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Kurator'in für: Fundstücke Medien und Gesellschaft
Mag es, gute Geschichten zu erzählen.
Mag es, gute Geschichten zu lesen.
Mag es, gute Geschichten zu teilen. Das tut er hier.
Mag es gar nicht, in der dritten Person über sich zu schreiben.
In den vergangenen anderthalb Jahren habe ich zu viel gekauft. Viel zu viel. Ich habe versucht, die Corona-Langeweile durch exzessives Online-Shopping zu durchbrechen. Die Pandemie hat das Belohnungszentrum meines Hirns verkümmern lassen, also habe ich mir das Dopamin herbeikonsumiert.
Das ist aus zwei Gründen schlecht. Erstens ist der Reiz nicht nachhaltig. Manchmal ärgere ich mich schon, wenn ich das Paket auspacke. Hätte ich das jetzt wirklich gebraucht, frage ich mich. Eigentlich wollte ich doch weniger Dinge besitzen, nicht mehr. Aber zurückschicken möchte ich auch nichts, weil Klimakrise und so. (Dass ich daran besser vor dem Kauf denken sollte, ist mir bewusst.)
Womit wir zum zweiten, weit größeren Problem kommen, kein individuelles, sondern ein globales: Wir Menschen in entwickelten Ländern konsumieren mehr, als die Erde aushalten kann. Doch wenn wir über Turbokapitalismus, Ressourcenknappheit und globale Erhitzung sprechen, dann sind Konsumentïnnen nur ein Faktor. Genauso wichtig sind jene, die Angebote machen und Kaufanreize setzen – Unternehmen, Werbe-Agenturen und Marketing-Menschen.
Deshalb gibt es The Ethical Move. Die Initiative möchte den absurden Kreislauf aus Produzieren, Kaufen und Wegwerfen durchbrechen:
The world is shaped by how we buy and sell: we are trapped in an endless loop of wanting and buying more.
Doch statt alle Verantwortung allein den Konsumierenden aufzubürden, haben die Initiatorïnnen Kriterien für ethisches Marketing definiert:
It’s high time we, as sellers of goods and services, take responsibility for the part we play in the cycle of consumerism. Our marketing relies on scare tactics and psychological manipulation, and it is keeping our consumers weak and insatiable. We have the power to change that. We are the ones to break this cycle, to level the playing field.
Moritz Orendt, der hier ebenfalls piqd, hat darüber mit Sabine Harnau gesprochen, eine von sechs Frauen hinter der Bewegung. Sie ist 2018 zu The Ethical Move gestoßen:
In einer Facebook-Gruppe hat ein Gruppenmitglied gepostet, dass sie einen Pledge vom Ethical Move gemacht hatte. Und zwar, dass sie in Zukunft keine Charm Prices mehr verwendet. Bei einem Charm Price kostet etwas nicht 400 Euro, sondern 399 oder 395 Euro. Wir als Konsumierende sehen vor allem die linke Zahl und halten das deswegen unbewusst für einen niedrigeren Preis, als er tatsächlich ist. Das war der erste Pledge damals: Diese Art von Manipulation machen wir nicht mehr mit, und wir unterschreiben mit unserem Namen und unserer E-Mail-Adresse, dass wir das einhalten werden.
Das ganze Projekt ist sehr links und sehr antikapitalistisch – aber nicht weltfremd:
Ich halte es für unrealistisch, dass wir gar nichts mehr verkaufen. Wir können nicht alle Selbstversorger:innen werden. (…) Es geht meiner Meinung auch nicht darum, dass ich keine Waren oder Leistungen mehr anbieten und einen Überschuss erwirtschaften kann, der es mir erlaubt zu leben. Das gab es ja schon immer. Aus meiner Sicht müssen wir Kapitalismus und Geschäftsleben voneinander trennen.
Ich hatte zuvor nichts von The Ethical Move gehört und muss mich noch mit allen Zielen vertraut machen. Auf den ersten Blick sieht das für mich aber nach einer sinnvollen Initiative aus, die mehr Aufmerksamkeit verdient hat.
