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Pop und Kultur

Cate Blanchett – kolossal, leuchtend, Oscar-verdächtig

Jan Paersch
Autor für taz, NDR, DLF, Jazz Thing und andere
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Jan PaerschMittwoch, 08.03.2023

Time zählt sie zu den "Women of the Year". Für ihren jüngsten Film hat sie bereits ein Dutzend Preise gewonnen. Diesen Sonntag könnte sie für ihr Spiel in "Tár" einen Oscar bekommen – als erst fünfte Schauspielerin, die mit drei oder mehr Academy Awards ausgezeichnet wird (nach Katharine Hepburn, Frances McDormand, Meryl Steep und Ingrid Bergman).

Cate Blanchett ist – laut Der Freitag – die begabteste und risikofreudigste Schauspielerin unserer Zeit. Allerorten wird die Australierin gefeiert für ihre Rolle der Dirigentin Lydia Tár, die sie als "Ikarus des 21. Jahrhunderts" interpretiere, es fallen die Attribute "kolossal" und "leuchtend".

Es ist ein Haneke-artiger Horrorfilm, eine "nuancierte Untersuchung der Korrumpierung durch institutionelle Macht", die durchaus kritisch gesehen wird. Der New Yorker verreißt das Werk, das sich vermeintlich über Cancel Culture lustig mache, "Tár" "verwurste Kunst und hochtrabendes Gerede darüber zu einem aalglatten Päckchen".

Mich persönlich hat dieser vielschichtige Film begeistert, die Kamera- und Schnitt-Arbeit, der Klassik-Nerd-Talk, die Interieurs und natürlich die Schauspielerinnen (Nina Hoss ist auch dabei). Es geht um Cancel Culture, #metoo und verquere Selbstwahrnehmung – das kann man als überfrachtet empfinden. Oder man genießt einen anspruchsvollen Film, der keine klare Position zu diesen Themen einnimmt.

Man solle nicht kritisieren, dass in "Tár" ausgerechnet eine Frau das Monster ist, sagt Blanchett bei Maischberger. Frauen seien noch immer selten in Führungspositionen, nie gab es eine Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters. Deshalb sei der Film ein "Märchen", nur so könne man die systemischen Probleme eingehend betrachten.

Eine nuancierte Analyse und viel Blanchett-Bio bringt Der Freitag, unten gepiqd. Interessant sind die Aussagen des Dresdner Cellisten Daniel Thiele - die vermeintlich in Berlin spielenden Szenen wurden tatsächlich in der Dresdner Philharmonie gedreht. Thiele erzählt, was es nützt, Seife auf einen Geigenbogen zu schmieren.

Cate Blanchett – kolossal, leuchtend, Oscar-verdächtig

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Kommentare 7
  1. Ria Hinken
    Ria Hinken · vor mehr als ein Jahr

    Ich habe den Film mit einer Freundin und einem Freund am vergangenen Freitag gesehen. Alle 3 sind wir aus dem Kino gegangen und waren verwirrt. Die schauspielerische Leistung von Cate Blanchett war großartig. Die Story hatte allerdings einige Lücken. Nachdem ich den Wikipediaeintrag gelesen hatte, habe ich dann die Zusammenhänge verstanden. Meinen Freund:innen ging es genauso. Einige Leute haben das Kino nach einer guten Stunde verlassen. Deren Gründe kenne ich natürlich nicht.
    Obwohl der Film sehr lang ist, war er nicht langweilig.

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor mehr als ein Jahr

    Paula-Irene Villa, Professorin für Soziologie und Gender Studies an der LMU München, Ex-piqerin kommentierte auf facebook so...ich poste das mit ihrer Erlaubnis und weil mir das eine sehr relevante Besprechung zu sein scheint (in 2 Teilen) :

