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Kurator'in für: Europa Fundstücke Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953, geboren in Bünde/Westfalen. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Bielefeld und Marburg/Lahn ab 1989 Leiter des Industrie- und Sozialpfarramtes des Kirchenkreises Herne. Von 2007 bis 2009 Referent für Sozialethik an der Evangelischen Stadtakademie Bochum. Von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments (DIE LINKE). Mein persönliches Highlight im EP: Ich war Berichterstatter für die Zahlungskontenrichtlinie, die jedem legal in der EU lebenden Menschen das Recht auf ein Bankkonto garantiert. Seit 2014 freiberuflich tätig. Publizist. Diverse Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Publikationen, seit Dezember 2016 Herausgeber des Europa.blog und seit Juni 2020 auch Herausgeber des "Ruhrpott Podcast".
Auf Mastodon: @[email protected]
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Für den Moment hat die Diplomatie versagt. Die russische Armee (wir sollten nicht von Russland sprechen, denn zum einen ist das eine geografische Größe und kein handelndes Subjekt und zum anderen steht nicht die ganze russische Gesellschaft hinter diesem Krieg) hat die Ukraine anlasslos überfallen. Für viele ist dieser Krieg etwas, das nicht vorstellbar war.
Aber wie geht es jetzt weiter? Elsa Koester hat auf diese Frage Antworten gesucht. Ich finde, ihre Antworten sind es wert, gelesen zu werden.
Zunächst einmal erinnert Elsa Koester unter Verweis auf Arbeiten des Kulturwissenschaftlers Klaus Theweleit und der Historikerinnen Ute Frevert an die verheerenden gesellschaftlichen Wirkungen von Kriegen – gerade nicht nur im Sinne materieller Zerstörungen:
Gleichzeitig sitzen die Traumata, die im Krieg angesichts dieser Enthemmung von Gewalt erlebt werden, tief. Russische und ukrainische Soldaten sind dieser Gewalt jetzt ausgesetzt, üben sie aus. Ihre Familien sorgen sich um sie, und auf gewisse Weise ist jetzt schon klar, dass ihre Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern und Partner*innen nicht so zurückkehren werden, wie sie gegangen sind. Sie werden Ängste erlebt und Brutalität ausgeübt haben, die für Daheimgebliebene nie nachvollziehbar sein werden. Sie werden Dinge erlebt haben, die Einfluss auf die Beziehung zu ihren Kindern haben wird. Dieser Krieg wird das Aufwachsen von Kindern in der Ukraine, in Russland und in Osteuropa brutalisieren, wie es vielleicht schon so viele kriegerische Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg zuvor taten, in Jugoslawien, im Kosovo, in Georgien, in der Türkei.
Was Elsa Koester hier beschreibt, ist aus meiner Sicht das entscheidendste Argument gegen Kriege und dafür, alles zu tun, sie zu vermeiden.
Aber wie kann es weitergehen? Kann und darf mensch mit Politikern verhandeln, die wie Putin ohne Rücksicht und Skrupel einen völkerrechtswidrigen und vollkommen anlasslosen Überfall auf ein Nachbarland befehlen, fragt Elsa Koester?
Ist unsere Generation überhaupt noch in der Lage, mit Gegnern umzugehen? Allzuhäufig machten die politischen Debatten unserer Zeit bei der Feststellung halt, dass ein Antisemit ein Antisemit ist, ein Rechter ein Rechter und ein Sexist ein Sexist. Was dies nun für das gesellschaftliche Zusammenleben bedeutet, wie also ein Umgang mit dem politischen Gegner aussieht, wurde kaum erfragt. „Nazis raus!“, dieser Slogan war prägend für die vergangenen Jahre, und: „Mit Rechten redet man nicht“.
Was aber, wenn man einen Rechten nicht einfach rausschmeißen kann? Wenn man mit ihm einen Umgang finden muss? Geht das?
Um die oben beschriebenen psychischen und sozialen Zerstörungen, die Kriege verursachen und die über Generationen nachwirken, zu vermeiden, votiert Elsa Koester – m. E. völlig zu Recht – dafür, sich nicht in den Strudel von Gewalt hineinziehen zu lassen und weiter nach Auswegen aus der Gewaltspirale zu suchen. Da Empörung keine Lösung eines Konfliktes ermöglicht, heißt das für den Moment, auch mit Menschen wie Putin verhandeln zu müssen und sich für den Augenblick der Macht des Faktischen zu stellen, um der Barbarei dieses von Putin initiierten Krieges ein möglichst schnelles Ende zu bereiten. Fertige Erfolgsrezepte dafür gib es allerdings nicht. Auch das muss gesagt werden. Es ist ein Weg ins Ungewisse. Weshalb es geboten ist, sich darauf einzulassen, hat Elsa Koester m. E. überzeugend dargelegt.
