesfalls hilft ein Herumdoktern am Überbau  Jessen in der ZEIT:

Wer meint, durch Sprachregelungen die Lage der Frau oder unterdrückter Minderheiten zu verbessern, durch eine Willkommenskultur den Migranten zu helfen (statt die Ausbeutung in Afrika zu beenden), der tut in diesem Sinne nichts Gutes, er pfuscht nur im Überbau herum und hilft, die wahren Machtverhältnisse zu verschleiern – er arbeitet am seinerzeit berühmten "Verblendungszusammenhang".
Ist Sahra Wagenknecht deshalb eine Linksabweichlerin, die den „Überbau“ nebensächlich findet? Moritz Rudolph, der Autor des Philomag verneint das eher. Mit den klassischen historischen Linksabweichungen habe Sahra Wagenknecht nichts am Hut:
Sie ist nicht internationalistischer als die Linkspartei, eher schwebt ihr ein „Sozialismus in einem Land“ vor, dessen Grenzen gut bewacht sind – auch nach außen: Revolutionsexport hält sie für Anmaßung, Einmischungen in fremde Angelegenheiten – in der Ukraine, in Taiwan oder im Nahen Osten – weist sie zurück. Auch eigentumspolitisch ist Wagenknecht nicht radikaler als ihre Partei. Von Umsturz und Enteignung redet sie kaum, eher von Zerschlagung der Großkonzerne und Stärkung des Mittelstands. Zum Entsetzen ihrer ehemaligen Genossen erklärt sie seit Jahren, dass eine reine Planwirtschaft nicht funktioniere und dass es ohne Markt nicht gehe. Damit gibt sie sich als Erbin Nikolai Bucharins zu erkennen, dem prominentesten Rechtsabweichler und Vordenker der Neuen Ökonomischen Politik, die in den 1920er-Jahren eine vorübergehende Liberalisierung der Sowjetwirtschaft einleitete.

Man könnte meinen, das Wagenknecht sich nicht mehr als Marxistin sieht. Daher auch nicht mehr nach den marxistischen Annahmen zu charakterisieren ist. Sondern eher als eine Schumpeterianerin, 

die das Kapital zügeln will, indem sie innovative Unternehmer gegenüber gierigen Kapitalgebern stärkt. Nach Revolution klingt das nicht. Eher nach Linkskapitalismus. Von ihrer kommunistischen Vergangenheit hat sich Wagenknecht schon vor Jahren distanziert.

Wagenknecht will auch keine Kulturrevolution und keinen neuen Menschen. 

Sie kritisiert den wachsenden Vorschriftenkatalog für korrektes Sprechen, Essen, Autofahren und Heizen. Wer, wie Trotzki, am homo sapiens arbeitet, ist ihr suspekt – die Grünen zum Beispiel, die an Bogdanows kulturrevolutionäres Erbe anschließen, das über den Umweg von 1968 in ihre Hände gelangt ist.
Und so erklärt sie: „Ludwig Erhards Anspruch, Wohlstand für alle zu schaffen, das ist für mich linke Politik“. Für Oliver Nachtwey in der FAZ ist Sahra Wagenknecht daher eine klassische Populistin:
Das Establishment ist korrupt und inkompetent, die Bevölkerung wird nicht repräsentiert. Anders als ihre Anhänger es glauben, handelt es sich aber mitnichten um einen Linkspopulismus, denn dieser setzt auf Partizipation als Antwort auf die Usurpation der Demokratie durch die Eliten. Wagenknechts Ansatz der Ressentimentbewirtschaftung gegen das linksliberale Establishment lässt sich mühelos auf neue politische Felder übertragen.
Eine wunderbar feine Ironie auch, was Nils Markwardt in der ZEIT meint. Wagenknechts wilden Mix als "Linkskonservatismus" zu bezeichnen, sei zwar nicht falsch, treffe aber vielleicht nicht den Kern.
Denn was die Marx- und Hegel-Leserin Wagenknecht mit diesem Schlagwortgewitter erzeugt, ist vielmehr ein politisches Gefühl, das auf die Aufhebung aller Gegensätze abzielt. Nun ist das zwar fast jedem Populismus eigen, weil dieser per definitionem eine Art mythologisierte Einheit des Volkes beschwört. Doch nimmt das bei Wagenknecht eine sehr spezifische Form an. Ihr politisches Projekt wirkt zumindest rhetorisch wie der Entwurf einer Art bundesdeutschen Einheitspartei, einer CDU-FDP-SPD-AfD-Linke-Grüne-Partei. 
Mir scheint die ganze Diskussion um linke oder rechte Orientierung müßig. Letztendlich ist es m.E. eher egal, ob sie mehr lechts oder eher rinks ist. Sie tut, was fast alle Politiker tun. Ihr Versprechen, ihr, das Volk müsst nichts weiter machen. Wählt mich und ich löse eure Probleme. Ein Schiff wird kommen und den Wohlstand bringen. Mehr Geld für alle und alles. Das Ende aller Widersprüche. Wer's glaubt.