    "so. Tár.
    overrated. ich war etwas underwhelmed. erstaunt hat mich, wie lang er mir vorkam, welche Längen er hat. die sind nicht wirklich langweilig oder überflüssig. aber irgendwie sind grad am Anfang zahlreiche Szenen in der Länge nicht zwingend.
    offensichtlich und vor allem, ist der Film ein Monument an Cate Blanchett. und, ja, sie spielt Lydia Tár richtig richtig gut. als faszinierender, nuancierter und so relevanter wie interessanter Charakter. allerdings, ganz offensichtlich spielen auch Licht, Schnitt, Maske (!), editing eine ganz entscheidende Rolle bei der Rolle. wie immer, klar. aber hier ist das etwas zu auffällig, störend. denn der Film beansprucht schon good ol' Authentizität, es gibt keine edgy Verfremdungen oder (Selbst-)Reflexionen auf das Medium. der Film sagt "ihr seht einfach die Geschichte" ('wir haben nichts damit zu tun'). die vielen Gesichter von Blanchett-Tár wirken daher punktuell zu 'gemacht'.
    then again, das ist schon echt interessant, dass dieser Charakter so viele Gesichter bekommt, haben darf. das ist ein großes Plus, und auch überzeugend. Lydia Tár ist eine komplexe Figur. sie verkörpert Macht, Erfolg, Charisma, Eleganz, Kraft, Souveränität, Disziplin, Überintelligenz, zynischer Humor. auch hier, leicht too much, bisweilen. sie ist nicht nur der Superduperstar der (klassischen) Musik, als Dirigentin, Komponistin, Lehrende, Akademikerin, Pianistin. sie joggt und boxt auch (regelmäßig), kleidet sich auch perfekt, ist perfekt geschminkt. und immer ist sie Cate Blanchett in ihrer hollywoodesken Perfektionsnormschönheit. geschenkt.
    anyhow.
    was ja wirklich interessant ist, ist die irritierende, produktive, gesellschaftlich aufschlussreiche Figur Tár als Verkörperung einer nach wie vor machtmännlich getönten Künstlerstarautoritätsposition. die lange Eingangsszene bringt das brillant auf den Punkt - eine Frau lässt sich die Position gewissermaßen auf den Körper schneidern. eignet sich den maßgeschneiderten Anzug, dieses Symbol hegemonialer bildungsbürgerlich-weißer-cis-hetero-Männlichkeit, nicht nur an, sondern lässt ihn sich ihren Bedürfnissen entsprechend machen. weil sie kann. gleichzeitig weist sie, in derselben Szene, alle 'gender'-Diskriminierungen von sich, hat sie nie erlebt. würdigt die großen Frauen mit kundig-kluger Wärme und Dankbarkeit vor ihr. 'post-gender'. vielleicht lässt sich daran darüber nachdenken, wie Machtmissbrauch immer auch dort gedeiht, wo ideologisch übersehen werden kann / muss, wie Strukturen funktionieren. wenn alles zur Anekdote, zur individuellen Praxis, zur Haltung wird, kann Struktur wirken.
    der Film zeigt durchaus, wie sehr ein traditionelles (Kultur-)Starsystem Übergriffigkeit, Machtcharisma, Intrige nicht mal ermöglicht, sondern hervorbringt und braucht. es ist produktiv irritierend, dass Lydia Tár, diese #metoo-Figur, eine lesbische Frau ist. so lässt sich das auch besser mainstreamen, der Seitenhiebe des Filmes auf 'woke identity politics' inklusive. ich glaube auch, dass der Film genau deshalb so geliebt wird."

    1. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor mehr als ein Jahr

      aber, so einfach ist das womöglich nicht. denn, zum Einen, es hat in real life auch genau solche Fälle klar gegeben, etwa rund um Avital Ronell. auch in unserem #metoo-Buch (Alcalde/Villa 2022, Kentucky U Press) gibt es mindestens einen Text zum Thema queer/trans*-dimensions of #metoo. zum Anderen gelingt dem Film schon eine ziemlich großartige und reflexive vermainstreamung von lesbischer & weiblicher Erfahrung. Die Figur Tár thematisiert das immer mal, hier und da, weiß um ihre soziale Positionierung. Es gibt lesbischen Alltag, als extrem privilegierte bürgerliche (Familien-)Form, mit konventionellem Ehediesdas, mit Kind-Schul-issues, mit Rotwein zum Feierabend und gegenseitigem care. Das ist in seiner konventionellen Selbverständlichkeit für so ein blockbuster ziemlich cool. Und wichtig.
      Wichtig auch, dass genau diese Figur so übergriffig, grenzwertig, narzisstisch, machtorientiert agiert.
      Und, wichtig auch, dass sie fällt über das, was zuvor abgetan wird - als wokigkeit, als fake, als Überreaktion. Der maestro (sic!) hat einfach nicht verstanden, was sie anrichtet. Weil sie es nicht verstehen wollte. Weil sie es ideologisch nicht konnte.
      das Ende: schlimmer neo-kolonialer Herrenmenschenkitisch. Das hätte echt besser.
      Und, schließlich: super cast!! Nina Hoss ist echt große, große Klasse. Noémie Merlant ebenso, und dass sie gecastet wurde, rechne ich dem Film und der Ko-Produzentin Cate Blanchett zu und hoch an.
      also: ja, schauen."