Quelle: Elsa Koester www.freitag.de
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Man muss miteinander reden, aber reden auf Augenhöhe und immer rechtzeitig. Zu Beginn
seiner Zeit als Regierender und auch noch später, man denke an die Rede im deutschen Bundestag, da war z.B. Putin noch relativ friedlich und man hätte mit Ihm bestimmt norma-le Vereinbarungen treffen können aber man hätte Ihm das Gefühl der Augenhöhe geben müssen. Ein Mensch, der sich gleichwertig fühlt und ihm das auch zeigt, wird nomalerweise auch Vereinbarungen einhalten. Das soll alles keine Entschuldigung für den heutigen Krieg sein, aber es hat mal wieder einen Krieg gegeben, den wir schon einmal hatten und auf eine Person bezogen ist.
Was man heute so liest und hört, ist, dass er sich vom Westen nicht Ernst genommen ge- fühlt hat und so hat sich im Laufe der Jahre sein Bild und seine Hinwendung zum Westen gewandelt. Es ist ja schon aus heutiger Sicht seltsam, dass wir uns fragen müssen, an was hätte er sich wenden oder mit wem hätte er sprechen können und so hat er sich aus meiner Sicht seinem Land verschrieben und das wohl zu seiner Religion gemacht. Aus mensch- licher Betrachtung sind wir ja alles Germanen, in Russland jedoch gibt es weit über 100 Nationen, verschiedenste Volksstämme und man kann nicht mit so vielen unterschiedlichen Menschen klarkommen und versuchen eine Meinung uu bilden u.v.m. Natürlich betrachtet, wäre seine Hinwendung zum Westen ihm auch entgegen gekommen.
Ich könnte noch länger darüber referieren will aber nur eines sagen, was er jetzt macht hat mit dem zuvor gesagten nichts mehr zu tun, ist auch nicht zu entschuldigen ich frage mich jedoch ob dieser Krieg nicht vermeidbar gewesen wäre.
Man sieht auf jeden Fall jetzt, es muss erst etwas sehr schlimmes, brutales passieren , bevor die Menschen sich zusammen schliessen.
Trotz allem einen schönen Abend
Ich kann Dominik Lenné nur zustimmen: im Gegensatz zum gerade sich entfaltenen Narrativ, dass wir Deutschland / der Westen falsch gelegen hätten mit Frieden Völkerrecht Verabschiedung der Denkweise 19. und 20. jh und mit dem Wunsch nach Abrüstung und Reduzierung des Militärischen und dass jetzt gaaaanz schnell wir alles nachholen müssten, im Gegensatz dazu bin ich überzeugt, dass wir damit richtig lagen. und liegen. Allerdings in zwei Punkten müssen wir etwas ändern: wir brauchen starke internationale Organisationen wie EU (=und UNO, aber das funktioniert ja durch die Sicherheitsrat-Architektur in solchen Fällen wie jetzt nicht) und wehrhafte 'Arme' dazu, wie eine echte EU-Armee (und Nato).
Das sind aber Punkte, die nicht im Rückschritt und Rückgriff begründet sind, nein. Eine echte starke EU mit einsatzfägigem Militär wird ja schon länger gefordert. und ja dazu gehört auch dass ein so großes Mitgliedsland wie Deutschland u.v.a. sein eigenes Militär vernünftig ausrüstet! (...verstehe sowieso nicht wie wir an die ganze Welt 'begehrte' Waffen verkaufen können und selbst so grottenschlecht darstehen!).
und zum 21. jh gehört dass wir weiter das Völkerrecht ausbauen und weiterhin wehrhaft machen: da hatte sich immerhin in den letzten 30 Jahren viel getan.
Aber ein Gesetz und ein Gericht ohne Polizei funktioniert auf Dauer eben nicht.
