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Europa

Ein alter weißer, weiser Osteuropäer - Paul Lendvai

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDonnerstag, 05.08.2021

Wenn man, wie Paul Lendvai, die 90 überschritten und in dieser Zeit drei Leben gelebt hat, dann ist dies ein Erfahrungsschatz. Noch dazu, wenn man mehrere Identitäten in sich vereint. Als gebürtiger Ungar, überzeugter Österreicher und Jude. Als glühender jugendlicher Kommunist hat er in Ungarn die Sozialdemokratie mit begraben um dann selbst in die Opposition zur Partei zu gehen. Dann ins Gefängnis und ins Berufsverbot. Die Flucht in den Westen lag nahe. Mit dieser Vita wird man wohl gelassener, was Erregungswellen angeht. Umso interessanter im Interview, sein Blick auf unser heutiges Europa und speziell den Osten. Erster Punkt, der Westen versteht zu wenig von den Ländern Osteuropas. Ein Muster, dass man in vielen anderen Analysen findet.

Bis heute betrachtet man die Oststaaten als eine Einheit. Der Ostblock war das in dem Sinn, dass er mit Ausnahme Jugoslawiens und Albaniens unter sowjetischer Kontrolle stand. Aber die Entwicklungen waren in jedem Land sehr unterschiedlich. Heute gibt es viel zu wenige Korrespondenten westlicher Medien, um die Staaten wirklich zu beobachten.

Zweiter Punkt seiner Einschätzung, die ungleichen demokratischen Traditionen, verglichen mit Westeuropa. Lendvai zitiert Popper, der meinte,

die ersten wirklichen Schritte hin zur Demokratie in Osteuropa würden fünfzig Jahre dauern, weil der Kapitalismus eben keine wohltätige Einrichtung sei. Er (Popper T.W.) sah die grossen Enttäuschungen voraus, die wir heute erleben.

Und als dritter Punkt der Problemanalyse, das Gefühl in den „Ostländern“, man sei als Bittsteller in die EU gekommen. 

Manche empfinden dies als Erniedrigung durch das Ausland. Populisten haben das verstanden und inszenieren sich als Verteidiger der nationalen Identität. Nationalismus kann eben immer verwendet werden: Er ist wie Bitcoin, aber gut! (Lacht.)

Für Ungarn spielt das Trauma von Trianon, wo nach dem 1. Weltkrieg zwei Drittel des Territoriums abgetrennt wurden, eine anhaltende Rolle. Ähnlich offensichtlich wie der Versailler Vertrag für Deutschland hinterließ das offensichtlich historisch tiefe Spuren.

Ja, die Ungarn sind ein zerstückeltes Volk, aber Trianon ist lange her. Ich erinnere mich noch daran, wie glücklich ich war, als Ungarn 1938 als Verbündeter von Nazi-Deutschland Teile der Slowakei «zurückerhielt». 

Heute gibt es zwar keine Drohungen mehr aus Ungarn gegen die Nachbarländer. Aber aktuelle Schulbüchern verfälschen oft die Geschichte nationalistisch, was für die Zukunft eines gemeinsamen Europas kein guter Weg ist.

Vierzig Jahre Sozialismus unter Janos Kadar als „lustigste Baracke des Sozialismus (auch Gulaschkommunismus genannt) hatten den Magyaren vergleichsweise große Freiheiten und etwas höheren Wohlstand beschert. Daher dachten viele, der Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft würde in Ungarn reibungslos funktionieren. Doch auch in Ungarn währte das demokratische Interregnum nach 1989 nur kurz. Dieser „Gulaschkommunismus“ wirkte offensichtlich

auch korrumpierend, und 1989 gab es im Gegensatz zu Polen keine wirkliche Revolution. Stattdessen haben alle gemeinsam weitergemacht: Dass die Liberalen mit den Postkommunisten eine Koalition bildeten, war die Ursünde. Das ist, wie wenn ein Gefangener und der Gefängnisdirektor zusammen eine Firma gründen.

Am Ende der nie geklärten Widersprüche stand die Ära Orbans. Sein Erfolgsrezept, er

stammt aus dem ländlichen Milieu und spricht die Sprache dieses Bevölkerungsteils. Zudem verfügt er über politisches Gespür, so etwa in der Flüchtlingskrise. Er kontrolliert die Medien und seine eigene Partei, in der kein kritisches Wort über ihn fällt. Orban ist ein hochbegabter, zynischer Machtpolitiker. Er kennt das ungarische Volk und dessen Psyche. 

