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Europa

Europa – Osten gegen Westen?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSonntag, 01.08.2021

Die EU teilt sich scheinbar in den Westen, der sich gern liberal sieht und den Osten, der dementsprechend als rechts, homophob und autoritär betrachtet wird. Doch ist dieses Bild nicht zu simpel, versteht man damit "den Osten"? Das jedenfalls fragt Norbert Mappes-Niediek in der taz. Die Erwartungen waren in den 90ern sicher ganz andere, viel idealistischere. Bis zur Osterweiterung der EU und kurz danach

galt das Narrativ, „Mitteleuropa“ sei bloß ein „gekidnappter Westen“, wie der tschechische Schriftsteller Milan Kundera es ausgedrückt hätte. Der Amerikaner Jeffrey Sachs, Spiritus Rector der Transformation der Neunzigerjahre, verglich seine Arbeit mit der eines Bildhauers, der nur die Schlacken des Kommunismus wegschlagen müsse, um die makellose Skulptur einer demokratisch-liberalen Gesellschaft freizulegen.

Auch Nikolas Busse sieht das in der FAZ ähnlich, glaubt aber, dass sich West- und Osteuropa vor allem in den letzten Jahren stark auseinander entwickelt haben.
Vor allem bei einigen neuen Großthemen kann man sehen, dass das nicht so recht geklappt hat. Klimaschutz, Einwanderung, Frauenrechte, Diversität – all diese Fragen, die im Westen die politische Agenda immer stärker bestimmen, spielen in Osteuropa nur für Minderheiten eine Rolle. 

Und er betont, dass sich PiS oder Fidesz in Warschau oder Budapest ja nicht an die Macht geputscht haben, im Gegenteil: 

Sie wurden sogar dafür gewählt, dass sie versprachen, diese Veränderungen von ihren Ländern fernzuhalten.

Auch Peter Gauweiler in der FAZ äußert sich in diese Richtung. Für ihn habe sich im juristischen Sinn in Sachen „binäre Mann-Frau-, Mutter-Vater-Ordnung“ nicht die ungarische Politik geändert. Sondern es waren „die Regenbogenländer“, die in eine andere Dimension übergetreten seien. Und er sieht eine gewisse Scheinheiligkeit im Verhalten des Westens:

Merke: Die demokratische Legitimation des gewählten ungarischen Ministerpräsidenten ist größer als die aller EU-Kommissare zusammen. Aber: Das ist noch keine Kunst. Die Unfairness der einen Seite macht auch die andere nicht automatisch unschuldig. Ungarns Politiker sind keine Waisenknaben, was sie allerdings mit den politischen Eliten anderer EU-Mitgliedsländer eher verbindet als trennt. Und auch ein justizielles Verfahren wäre verwirkt, wenn seine Ankläger fortgesetzt selbst das Recht auf ein faires Verfahren missachten.

Und konstatiert eine fehlende Fairness gegenüber Ungarn, das 1989 in einer Sternstunde der Geschichte den Stacheldraht an der Ost-/Westgrenze durchschnitt. Weiter meint er dazu: 

Angela Merkel hätte das Jahr 2017 als Kanzlerin nicht überlebt, wenn Viktor Orbán nicht die Balkan-Route geschlossen hätte.

Zurück zur taz – Mappes-Niediek hält fest, dass Homophobie historisch kein östliches Spezifikum ist:

Die großen „Skandale“ um Sex unter Männern wurden in England und Deutschland aufgeführt – von Oscar Wilde bis zu Bundeswehr-General Kießling in den 1980er Jahren. Weiter östlich wurde das Thema nie so wichtig genommen. Einen Strafrechtsparagraphen hat es etwa in Polen so wenig gegeben wie in Frankreich oder Italien. … Noch in den Siebzigerjahren bekamen zwei Männer in Prag oder Warschau leichter ein Hotelzimmer als in München oder Köln.

Für ihn verstärkte sich die homophobe Bewegung im Osten in dem Moment, als dort das Gefühl aufkam, falsch beurteilt und benachteiligt zu werden. 

Mehr als ein Jahrzehnt lang war man nach 1989 als Nation erzogen, belehrt, gegängelt worden, musste nachholen, aufschließen, seine „Hausaufgaben“ machen. Brav hatte man alles gemacht. Jetzt sei man mit dem Westen gleich auf, dachte man. 

Und nun kam die nächste moralische Kampagne in Richtung Lebensweise. Familie war bis 1990 immer ein Freiraum. 

Im Privaten galten noch die „natürlichen“ Verhältnisse, da war das Volk bei sich. Die Reformer unter den Kommunisten, die das beharrende Volk sonst doch ständig mit Neuerungen, Umdeutungen, Kampagnen nervten, hatten das begriffen. Vor sensiblen Themen wie Sexualität und Familie machten sie Halt.

Und so auch das Narrativ vom typisch östlichen Rechtspopulismus. Erste Triumphe erzielte die neue Strömung vor bald 20 Jahren in Frankreich mit Le Pen und dann den Höhepunkt mit Donald Trump.

Mit Hingebung autoritär tritt die neue Rechte in Osteuropa vor allem in Russland auf. In Polen steht tiefer Konservatismus im Vordergrund, in Ungarn nationalistische Ideologie, in Tschechien ein extremer Neoliberalismus. Das Bild hat viele Facetten.

Diese Facetten sollten wir kennen, ehe wir urteilen.

Europa – Osten gegen Westen?

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Kommentare 2
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

    Danke für den Verweis auf Deinen anderen Piq - hatte ich übersehen. Gute Analyse.

    Ich fand es übrigens gerade wichtig auch andere Positionen zur Problematik zu zeigen, zu verlinken. Das Problem des gegenseitigen Verurteilens, der zunehmenden Spaltung in der EU ist komplex und gefährlich. Es bedarf m.E. einer breiteren Diskussion mit differenzierten Positionen.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 3 Jahren

    Ein guter Artikel, weniger die anderen Links.

    Ähnlich überzeugend ist sein Blick durch die Ost-West-Brille auf das blutige Ende Jugoslawiens:
    https://www.piqd.de/us...

    Wahrscheinlich fußt das auf seinem aktuellen Ost-West-Buch:
    https://www.christoph-...

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