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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Wenn man, wie Paul Lendvai, die 90 überschritten und in dieser Zeit drei Leben gelebt hat, dann ist dies ein Erfahrungsschatz. Noch dazu, wenn man mehrere Identitäten in sich vereint. Als gebürtiger Ungar, überzeugter Österreicher und Jude. Als glühender jugendlicher Kommunist hat er in Ungarn die Sozialdemokratie mit begraben um dann selbst in die Opposition zur Partei zu gehen. Dann ins Gefängnis und ins Berufsverbot. Die Flucht in den Westen lag nahe. Mit dieser Vita wird man wohl gelassener, was Erregungswellen angeht. Umso interessanter im Interview, sein Blick auf unser heutiges Europa und speziell den Osten. Erster Punkt, der Westen versteht zu wenig von den Ländern Osteuropas. Ein Muster, dass man in vielen anderen Analysen findet.
Bis heute betrachtet man die Oststaaten als eine Einheit. Der Ostblock war das in dem Sinn, dass er mit Ausnahme Jugoslawiens und Albaniens unter sowjetischer Kontrolle stand. Aber die Entwicklungen waren in jedem Land sehr unterschiedlich. Heute gibt es viel zu wenige Korrespondenten westlicher Medien, um die Staaten wirklich zu beobachten.
Zweiter Punkt seiner Einschätzung, die ungleichen demokratischen Traditionen, verglichen mit Westeuropa. Lendvai zitiert Popper, der meinte,
die ersten wirklichen Schritte hin zur Demokratie in Osteuropa würden fünfzig Jahre dauern, weil der Kapitalismus eben keine wohltätige Einrichtung sei. Er (Popper T.W.) sah die grossen Enttäuschungen voraus, die wir heute erleben.
Und als dritter Punkt der Problemanalyse, das Gefühl in den „Ostländern“, man sei als Bittsteller in die EU gekommen.
Manche empfinden dies als Erniedrigung durch das Ausland. Populisten haben das verstanden und inszenieren sich als Verteidiger der nationalen Identität. Nationalismus kann eben immer verwendet werden: Er ist wie Bitcoin, aber gut! (Lacht.)
Für Ungarn spielt das Trauma von Trianon, wo nach dem 1. Weltkrieg zwei Drittel des Territoriums abgetrennt wurden, eine anhaltende Rolle. Ähnlich offensichtlich wie der Versailler Vertrag für Deutschland hinterließ das offensichtlich historisch tiefe Spuren.
Ja, die Ungarn sind ein zerstückeltes Volk, aber Trianon ist lange her. Ich erinnere mich noch daran, wie glücklich ich war, als Ungarn 1938 als Verbündeter von Nazi-Deutschland Teile der Slowakei «zurückerhielt».
Heute gibt es zwar keine Drohungen mehr aus Ungarn gegen die Nachbarländer. Aber aktuelle Schulbüchern verfälschen oft die Geschichte nationalistisch, was für die Zukunft eines gemeinsamen Europas kein guter Weg ist.
Vierzig Jahre Sozialismus unter Janos Kadar als „lustigste Baracke des Sozialismus (auch Gulaschkommunismus genannt) hatten den Magyaren vergleichsweise große Freiheiten und etwas höheren Wohlstand beschert. Daher dachten viele, der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft würde in Ungarn reibungslos funktionieren. Doch auch in Ungarn währte das demokratische Interregnum nach 1989 nur kurz. Dieser „Gulaschkommunismus“ wirkte offensichtlich
auch korrumpierend, und 1989 gab es im Gegensatz zu Polen keine wirkliche Revolution. Stattdessen haben alle gemeinsam weitergemacht: Dass die Liberalen mit den Postkommunisten eine Koalition bildeten, war die Ursünde. Das ist, wie wenn ein Gefangener und der Gefängnisdirektor zusammen eine Firma gründen.
Am Ende der nie geklärten Widersprüche stand die Ära Orbans. Sein Erfolgsrezept, er
stammt aus dem ländlichen Milieu und spricht die Sprache dieses Bevölkerungsteils. Zudem verfügt er über politisches Gespür, so etwa in der Flüchtlingskrise. Er kontrolliert die Medien und seine eigene Partei, in der kein kritisches Wort über ihn fällt. Orban ist ein hochbegabter, zynischer Machtpolitiker. Er kennt das ungarische Volk und dessen Psyche.
Nun läuft er, so Lendvai, wohl Gefahr, den Bogen zu überspannen. Und er könnte in der Konfrontation mit der EU zu weit gegangen sein.
Interessant auch das Berufsethos von P. Lendvai als Journalist:
Ein Journalist stellt keine Weichen, der beste Platz für ihn ist zwischen den Stühlen. Wir sind Notare, und wir können mit unseren Artikeln gegen die Dummheit kämpfen. Der polnische Schriftsteller Stanislaw Jerzy Lec hat geschrieben: «Es gibt eine ideale Welt der Lüge, in der alles wahr ist.» Deshalb sind wir so wichtig. Aber es ist schwierig. Predigen darf man nicht zu oft, das haben die Menschen nicht gern. Ich habe im Gegensatz zu anderen auch nie behauptet, ich würde Entwicklungen voraussehen.
Heute habe ich eher den Eindruck, der Journalismus sitzt auf dem Thron aber nicht zwischen den Stühlen.
Quelle: Ivo Mijnssen www.nzz.ch
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interessanter Artikel interessanter mann Neugierig machender piqd - wenn da nicht der unvermittelt und völlig unnötige letzte Satz wäre: wieso plötzlich dieses Journalisten-Bashing? (und hierdurch aufmerksamer geworden: was soll der Titel?).
schade.
Zumindest in Österreich kniet der Journalismus vor dem Thron und hält die Hände auf.