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Kurator'in für: Fundstücke Medien und Gesellschaft
Mag es, gute Geschichten zu erzählen.
Mag es, gute Geschichten zu lesen.
Mag es, gute Geschichten zu teilen. Das tut er hier.
Mag es gar nicht, in der dritten Person über sich zu schreiben.
Eigentlich hat Samira El Ouassil bereits im August alles zu diesem Thema gesagt. Ihre Kolumne "Canceln wir die Idee der "Cancel Culture'!" stellt die richtigen Fragen und erklärt, warum das Wort ein unpassender Kampfbegriff ist, der unterschiedliche Phänomene miteinander vermischt, (wenige) überzogene Kampagnen mit berechtigter Kritik vermengt und eine vermeintliche Kultur des Cancelns heraufbeschwört, die in dieser Form gar nicht existiert (erst recht nicht in Deutschland).
Doch leider reicht eine Kolumne auf einem Medienportal wie Übermedien nicht, um die aufgeregte Diskussion über Cancelnde und Gecancelte zu beruhigen. Diverse Jahresrückblicke erklärten 2020 zum Jahr der "Cancel Culture" und beklagten den angeblichen Verlust der Meinungsfreiheit – oder zumindest den Verlust einer Zeit, in der man noch fast alles sagen durfte, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Zum Glück schreiben bei besagtem Medienportal noch einige weitere kluge Autorïnnen, darunter Übermedien-Gründer Stefan Niggemeier. Als Grundlage für seine aktuelle Polemik dient ein länglicher Text im Feuilleton der Welt am Sonntag, den die Redaktion mit der passenden SEO-URL "Lindemann-Kant-Maron-Co-Der-Cancel-Culture-Rueckblick-2020" ins Netz stellt. Es ist eine Steilvorlage:
Umso erfreulicher ist es, dass gleich fünf Welt am Sonntag-Autorinnen und -Autoren in der letzten Ausgabe des vergangenen Jahres auf fast einer ganzen Seite noch neun ganz konkrete Beispiele lieferten.
Es ist eine, ganz ohne Ironie, außerordentlich instruktive Übersicht, und man möchte nach dem Lesen sofort einen Preis ins Leben rufen: für den journalistischen Artikel, dem es am überzeugendsten gelingt, das Gegenteil von dem zu beweisen, was er behauptet.
Fast schon genüsslich geht Stefan die Fälle durch, die fast alle eine Gemeinsamkeit haben: Man muss viel Fantasie haben, um darin "Cancel Culture" zu erkennen.
Eine vergebliche Verbotsforderung; ein verzögerter Buchstart, über dessen Gründe wild spekuliert wird; ein verwehter Shitstorm; ein lukrativer neuer Buchvertrag. 2020 war wirklich ein schlimmes Jahr für Menschen, die von "Cancel Culture" betroffen sind.
Auch Immanuel Kant (zwei Historiker fordern, eine Statue auf den Kopf zu stellen), Juli Zeh (ein Spiegel-Autor schreibt einen durchaus differenzierten Artikel), Philip Guston (seine Retrospektive eröffnet später) und die Mohrenstraße (eine Straße in einer Reihe mit Kulturschaffenden und historischen Denkerïnnen – wie verzweifelt muss die Redaktion gewesen sein?) taugen nicht als Kronzeugen für das angeblich ach so antiliberale Phänomen. Der Hass, der J. K. Rowling im Netz entgegenschlägt, ist unschön. Ihre teils transphoben Äußerungen sind es aber auch, und der Fall ist definitiv deutlich komplexer, als es die WamS in zwei dürftigen Absätzen darstellt.
Das letzte Wort überlasse ich Stefan, weil er es so schön auf den Punkt bringt:
Lisa Eckhart, die wahrscheinlich am erfolgreichsten zu Prominenz und Präsenz gecancelte deutschsprachige Künstlerin des Jahres, fehlt übrigens auf der Liste. Vielleicht wäre sie als Beispiel für die schlimmen Folgen der angeblichen „Cancel Culture“ selbst den WamS-Leuten zu doof gewesen.
Wobei: nee.
Quelle: Stefan Niggemeier Bild: Übermedien uebermedien.de
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Die unfasslich transphobe Feststellung Rowlings, dass Frauen Frauen heißen sollten, steht also auf einer Stufe mit der maßlosen, hysterischen Hetze, die ihr entgegenschlägt. Interessant. Und die Tatsache, dass linke Mobs systematisch versuchen, unliebsame Personen nicht nur zu diskreditieren, sondern sie beruflich zu vernichten, ist nicht weiter der Rede wert. Da scheinen doch einige Maßstäbe durcheinander geraten zu sein.