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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Wenn ich schon im Nebenberuf Buchrezensent sein muß, möchte ich im Nebenhobby wenigstens Architekturkritiker sein dürfen, was sich ja eigentlich fast jeder anmaßt, aber ich versuche immerhin, meine nörgeligen Akzeptanzurteile nach und nach mit Wissen zu untermauern, das ich mir mühsam anlese. In seinem 1986 im Ostberliner Verlag der Nation erschienenen 600-Seiten-Lebensbericht erscheint Konrad Wachsmann (1901-1980) wie ein Zelig der Architektur, weil er offenbar überall dabei war und mit jedem befreundet war, der im 20.Jahrhundert für die Architektur eine Rolle gespielt hat (womit das Buch ein interessantes Gegenstück zu Julius Poseners Memoiren "Heimliche Erinnerungen" ist). Außerhalb Deutschlands ist Wachsmann heute allerdings sicher noch weltberühmter. Er stammte aus Frankfurt/Oder und mußte als Jude das Land in der Nazizeit verlassen (sein Grab befindet sich in seiner Heimatstadt). 1979 hat ihn Grüning auf einer Reise durch die DDR begleitet (zum Einstein-Haus in Caputh, nach Halle an die Burg Giebichenstein, ans Dessauer Bauhaus) und aus den stundenlangen Gesprächen, die er mit ihm unterwegs geführt hat, einen faszinierenden Bericht gemacht (an dem auch beeindruckt, daß er 1986 in der DDR erschienen ist, denn Wachsmann nimmt kein Blatt vor den Mund und Architektur war in diesem Land der kleinen Möglichkeiten und hohen Ansprüche eine sensible Angelegenheit. Ansonsten enthält das Buch nur wenig DDR-Kolorit, z.B. wenn der Chauffeur "Schofför" geschrieben wird, oder wenn es heißt "er nippt an seinem Juice".) Wem man hier nicht alles begegnet! Das Leben eines stetig lernenden und dafür bei den führenden Köpfen seiner Zeit arbeitenden, ursprünglich schlechten Schülers. Möbeltischler in Frankfurt, Studium bei Tessenow in Dresden (Hellerau!), Meisterschüler von Poelzig in Berlin, den er aber verläßt, um seinen eigenen Weg zu finden. Die 20er in Berlin, Piscators Theater, das Romanische Café mit Gestalten, wie dem Dichter John Höxter, der den Einfußrollschuh erfunden hat, mit dem er lange nach Mitternacht in einer Straßenbahnschiene nachhause rollte. Das Büro Le Corbusiers in Paris, für den man umsonst zu arbeiten hatte, schließlich wird Wachsmann Chefarchitekt der Firma Christopf&Unmack, die in Niesky Fertighäuser aus Holz herstellt. Maschinen sind für ihn dabei interessanter als Handwerkstechniken. Für ihn als ausgebildeten Handwerker war die Zeit des Handwerks vorbei. Er glaubt an die Industrialisierung, die Umwandlung des Bauens in einen Montagevorgang. Aber nicht so, wie wir sie kennen. "Die Industrialisierung gibt es doch fast gar nicht. Die Baustellen gleichen noch immer Kraterlandschaften. In die Forschung dieser Industrie wurde bestenfalls ein Zehntel des Betrages investiert, den die Automobilindustrie weltweit für die Werbung ausgibt." Er baut Einsteins Sommerhaus in Caputh, bekommt ein Stipendium an der Villa Massimo in Rom, kehrt in den 30ern von dort nicht nach Deutschland zurück. Er arbeitet als Architekt in Granada und geht schließlich in die USA, wo er eine Firma für Fertigmodulhäuser gründet und an unglaublichen, freischwebenden Dachkonstruktionen für Stadthallen und Flughäfen arbeitet. Das Alter verbringt er unentwegt auf Reisen als Lehrer für Architekten in aller Welt und Propagandist einer Architekturmoderne, die die Mittel der Industrialisierung wirklich nutzt: "Die Langeweile in unseren Städten ist nicht ein Ergebnis der Industrialisierung, sondern eine Folge der Unzulänglichkeit und Ignoranz der Architekten, eingesparter Gelder und Profithascherei. Ebensoviel Schuld haben aber die Bewohner dieser Städte. Sie gehen für höhere Löhne auf die Straße, protestieren gegen Lärm, Atomwaffen und Umweltverschmutzung. Keiner aber kommt auf die Idee, gegen Baubehörden zu protestieren, die unsere Welt der Phantasielosigkeit preisgeben." Word!
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Das gehört definitiv auf meine Leseliste. Danke für den Tip.
In der späten DDR war das Buch ein wichtiges Zeichen der Öffnung. Ich muss bei Gelegenheit mal reinlesen, was die Zeit aus diesem Werk gemacht hat.
Ich hab schon eine (zu) lange Liste an Bücher, die ich mir aufgrund der Empfehlungen in diesem Kanal kaufen möchte. Dieses Buch ist nun aber das erste, das ich mir sofort bestellen musste. Geschichte, Geschichten, Lebensgeschichten, Architektur, Berlin, die 20er, das Bauhaus, Utopien und Visionen, große Enttäuschungen - alles dabei. Danke dafür!