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Zeit und Geschichte

Wandel durch Niederlage? – Wege zum Frieden

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 03.03.2023

Das neue Russland ist in den alten Ruinen der Sowjetunion errichtet worden, es will wieder ein Imperium werden und kann es nicht mehr schaffen.

Eine Dekolonisierung der gestürzten Weltmacht ist – zumindest bald – nicht möglich. Darüber empfahl ich einen Beitrag von te.ma, wo viele wie hier auf piqd wissenschaftliche Ausführungen empfehlen.

Anders als auf piqd werden dort nicht nur Artikel und Interviews anderer gepostet, sondern eigene Beiträge geschrieben und publiziert. Die hier empfohlene Debatte unter Kuratoren kreist um den neuralgischen Punkt, wie man Wege zum Frieden findet.

Diejenigen, die sofortige Verhandlungen fordern, haben keinen Plan, wie beide Seiten, die Täter wie die Überfallenen, jenseits von einem Gefangenenaustausch sich zusammensetzen können.

Aber auch diejenigen, die immer mehr und auch schwere Waffen fordern, wissen keinen Weg, wenn die Ukraine nicht bald Russland schlagen sollte.

Und: Wie sollte ein Sieg über Russland aussehen, der zu einem haltbaren Frieden führt?

Verkannt wird, dass das gegenwärtige Russland bereits auf dem Fundament einer Niederlage errichtet wurde.

...

Flankiert von der größten Deindustrialisierung der Menschheitsgeschichte, schrieb sich die empfundene Niederlage aber tief in das kollektive Gedächtnis der russischen Gesellschaft ein. Putins viel zitierte Aussage, wonach der Zusammenbruch der Sowjetunion die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ gewesen sei, entspringt keiner individuellen Pathologie. Sie stößt vielmehr auf breite Resonanz in der russischen Gesellschaft.

Im te.ma-Kuratorium ist man sich einig über die Bedeutung der Ur-Niederlage des Jahres 1991, aber bei der Frage, wie realistisch und wünschenswert eine russische Niederlage in der Ukraine ist, gibt es unterschiedliche Antworten.

Eine bedingungslose Kapitulation wie 1945 in Deutschland ist für eine Atommacht nahezu unmöglich.

Auch wenn eine progressive Stunde Null wenig realistisch ist, verweist dieses Szenario auf eine wichtige Bedingung einer stabilen Nachkriegsordnung.

Die Anfälligkeit Russlands für kriegerische Regressionen kann nur durch internen Wandel überwunden werden. Aufgrund der Atomisierung der russischen Gesellschaft und der Verhärtung des autokratischen Regimes kann ein entsprechender Impuls aber derzeit nur vom ukrainischen Schlachtfeld kommen.

Wie er nach innen hin Wirkung entfalten könnte (und ob überhaupt), lässt sich nicht vorhersagen.

Eine Niederlage, wie Deutschland sie 1918 erlebte, ist wahrscheinlicher, aber diese schuf Voraussetzungen für eine stärkere Wiederkehr der imperialen Ambitionen und führte zu einem noch verheerenderen Krieg:

Versailles schuf eine Ordnung, die den Siegern gerecht erschien, jedoch durch den damals vor allem ökonomischen Ausschluss der Besiegten den Keim des nächsten Kriegs bereits in sich trug.

Das Leichte, was schwer zu machen ist, ist, eine Niederlage mit Ausweg zu ermöglichen:

Zum einen muss sie die Ukraine befähigen, Russland eine politisch-militärische Niederlage zuzufügen, die auch das tief im russischen Herrschaftssystem verankerte „imperiale Syndrom“ destabilisiert.

Andererseits sollte parallel eine Ordnung vorgedacht und vorbereitet werden, welche den erneuten Rückfall in einen kriegerischen Imperialismus eines Nachkriegsrusslands verhindern kann.

Wenn der "kollektive Westen" Waffen liefert, müssen wohl andere Mächte mit an den Verhandlungstisch:

Es sind aktuell seine verbliebenen globalen Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika, die Russland ggf. in einem multilateralen Rahmen aufzeigen könnten, dass sich ein militärischer Rückzug positiv auf Status und Ansehen des Landes auswirken würde. Auf längere Sicht könnte sich dies auch mit Blick auf Russlands künftigen Platz in der globalen Friedens- und Sicherheitsordnung sowie in der Weltwirtschafts- und Handelspolitik auszahlen.

Facettenreich wird hier eine zentrale Frage unserer Zeit umkreist, die noch nicht zu beantworten ist.

Eins scheint aber eindeutig zu sein in seiner Zweideutigkeit:

Um auf den militärischen Sieg der Ukraine hinzuarbeiten und dennoch gleichzeitig keine erneute und noch revisionistischere Kultur der Niederlage in Russland zu schaffen, bedarf es daher aller vorhandenen politischen, diplomatischen und denkerischen Kreativität.

Wandel durch Niederlage? – Wege zum Frieden

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Kommentare 4
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Ich kenne eigentlich keinen, der eine bedingungslos Kapitulation Rußlands fordert. Der ganze Krieg ist ja stark asymmetrisch. Rußland okkupiert zwar fremdes Territorium aber sein eigenes ist von Angriffen ausgenommen. Ein Szenario wie 1918 oder gar 1945 in D ist völlig unrealistisch. Allerdings wird man ein Gefühl der Niederlage für Rußland m.E. kaum verhindern können. Es sei denn die Ukraine verliert dramatisch.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Das Problem ist, dass dieser Krieg durchaus neue Elemente enthällt, aber auch viele Variationen. Deshalb umkreisen viele Autoren Begriffe wie Faschismus oder Stalinismus oder vergleichen mit anderen historischen Niederlagen.

      Wahrscheinlich war 1991 das russische 1918. Die Niederlage mit wirtschaftlichen Zusammenbruch nährte die Sehnsucht nach der Rückkehr zum Imperium. Bereits 1992 bekämpfte Russland "Faschisten" in Moldau.

  2. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

    Cf. Versailles:
    Einige Gedanken zur ökonomischen Relevanz der zu erkämpfenden russischen Niederlage für die Ukraine am Ende dieses Piqs: www.piqd.de/wissenscha...

  3. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

    Im Enthusiasmus der 90iger wäre esanders möglich gewesen - Aussicht auf EU-Mitgliedschaft oder auch: die EU als Mitglied der GUS. Damit hätte man jeden (fast) jeden Revanchismus den Boden entzogen und zudem Russland eingebunden sowie die Dominanz über die ehemaligen UdSSR -Staaten abgemildert. Denn es war nicht ausgemacht dass 1991 als große Katastrophe empfunden wurde.

    Auch wenn es jetzt wieder unmöglich erscheint - läuft es doch geschichtlich darauf hinaus: eine pan-europäische Föderation. (etwas was die Russen ja derzeit unter diktatorischen imperialen Vorzeichen versuchen.) und nach 1989 hat auch niemand gedacht man könne mit Ostblockstaaten Freundschaft schließen oder 1945 Frankreich mit Deutschland...

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