Ist Sahra Wagenknecht rinks oder lechts?

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Kommentare 2
  1. Der Barde Ralph
    Der Barde Ralph · vor einem Jahr

    Eine unsinnige Fragestellung, es sei denn, man bezeichnet die SPD vor der Agenda, als links.
    Im Vergleich zu heute war sie das in jedem Fall. Obwohl ich mit dieser idiotischen Klassifizierung, Links, nichts anfangen kann. Wird doch nur noch als Abwertung genutzt.
    Entscheidend ist, dass Sahra nichts weiter als die alten Werte der SPD vertritt, was der heutigen SPD natürlich weh tut.
    Meine Güte, wo sind wir heute nur mit unserem Denunzierungs Niveau gelandet.
    Das tut richtig weh

    1. Hans Wibra
      Hans Wibra · vor einem Jahr

      Dieser Kommentar erscheint mir sehr objektiv und auch richtig. Schon zu Ende der Kohl Kanzlerschaft wurde in Deutschland und in Europa der Fehler gemacht, die Interessen Europas und Deutschlands immer geringer zu vertreten und zu erhalten. Mit Schröder ist es in dieser Zeit noch einmal ein Aufbegehren gekommen, in dem er bei einem der vielen US-Imperium-stützenden Handlungen die Zustimmung verweigert hat. Gemeint ist der IRAK-Krieg der USA, und dessen Folgen. Es war das Deutsch-Französische „Nein“ , was den USA in aller Deutlichkeit klar gemacht hat, dass die Europa-Kolonie-ähnliche Situation in höchste Gefahr ist. Denn es wurde damit deutlich, Europa ist auf dem Weg zu einer Unabhängigkeit, die nie und nimmer im Interesse der USA liegen konnte. Verstärkt kam dazu, dass diese beiden entscheidenden Europa-Staaten in immer engerer wirtschaftlicher Verbindung mit dem Atomstaat - und was noch schlimmer Super-Energielieferanten Russland gekommen waren. Die Ampel in den USA gingen auf Rot. Merkel versuchte daher alles zu vermeiden, womit sie als Mitmacherin einer Politik in dieser Richtung für die USA ge sehen wäre.. Die Gründe lagen auch in der Schwäche der französischen Regierungschefs während der Merkel-Zeit diese erleichterte ihr das sehr. Die USA erkannten, dass sie gegensteuern mussten um diese Gefahr eines selbstständigen eigen-Interessen handelnden Europas entgegen zu wirken. Sie baute ein Netz aus mit willfährigen und steuerbaren Institutionen/Organisationen/einflußreichen Personen das steuerbar war und willig die Inhalte in die Politik und die Medien einzubringen, die die US-Politik will und für ihrer imperialen Vorhaben benötigt.
      Der Gleichklag der Medien zum Ukraine-Krieg, zur Thematik Seidenstrasse, zu China, zur Energiepolitik, zu Putin, zu BRICS, etc. ist offensichtlich. Der Erfolg ist natürlich nur mit riesigem Aufwand am Laufen zu halten. Die Vertretung der USA-Vorstellungen und Interessen ist zwischenzeitlich so optimiert, dass man schon von Elementen der Verschwörung sprechen kann. Dinge von Wichtigkeit, werden dann gebracht wenn sie auch für die Interessen der USA nützlich sind und nicht wenn sie Handlungen und Entscheidungen und Geschehnisse offenlegen, die von Nachteil auf die USA und die Verbündeten zielen.
      Diese Entwicklung und die daraus sich aufzeigenden tendenzielle Information ist es eben, die von Tag zu Tag den Zweifel verstärkt, dass alles mit rechten Dingen zugeht, und wir als mündige Bürger offen, ehrlich und prägnant informiert werden.
      Daraus ergibt sich auch die Entwicklung der Parteienlandschaft, Rattenfänger wir die AfD und neue – wie auch immer an Ende es ein wird – Wagenknechts Versuch einer Art Liberale, Sozialdemokratische Wirtschaftsfreundliche Partei zu gründen. Denn die gibt es nicht, würde es sie geben, wären die Medien nicht mehr im Einklang, ob das North-Stream 2, Selenskyi, wer das Gas/Öl abgestellt hat, was die Aufgabe eines Ukrainischen Botschafters betrifft, usw. usw.

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