    2. Jan Paersch
      Jan Paersch · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Marcus von Jordan Danke! Das trifft es gut. Und beschreibt eben auch warum es, trotz aller Bedenken, filmisch /technisch gelungen ist, und kein Machwerk, whatever that means
      Ich gestehe, dass mich die vermeintliche arthouse-Inszenierung immer anregt vielleicht auch, weil ich den typisch deutschen fernsehlook unerträglich finde. Aber es ist eben keine behauptete Authentizität. der Film will nah an der Hauptfigur sein, das gelingt. Er tut aber nie so, als wäre man hier in einem wirklichen Berlin

  3. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Cate Blanchett ist eine bemerkenswerte Schauspielerin, allerdings halte ich TAR für ein Machwerk, allerdings aus anderen Gründen als der New Yorker.

    Der ständige Vergleich mit den großen Filmen von Haneke ist falsch.
    Meist behandelt dieser indirekt ein historischen Großthema (bei DAS WEISSE BAND die Verbindung zwischen überstrenger Kindererziehung und Nazismus) oder ein selbst erlebtes existenzielles Problem (LIEBE).
    Niemals ist er, wenn er konkrete Orte wählt, so schlampig wie das Team von TAR. Die Berlin-Geschichten stimmen fast nie.

    Getäuscht von den euphorischen Kritiken, dass hier ein Film auch für ein größeres Publikum wäre, ging ich in Neustadt an der Weinstraße ins Kino, in dessen Nähe ich gerade als writer in residence bin und der dort arbeitende Bildende Künstler begleitete mich.

    Ich habe schon in kleinen Kinos allein oder zu Zweit gesessen, aber noch nie in einem großen Saal - bis jetzt. Wir waren die einzigen Gäste und der Film läuft schon nicht mehr. Auch eine Cate Blanchett konnte dieses Machwerk nicht retten.

    Der Film erfindet eine pseudodramatische Geschichte für die Berliner Philharmoniker, die dort nie stattgefunden hat. Und das geschieht, obwohl die dramatischen Geschichten dieses Ausnahmeorchesters filmisch unerzählt sind.

    1. Jan Paersch
      Jan Paersch · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Verstehe deine Kritikpunkte nicht. Es geht ja überhaupt nicht um Berlin, geschweige denn um die Philharmoniker, es ist eine universale Geschichte. Warum ist es ein "Machwerk"? Warum braucht ein guter Film eine Geschichte, die "so stattgefunden hat"? Und warum der Hinweis aufs fehlende Publikum?

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Jan Paersch Was ist an dem beschriebenen Unterschied zu Haneke unklar? Hier werden epigonal Mittel des Meisters verwendet, ohne diese inhaltlich zu durchdringen.

      Wenn es nicht auch um Berlin geht, warum gibt es dann immer wieder Szenen, die Stadtgeschichte erinnern wollen? Ein Tiefpunkt des Machwerks ist der Dialog im Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt.

      Wenn es nicht um die Berliner Philharmoniker geht, sondern nur um ein universales Orchester, warum spielen Regeln in der Dramaturgie eine Rolle, die es in den meisten Orchestern nicht gibt, aber bei den Berliner Philharmonikern?

      Gerade weil nachweisbar, im Dialogtext wie in den Bildern, Berlin eine Rolle spielt, ist die Frage nach der realen Historie, die in der fiktionalen behandelt wird, nicht nur erlaubt, sondern notwendig.

      Offensichtlich kann dies ein weitgehend kalifornisch-australisches Team nicht leisten.

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