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Zeit und Geschichte

Buchempfehlungen zum Thema "Geschichte"

Dennis Basaldella
Medien- und Filmwissenschaftler, Historiker
Zum Kurator'innen-Profil
Dennis BasaldellaDonnerstag, 14.12.2023

Ich möchte an dieser Stelle all jenen, die sich für Geschichte interessieren, ein paar lesenswerte Bücher präsentieren. Die Übersicht über die Bücher gibt es hier bei yourbook.shop oder wie immer im untenstehenden Link.

Deutschland 1923
Beginnen möchte ich – bevor sich 2023 dem Ende neigt – mit "Deutschland 1923" von Volker Ullrich.
Genau vor 100 Jahren begann für die Weimarer Republik ein Jahr von großer Tragweite. Als Historiker und Wissenschaftler zögere ich immer wieder, zu behaupten, dass historische Ereignisse auf einen einzelnen Auslöser zurückzuführen sind. In der Regel sind es mehrere Faktoren, die Einfluss auf ein Ereignis haben und als Auslöser genannt werden können. Daher ist es schwierig zu behaupten, dass 1923 das alleinige schicksalhafte Jahr für die Weimarer Republik war. Dennoch ereigneten sich in diesem Jahr viele bedeutende Dinge, wie die Ruhrbesetzung, die galoppierende Inflation, das schwindende Vertrauen in den Staat und der gescheiterte Hitler-Putsch. Diese Ereignisse haben den jungen Staat langfristig geschwächt und in vielerlei Hinsicht das Ende der Demokratie eingeläutet.

Nicht überraschend daher, dass im Jahr 2023 eine Reihe von Büchern zu diesem Thema erschienen sind, darunter auch dieses von Volker Ullrich. Das Besondere an Ullrichs Buch ist jedoch, dass es im Unterschied zu anderen nicht nur die politischen und ökonomischen Faktoren dieses Jahres 1923 beleuchtet, sondern auch einen Einblick in die zerrüttete Kultur dieses Jahres gewährt. Somit bietet es auch einen Blick in die Kulturszene der berühmten Zwanziger Jahre. Denn die Unruhe, die sich in diesem Jahr in der Weimarer Republik ausbreitete, manifestierte sich nicht nur in der Politik und der Wirtschaft, sondern auch in der rauschhaften Vergnügungskultur jener Jahre. So tanzen nicht nur Politik und Wirtschaft auf dem Vulkan, sondern auch die Kultur und die Menschen, die sich vergnügen, um zu vergessen – so, als ob es keinen Morgen gäbe.

Frühling der Revolution
Als Nächstes möchte ich das gerade erschienene Buch "Frühling der Revolution" von Christopher Clark empfehlen, das sich mit den Ereignissen der Revolution von 1848/49 befasst, die sich 2023 zum 175. Mal jährt. Clarks Werk als "epochales Werk" zu bezeichnen ist durchaus gerechtfertigt, denn mit beeindruckenden 1.168 Seiten ist es ein wahres Schwergewicht. Wer jedoch Clark und sein wohl bekanntestes Buch "Die Schlafwandler: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" von 2015 (mit "nur" 896 Seiten) kennt, wird wissen, dass keine der über 1000 Seiten langweilig sein wird.

In seinem Buch wirft Clark ein detailliertes Licht auf die verschiedenen Phasen der Revolution, die im Frühling des Jahres 1848 begann. Trotz ihres Scheiterns und der Rückkehr des Kontinents zu alten Herrschaftsformen hat diese Revolution das Gesicht Europas nachhaltig und vor allem unwiderruflich verändert. Der entscheidende Aspekt dieses Buches ist, dass Clark durch seine gekonnte und akribische Arbeit aufzeigt, dass die Revolution nicht auf einen Ort oder eine bestimmte Nation beschränkt war (wie es oft in nationalen Mythen behauptet wird), sondern an verschiedenen Orten und aus verschiedenen Gründen ausgebrochen ist. Die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Revolution führt dazu, dass die verschiedenen revolutionären Bewegungen – bewusst oder unbewusst durch einen gemeinsamen Gedanken verbunden – oft unterschiedliche Vorstellungen darüber hatten, wie ihre Ziele erreicht werden sollten.

Ein weiterer faszinierender Aspekt von Clarks Buch ist, dass er auch die verschiedenen, oft vergessenen Gruppierungen (wie z.B. die Frauen) würdigt, die an der Revolution beteiligt waren und in der Heldenverehrung oft übersehen werden. Am Ende versäumt es Clark nicht, das Nachleben der Revolution zu beleuchten und zu analysieren, wie und ob die Idee der Revolution nach 1849 weitergelebt hat und wie die einstigen Revolutionäre mit dem Scheitern umgegangen sind.

1848
Es ist interessant zu beobachten, dass im Gegensatz zum Thema 1923 in diesem Jahr vergleichsweise wenige Bücher über die Revolution von 1848/49 erschienen sind. Aus diesem Grund eine weitere Empfehlung zu diesem Thema: "1848. Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution" von Alexandra Bleyer.

