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Medien und Gesellschaft

Herkunft von Tatverdächtigen: Wie Medien das Zerrbild des kriminellen Ausländers erzeugen

Simon Hurtz
Journalist, Dozent, SZ, Social Media Watchblog

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Simon HurtzDienstag, 10.12.2019

In der Journalistenschule lernt man: erst die Nachricht, dann die Einordnung. Diese Regel ignoriere ich ausnahmsweise. Das Ergebnis dieser Auswertung ist zu niederschmetternd, um Fakten und Meinung klar zu trennen.

Der Mediendienst Integration hat Zahlen der Hochschule Macromedia ausgewertet, die zeigen:

Seit der Kölner Silvesternacht sind Medien getrieben von dem Anspruch, genauer hinzusehen. In der Berichterstattung über Gewaltkriminalität ist jedoch das genaue Gegenteil eingetreten: ein einseitiger Fokus auf ausländische Tatverdächtige.

Das ist nicht meine Zusammenfassung, sondern die Einschätzung des Journalismusforschers Thomas Hestermann, der die Studie erstellt hat. Hestermann hat untersucht, wie häufig Medien die Herkunft von Tatverdächtigen nennen. Das 15-seitige PDF-Dokument ist voller erschreckender Zahlen – hier einige Zitate (teils gekürzt oder leicht bearbeitet):

  • 2014 spielte die Herkunft von Tatverdächtigen in der Berichterstattung über Gewaltkriminalität praktisch keine Rolle. Nur in 4,8 Prozent der untersuchten Fernsehbeiträge wurde die Herkunft ersichtlich.
  • 2017 wurde die Herkunft von Tatverdächtigen in jedem sechsten Fernsehbeitrag zu Gewaltkriminalität erwähnt. Während die Polizei 2017 mehr als doppelt so viele deutsche wie ausländische Tatverdächtige erfasste, kamen im Fernsehen mehr als zehn ausländische auf einen deutschen Tatverdächtigen.
  • 2019 verweist fast jeder dritte Fernsehbeitrag zu Gewaltkriminalität auf die Herkunft der Tatverdächtigen. Von den 175 erwähnten Tatverdächtigen wurden 6 als explizit deutsch beschrieben (3,4 Prozent) und 49 als explizit nichtdeutsch (28 Prozent).
  • 2019 nennt fast jeder zweite Zeitungsbeitrag zu Gewaltkriminalität die Herkunft der Tatverdächtigen. Von 245 erwähnten Tatverdächtigen wurden 7 als explizit deutsch beschrieben (2,9 Prozent) und 101 als explizit nichtdeutsch (41,2 Prozent).
  • In den Zeitungsberichten kommen 2019 mehr als 14 ausländische auf einen deutschen Tatverdächtigen. Damit werden ausländische Tatverdächtige 2019 in Zeitungsberichten 32 Mal so häufig erwähnt, wie es ihrem statistischen Anteil entspricht.
  • Unsere Medienanalyse zeigt: Wird über Gewalttaten mit Messern berichtet, wird fast ausnahmslos die ausländische Herkunft benannt. Greifen deutsche Gewalttäter zum Messer, wird ihre Herkunft kaum erwähnt.
  • Wenn das Fernsehen über Eingewanderte und Geflüchtete in Deutschland berichtet, handelt es sich zu 34,7 Prozent um mutmaßliche Gewalttäter. Bei öffentlich-rechtlichen Sendern trifft dies auf 28,2 Prozent der Beiträge zu, bei privaten Sendern auf 38,7 Prozent.

Hestermann fasst seine Untersuchung so zusammen:

Der Blick auf die gesamte Berichterstattung von aktuellen Fernsehformaten und überregionalen Zeitungen über Eingewanderte und Geflüchtete zeigt: Der gewalttätige Ausländer ist eine zentrale Angstfigur im deutschen Journalismus. In jedem vierten Beitrag ging es 2019 um mutmaßliche Gewalttäter (25,2 Prozent). Unter den überregionalen Blättern erreicht die Bild mit 41,4 Prozent den höchsten Anteil, die taz mit 13,6 Prozent den niedrigsten.

Gudula Geuther, deren Deutschlandfunk-Beitrag ich hier piqe, zitiert Thilo Cablitz, Sprecher der Berliner Polizei. Journalistïnnen fragten ihn nicht nur nach der Staatsangehörigkeit, sondern auch nach Geburtsort oder Migrationshintergrund, kürzlich gar bei einem Verkehrsunfall:

Man kommt irgendwann in die Rechtfertigungsarie zu sagen: Ja, er hat nicht mal einen Migrationshintergrund. Und dann fangen wir an zu erläutern, dass Menschen seit Generationen in Deutschland leben und wirklich deutsch sind. Und da dürfen wir niemals wieder hin zurück.

Wenn ein Polizeisprecher als Kontrollinstanz für Reporterïnnen dienen muss, die wissen wollen, ob Tatverdächtige "wirklich" deutsch sind, dann läuft etwas grundlegend falsch.

Herkunft von Tatverdächtigen: Wie Medien das Zerrbild des kriminellen Ausländers erzeugen

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Kommentare 1
  1. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor 5 Jahren

    "Wird möglicherweise sogar über Taten berichtet, WEIL Ausländer verdächtig sind?" Das finde ich fast noch den schlimmsten Bias aus der langen Liste der schlimmen Verzerrungen ...

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