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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Nun fürchtet er, dass der heutige Krieg neben anderen Entwicklungen zu einem autoritären Kapitalismus führt.
Im Interview für medico erläutert er seine Position und greift auch politisch-geschichtliche Debatten auf, die viele hier von piqd kennen. Subjektiv ist Putin
ein reaktionärer, rechtsextremer, homophober, antikommunistischer Oligarch.
Aber sein Regime, Russland nach dem Ende der Sowjetunion zu gestalten, wäre ohne westliche Mächte und deren Unterstützung nicht entstanden.
Heute greifen für ihn im Krieg in der Ukraine drei Krisen ineinander, zum einen eineDer Westen und allen voran Jeffrey Sachs als Jelzin-Berater, der heute alles bereut, unterstützten erst Jelzin und dann Putin gegen eine mögliche sowjetische Restauration. Lange Zeit hat der Westen also ein panrussisches, autoritäres Regime der Oligarchen gutgeheißen. Jelzin und Putin führten bereits ein neoimperiales Regime an. Diese Entwicklung hat sich beständig selbst verstärkt.
im Weltsystem um die Hegemonie zwischen China, den USA und einer gewissen Multipolarität.
Dann gibt es einen innerimperialistischen Konflikt zwischen Russland und den westlichen Mächten, der eine Geschichte, aber auch eine Gegenwart aus oligarchischen Kämpfen um globale Märkte hat.
Und natürlich einen Nationalstaat, der sich gegen eine Invasion wehrt.
In den letzten beiden Jahrzehnten hieß es stets, wenn eine Krise abflaut, der Neoliberalismus sei nun tot und wird ersetzt. Aber kurz danach gab es eine vermeintliche Auferstehung. Der Irrtum dabei ist für Cedillo dieser:
Man denkt, er (der Neoliberalismus, A. E.) wäre eine Ideologie, aber nein, Neoliberalismus ist Klassenpolitik in einer Zeit, in der der Kapitalismus als eine soziale Beziehung, als sozialer Extraktivismus und Ausbeutung nicht in der Lage ist, die Forderungen der überwiegenden Mehrheit der Menschen in der Welt zu erfüllen. Das trifft auch für die Mehrheit der Bevölkerung in der ersten Welt zu.
medico unterstützte die deutsche Übersetzung von Raúl Sánchez Cedillo neuem Buch "Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine". Gedruckt erscheint es im Verlag transversal texts; auf der Webseite von medico kann man es kostenlos herunterladen.
Im Vorwort erläutert Katja Maurer, die in der Ukraine humanitäre Hilfe leistet, ihre Position zu diesem aufschlussreichen Versuch, etwas Neues jenseits der Rückkehr zur alten "Normalität" zu denken.
Wir befinden uns auf dem Weg in ein globales Kriegsregime, das die Sprache, die politischen Prioritäten, die Demokratie, die Freiheit und die Emanzipation überall extrem gefährdet. ... Klimapolitische Ziele werden umstandslos aufgegeben. Die historische Verantwortung für das ökologische Desaster weicht einem rücksichtslosen Aufrollen ganzer Kontinente entlang der Ressourcen-Begehren der privilegierten Länder.
Die Stärke dieses Ansatzes besteht darin, den Krieg in und um die Ukraine jenseits der Logik der Geopolitik zu verstehen (deren Logik ist deswegen nicht obsolet).
Eine unterschätzte Gefahr: Der Kampf gegen die russische Diktatur könnte eigene autoritäre Tendenzen begünstigen. Die Kritik am blinden Fleck im Westen geht hier nicht einher mit irgendeiner Rechtfertigung der russischen Diktatur. Deren Funktionsweise wird dadurch charakterisiert, dass sie
den äußeren Feind nutzt, um innere Kohärenz zu schaffen und die Verewigung des eigenen Regimes anstrebt. Dass der russische Geheimdienst, der seine stalinistisch-totalitäre Vergangenheit nie aufgearbeitet hat, dazu unter anderem mit inszenierten Terroranschlägen erheblich beigetragen hat, ist fast schon ein Gemeinplatz. Die Zerstörung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und der Tod von ca. 75.000 Zivilist:innen in zwei von Russland geführten Kriegen sind ebenfalls in diese Art Putinsches Kriegsregime eingeschrieben. Gleichzeitig festigte das Regime seine Herrschaft, in dem es sukzessive dafür sorgte, dass die demokratischen Räume, darunter auch die Möglichkeiten für Organisationen wie Memorial, die stalinistische und sowjetische Vergangenheit aufzuarbeiten, immer kleiner wurden.
Vieles in dem schnell geschriebenen und übersetzten Buch ist noch unfertig, aber es gibt die Möglichkeit, Neues zu verstehen und – möglicherweise – zu denken und umzusetzen.
Deshalb ist der letzte Satz des Vorworts wichtig:
„Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine“ ist ein Angang und eine Möglichkeit. Weitere werden folgen.
Quelle: Raúl Sánchez Cedillo, Katja Maurer www.medico.de
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