Obwohl Bleyers Buch mit 336 Seiten deutlich kürzer ist als das ihres Kollegen Clark, steht es diesem in Faszination und Relevanz keineswegs nach. Es kann eine sinnvolle Ergänzung zu Clarks Werk sein. Ähnlich wie er beschreibt auch Bleyer die politischen Dynamiken, die zur Revolution geführt haben, und wirft dabei ebenso einen detaillierten Blick auf verschiedene Personen, die an der Revolution beteiligt waren. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass Bleyer ihren Fokus verstärkt auf die weiblichen Akteurinnen legt – sowohl auf der Seite der Revolution als auch auf der Seite der Gegenrevolution.
Ebenso richtet Bleyer ihren Blick auf die jüdischen Revolutionär:innen und auch auf all diejenigen, die, wie durch Quellen belegt ist, die Revolution zwar beobachtet haben, sich jedoch nicht aktiv daran beteiligt haben. Ihr Buch bietet somit eine umfassende Perspektive auf die verschiedenen Aspekte dieser bedeutsamen historischen Episode.

Gefangene der Zeit
Spätestens jetzt wird deutlich, dass ich ein großer Fan von Christopher Clark bin. Dennoch möchte ich sein Buch "Gefangene der Zeit: Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump" nicht allein aus dieser persönlichen Neigung heraus empfehlen.

Historiker:innen widmen sich der Erforschung und Darstellung der Vergangenheit. Im Idealfall beschränkt sich ihre Arbeit nicht auf eine "einfache" Beschreibung, denn Geschichte ist stets eine Lehrmeisterin. Wenn man nicht aus ihr lernt, holt sie einen schnell ein, und es besteht die Gefahr, die Fehler von früher zu wiederholen. Daher sollte man Schlüsse aus der Vergangenheit ziehen. Oft gestaltet sich dies jedoch schwierig, besonders wenn Dinge zu stark vereinfacht werden. Dabei ist Geschichte nie einfach.
Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor fast 2 Jahren wurden wiederholt zahlreiche Parallelen – um bei Christopher Clark zu bleiben – zum Beginn des Ersten Weltkriegs gezogen. Obwohl sich hier und da einzelne Gemeinsamkeiten finden lassen, ist ein Vergleich der beiden Ereignisse äußerst problematisch, da die Machtverhältnisse und Dynamiken von 1914 deutlich anders waren als die von 2022. Dennoch lassen sich, wie gesagt, immer wieder Parallelen zwischen historischen und aktuellen Ereignissen ziehen. Wer mehr darüber wissen möchte, dem sei diese "Anleitung" von Clark ans Herz gelegt. In einer Sammlung von 13 gleichermaßen scharfsinnigen Essays verdeutlicht Clark anhand aktueller Ereignisse wie dem Brexit oder der Präsidentschaft von Donald Trump, wie historische Geschehnisse, Handlungen sowie Vorstellungen von Macht und Herrschaft bis heute Einfluss haben und stellt die Frage, ob und sie sich wirklich mit heute vergleichen lassen.

Walter Ulbricht
Als Abschluss möchte ich ein Buch vorstellen, auf das ich mit Interesse gewartet habe. Vor allem, weil ich dem Autor und Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk schon länger auf X (ehemals Twitter) folge und so erfahren habe, dass er an diesem Buch schreibt. Doch das ist nicht der Grund, warum ich dieses Buch empfehlen möchte.

Ulbricht, den die meisten vermutlich vor allem wegen seines berühmten Satzes "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" in Erinnerung haben, zählt neben seinem Nachfolger Erich Honecker zu den einflussreichsten Politikern der ehemaligen DDR. Dennoch haben viele Menschen, so mein Eindruck, ein eher neutrales, wenn nicht sogar belustigendes Bild des ehemaligen Staatschefs. Doch Ulbricht ist mehr und vielseitiger als nur der Mann mit der berühmten und lustig anmutenden Fistelstimme und der Staatsmann, der im Unterhemd zusammen mit hunderten Menschen Leibesübungen macht.

In diesem ersten seiner zwei Bücher blickt Ilko-Sascha Kowalczuk auf die frühen Jahre von Ulbricht und zeichnet dessen Lebensweg nach. Dabei skizziert Kowalczuk den Weg Ulbrichts vom braven Parteisoldaten der Kommunistischen Partei der Weimarer Republik über sein Exil bis hin ins Jahr 1945 und damit bis zum Vorabend seiner zweiten Karriere als führender Staatsmann des "ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden". Ungeachtet mancher Kritik am Buch: Wer Ilko-Sascha Kowalczuk und seine Arbeit zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte kennt, der weiß, dass dieses Buch nicht nur fundiert ist (wie die unglaublich große Anzahl an Fußnoten belegt), sondern auch eine kritische und keinesfalls beschönigende Auseinandersetzung mit Ulbricht bietet.

Disclaimer: yourbook.shop ist eine Partnerplattform von piqd, allerdings außerhalb der Stiftung und nicht gemeinnützig. Die beiden Projekte gehen für Empfehlungslisten wie hier eine Symbiose ein. Dabei erhalten die Kuratorinnen eine Provision in Höhe von 10 % auf alle ggf. verkauften Bücher (internes Affiliate bei yourbook).

Buchempfehlungen zum Thema "Geschichte"

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Kommentare 1
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor einem Jahr

    Danke.

    Ergänzend sei noch erwähnt: Jörg Bong schreibt an einer groß angelegten Geschichte von 1848/49.
    Hier der Editionsplan:
    https://www.kiwi-verla...

    Der erste Band erhielt gute Rezensionen:
    https://www.perlentauc...

    Und über Yourbook kann man ihn auch kaufen:
    https://yourbook.shop/...

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