Kleine Anmerkung zum Schluss:
Putins Argumentation von wegen territoriale Integrität gelte nicht weil Bürger im Land in Gefahr (=was ja die USA beim Einmarsch in den Irak u.a. auch benutzten) sollte man tatsächlich ernst nehmen (= Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat das immer schon angekratzt)
- und gegen ihn und andere Autokraten Diktatoren verwenden.
Denn bei allen guten Gründen für die quasi Heiligkeit von Grenzen und Staatssouveränität ist unsere Welt doch so zusammen gewachsen, dass wir als globale Zivilgesellschaft schon länger Probleme damit haben, Menschen im Stich zu lassen lassen zu müssen, "nur" weil sie hinter Staatsgrenzen gefangen sind. ..
letztendlich also müsste könnte die aktuelle Krise für den Westen bzw. die sog. Erste Welt ein Anlass sein, die Welt auch politisch als EINE zu verstehen und zu gestalten, / gestalten zu wollen (zusammen mit allen Bürgern der Welt!):
es gibt schließlich genug Aufgaben und Probleme, die - wie immer gebetsmühlenartig behauptet - nur gemeinsam zu lösen sind: Klimakrise. Welthunger. Krieg und Flüchtlinge.
Wichtiger Tweet - Quatsch Piq, ich bin schon ganz verdorben!
Ich finde es gut, dass DE "pazifistisch" und "schwach" war, ein friedlicher (Halb-)Riese auf der Suche nach common sense (und Wohlstand, natürlich). In einem gewissen Sinne finde ich es sogar gut, dass wir naiv waren und uns den Rückfall um 80 Jahre in Europa nicht vorstellen wollten.
Ich habe hier (https://www.youtube.co...) die Analyse des Chicagoer Politikwissenschaftler John Mearsheimer von 2015 angehört, in der er i.W. sagte: Die EU seien Menschen des 21. Jahrhunderts, Putin und die Chinesen und auch die USA hingegen Menschen des 19. Jahrhunderts, für die internationale Politik darin besteht, Macht und Einfluss zu erlangen oder zu verteidigen. Wir sind nun gezwungen, unsere "21.-Jahrhundert-Denke" wieder etwas zurückzunehmen und mMn sollte dies bewusst und explizit temporär sein. Es sollte als Rückschritt benannt werden, um nicht die Orientierung zu verlieren, und das mittelfristige Ziel sollte explizit eine inklusive Europäische Sicherheitsarchitektur sein, mit wieder geringen Rüstungs- und hohen Dekarbonisierungsausgaben.
Dann würde ich gern die Diskussion um die anthropologische Komponente erweitern. Seit einer Million Jahren - müssen wir annehmen - sind Menschengruppen gelegentlich über ihre Nachbarn hergefallen, um ihr Territorium zu erobern. Meines Wissens ist das ein kollektives Verhalten, das viele, wenn nicht alle, in Gruppen lebenden Raubtiere und auch Schimpansen kennen.
Da es kein individuelles Verhalten ist, benötigt es kommunikative Geschehnisse, die die Gruppe auf die aufkommende Aggression einstimmen und sie koordinieren. Die Herausbildung eines Führers, Feindseligkeit, das Gefühl der Stärke der eigenen Gruppe könnten atmosphärische Qualitäten sein, die sich in den Interaktionen herausbilden, erst kaum merklich, dann immer manifester. Bei Tieren durch Dinge wie Mimik und Gestik, Tonfall der Lautäußerungen, vielleicht auch Geruch gefördert. Beim Menschen kommt nur noch die Rhetorik dazu. Der Kriegsmodus wird eingeleitet durch kleinere Akte der Aggression, die Erfolgserlebnisse bringen und eine Eskalation heraufbringen. Wenn man sich das so ausmalt, sieht man Hitler und Putin sofort vor dem geistigen Auge aufsteigen: Die Kette kleinerer und immer größer werdender Grenzüberschreitungen bekommt plötzlich einen Sinn.
Ruhm und Ansehen gehören auch dazu. Zu allen Zeiten wollten die Herrscher mächtig sein und gefürchtet und nicht nur sie - der kleine Mann (hier bewusst "Mann") ergötzte sich ebenfalls an dem Gefühl, einer mächtigen Nation anzugehören, wie wenig er persönlich auch dazu beigetragen haben mag. Das sehen wir überall. In einer Welt, in der ein Überfall durch die Nachbarn alle fünf oder zehn Jahre vorkam, war das sehr wichtig und von evolutionärem Vorteil. Als stark zu gelten, hemmt den Tatendrang der Feinde. Das ist das Erbe in uns, das wir uns bewusst machen müssen.