Quelle: Moritz Orendt Bild: The Ethical Move moritzorendt.com
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Vielen Dank für diesen piq und die Info zu The Ethical Move. Klar, ist das nur ein Fragment des Systems, doch irgendwer muss ja beginnen. Wenn sich nie jemand bewegt, bewegt sich nichts.
"Menschen haben schon sehr lange Handel miteinander getrieben. Das heißt nicht, dass die schon immer kapitalistisch orientiert waren. Leute haben vor der Industrialisierung in der Regel weniger gearbeitet — oft nur so viel, wie sie mussten, um sich und ihre Familie zu ernähren."
Das trifft es sehr gut, finde ich. Ich frage mich, ob Jäger und Sammler auch schon gehandelt haben. Oder haben sie eher getauscht? Eines haben sie definitiv getan: geteilt.
Ich persönlich finde, dass Menschen nicht zum Shoppen auf der Welt sind. Auch wenn viele sich genau so verhalten - freiwilig oder gezwungener Maßen?
In John Streleckys Buch "Das Café am Rande der Welt" kommt ebenfalls ein Passus über Marketing vor. Ich habe das Buch zum Anlass genommen, zu fragen: Wofür bist du hier? Zum Shoppen? https://www.klub-der-k...
Wie so oft, liegt die wahre Ursache in jedem Menschen selbst. Solange wir Konsum anscheinend brauchen, um nicht erfüllte Bedürfnisse, Zweifel und Komplexe auszugleichen, sind wir offen für Werbung, die uns "ein besseres Leben verspricht". Wer hingegen wirklich bei sich selbst ist, weiß, dass es einfacher ist, ein gutes Leben zu führen, indem man es einfach führt. Nicht, indem man Bedingungen damit verknüpft, für die man Geld braucht, das man verdienen muss, indem man Zeit und Arbeit investiert und somit nicht ausreichend Zeit hat, um zu leben.
Ergibt das Sinn?
Das ist jetzt vielleicht etwas technisch, aber ich glaube, dass der Begriff des Marketing auch oft falsch verstanden wird. Es geht grundsätzlich nicht nur ums werben und verkaufen. Eigentlich ist es ein ganzheitlicher "marktorientierter" Ansatz bzw. Management- oder Führungsstil, über den die Unternehmensziele erreicht werden sollen. So wie Marketing heute oft verstanden oder praktiziert wird, war es ursprünglich nicht gedacht. Für mich würde ein ethisches Marketing vor allem bedeuten, dass sich die Unternehmensziele ändern müssten.
Marketingdefinition: http://www.daswirtscha...
Was für eine Erkenntnis: »Die Art wie wir verkaufen, verändert die Welt.«
Eben. Das ist ja das Problem.
Dass ausgerechnet (überspitzt) „Marketing für kein Marketing“ die Lösung sein soll, hat Unterhaltungswert. Marketing ist „aus sich heraus“ vom Kapitalismus getrieben – der vom Geschäftsleben getrennt werden soll.
Das Dilemma ist die Definition von »Überschuss…der mir erlaubt zu leben«: Womit erziele ich den? Vor allem, wenn damit noch Hersteller, Lieferketten, Lager- und Ladenmieten und vor allem die Marketing-Treibenden bezahlt werden sollen?
Ist es ethisch, Kosmetik-Artikel wie Nagellack, Haarspray, …, herzustellen oder zu verkaufen (von Marketing dafür gar keine Rede…) – brauche ich die um „zu leben“? Oder ein neues Auto alle paar Jahre mit immer mehr PS (oder „hipper“ Kilowatt mit „Supercharger“-Anschluss), einen langen Jahresurlaub, … ?
„Konsum“ gilt zumindest in der westlichen Welt als Lebensnotwendig für die Wirtschaft, für das Funktionieren unserer Gesellschaft, als Ausdruck unserer „Werte“.
Marketing ist dafür lediglich eine Ausdrucksform. Die Annahme, dass Marketing die Triebfeder dafür sei, ist m.E. eine Fehleinschätzung davon, wer das Huhn und wer das Ei ist.