Nun läuft er, so Lendvai, wohl Gefahr, den Bogen zu überspannen. Und er könnte in der Konfrontation mit der EU zu weit gegangen sein.

Interessant auch das Berufsethos von P. Lendvai als Journalist:

Ein Journalist stellt keine Weichen, der beste Platz für ihn ist zwischen den Stühlen. Wir sind Notare, und wir können mit unseren Artikeln gegen die Dummheit kämpfen. Der polnische Schriftsteller Stanislaw Jerzy Lec hat geschrieben: «Es gibt eine ideale Welt der Lüge, in der alles wahr ist.» Deshalb sind wir so wichtig. Aber es ist schwierig. Predigen darf man nicht zu oft, das haben die Menschen nicht gern. Ich habe im Gegensatz zu anderen auch nie behauptet, ich würde Entwicklungen voraussehen.

Heute habe ich eher den Eindruck, der Journalismus sitzt auf dem Thron aber nicht zwischen den Stühlen.


Ein alter weißer, weiser Osteuropäer - Paul Lendvai

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Kommentare 13
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

    interessanter Artikel interessanter mann Neugierig machender piqd - wenn da nicht der unvermittelt und völlig unnötige letzte Satz wäre: wieso plötzlich dieses Journalisten-Bashing? (und hierdurch aufmerksamer geworden: was soll der Titel?).
    schade.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      Nun, offensichtlich haben sich die Gewichte in der Auffassung von Journalismus verschoben. Es wird oft gepredigt, man meint die zukünftigen Entwicklungen definitiv zu kennen, verteilt moralische Noten, auch um Weichen zu stellen usw. Gegeben hat es das wohl immer schon. Nur selten so stark, so einseitig dominant. Wenn man mal vom Journalismus in Diktaturen absieht. Aber die haben wir nicht. Journalisten scheinen sich eher selbst zur Partei zu formieren, zu einer gestaltenden Kraft. Natürlich, gilt das nicht für alle Journalisten. Aber den Notar, der abwägend festhält, was ist, den spielen m.E. nur noch wenige. Was für mich der Unterschied ist zu Paul Lendvai's Auffassung.

      Ja, der Titel, was soll er? Auf ein Stück "Altersweisheit" aufmerksam machen. Sie ist so selten, meine ich.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      Und zeigt der Lebenslauf nicht beispielhaft, wie man als weißer Mann in Europa diskriminiert, zum Opfer wird, auch selbst Täter und dann oder daraus in seiner Epoche lernt, weise zu sein. Deswegen die Überschrift.

    3. Annette Janssen
      Annette Janssen · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl @Thomas Wahl auf die Erklärung zur Überschrift bezogen: nichts verstanden. Nur zur „reißerischen“ Einleitung missbraucht.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      @Annette Janssen Wer hat was nicht verstanden?

    5. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl nein. zeigt es nicht. Lendvai ist doch nicht als weißer Mann zum Opfer geworden! Im Gegenteil...

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      @Cornelia Gliem Aber sicher ist er als weißer Mann Opfer geworden. Allerdings nicht weil er weiß war. Sondern erst als Jude und dann als Andersdenkender. Diskriminierung bleibt Diskriminierung, Opfer ist Opfer. Die Sortierung, die Hierarchisierung der Opfer nach Hautfarbe grenzt m.E. an Rassismus.

    7. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Jetzt werden Sie aber albern.
      Mit der Argumentation könnten Sie auch sagen er wäre diskriminiert worden weil er Paul heißt: "wer ist eigentlich Paul?"

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Cornelia Gliem Ich schrieb, bzw. ich meinte, er ist diskriminiert worden weil er Jude war und dann Andersdenkender (weißer Mann). Was ist da nicht zu verstehen? Das "weiß sein" war nicht der Grund ein Opfer zu werden. Weiße Männer sind allerdings auch nicht nur Täter. Was natürlich ebenso für Paule gelten kann. Nur wurden die noch nicht pauschal als Tätergruppe diffamiert.

      Ich denke, dabei können wir es bewenden lassen.

  2. Michael Eisner
    Michael Eisner · vor 3 Jahren

    Zumindest in Österreich kniet der Journalismus vor dem Thron und hält die Hände auf.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      Vielleicht auch das …..

    2. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Es geht nicht beides.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      @Cornelia Gliem Ja, unglücklich formuliert. Man könnte sagen, Journalismus sitzt auf dem Meinungsthron und kniet vor dem Geldthron oder so. Jedenfalls sitzen nicht mehr so viele Journalisten zwischen allen Stühlen.

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