Was ist daraus zu lernen? Auf die Stimmung, die Rhetorik, die Themensetzungen und die Framings zu achten, sie zu reflektieren und im eigenen Sinne zu beeinflussen. Weil dieses kollektive Verhalten in uns Allen als Möglichkeit angelegt ist, kann es auch den Diskurs übernehmen und andere, friedlichere Tendenzen verdrängen.
Es ist müßig, über vergossene Milch zu klagen, aber mir scheint, vielen Menschen ist erst letzte Woche klar geworden, wozu Putins Regime fähig ist. Mich macht das einigermaßen fassungslos.
Ich musste zuletzt sehr oft an Christa Wolfs Roman Kassandra denken, in dem sie beschreibt, wie wenig die Menschen auf das achten, was vor dem Krieg passiert. "Jeder Krieg hat einen Vorkrieg." Und ganz ehrlich, wer aufmerksam war, der konnte ihn ziemlich deutlich sehen. Einige Journalist:innen, die sich mit hybrider Kriegsführung im Zusammenhang mit der Wahlbeeinflussung in USA und UK beschäftigt haben, wurden ignoriert und es wurde versucht, sie mithilfe von LawFair mundtot zu machen, zB Carole Cadwalladr (https://www.theguardia...). Journalist:innen, die auf den Zusammenhang zwischen Korruption, Golden Visas und Putins Machtanspruch aufmerksam machten, wurden ermordet, zB Daphne Caruana Galizia (https://de.wikipedia.o...). Es gibt einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsströmen nach Europa und den Kriegen, die Putins Regime anzettelt oder verstärkt. Auch die Corona-Proteste passen da rein, wie dieser piq festhält https://www.piqd.de/su....
Die neue Kriegskultur funktioniert Informationen, die Justiz und die Not von Menschen zu Waffen um. Das bindet Aufmerksamkeit, hält uns beschäftigt und verwirrt uns in einem Maße, dass es immer schwerer fällt die Spreu vom Weizen zu trennen, das echte Signal vom weißen Rauschen zu trennen. In der Folge sehen wir die Handlungsspielräume nicht, so lange sie noch da sind. Das ist das Ziel dieser Art der Kriegsführung.
Dieser neue Angriff hätte vielleicht nicht stattgefunden, wenn Putin nicht in den letzten Jahren mit den Aggressionen durchgekommen wäre, die er zahlreich begangen hat. Der Westen hat sich dem nicht entschieden und in Einigkeit entgegengestellt, hat seine Handlungsoptionen nicht genutzt, weil es eine starke Abwehr dagegen gab, dass das alles wirklich wahr sein könnte.
Jetzt ist es für vieles zu spät und es bleibt kaum noch etwas anderes, neben dem, was wir alle nicht selber tun wollen. Die Ukrainer:innen haben kaum eine andere Wahl, als zu den Waffen zu greifen. Und ich fürchte, der Westen hat kaum noch andere Handlungsspielräume, als das, was er gerade tut. Wir hängen längst in diesem Krieg drin. So oder so. Dafür hat Putin seit 2014 gesorgt. Und wir selbst schon irgendwie auch selbst.
Man kann jedem Wort zustimmen, mit dem die schrecklichen Verheerungen von Kriegen beschrieben werden, und wie wichtig Frieden für eine positive Entwicklung von Gesellschaften ist. Aber wußten wir das nicht schon vorher? Die Frage: wie kommt man zu Frieden mit einem ruchlosen Aggressor? Wird zwar gestellt. Aber damit endet der Artikel, statt mögliche Antworten wenigstens anzudeuten. So kommen wir nicht weiter.
Natürlich sollte man versuchen mit Menschen wie Putin verhandeln. Wenn er denn will, mit sich handeln läßt. So wie es jetzt aussieht, hält er sich für stärker und übt mit der Waffe in der Hand Gewalt einfach aus. Es geht also gar nicht um das Verhandeln. Das gibt es in einer solchen Situation eigentlich gar nicht. Man hat die Wahl einfach aufzugeben und seine Herrschaft anzuerkennen oder zu sterben oder zu kämpfen. Ich glaube, das hat diese Generation noch gar nicht erfasst?