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Fundstücke

Hinter verschlossenen Türen

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
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Theresa BäuerleinMittwoch, 01.05.2024

Man kann sich kaum vorstellen, dass das, was Evy Mages in einem Kinderheim in Österreich erlebt hat, noch vor wenigen Jahrzehnten möglich war. Aber diese Geschichte ist tatsächlich passiert. Und zwar fast 4000 Kindern, bis zum Jahr 1987. 

Seit Jahren wird Mages, eine 55-jährige Fotojournalistin, die heute in Washington, D.C. lebt, von ihren traumatischen Kindheitserlebnissen an eine Villa in Innsbruck,  heimgesucht.  Als sie acht Jahre alt war, wurde sie mitten in der Nacht von ihrer Pflegefamilie abgeholt und in diese Villa gebracht. Wie sie später erfuhr, handelte es sich um eine Art psychiatrische Einrichtung handelte, in der Kinder streng überwacht und kontrolliert wurden. Die Erwachsenen verabreichten ihnen Spritzen und Pillen und stellten bizarre Regeln auf. So zwangen sie die Kinder zum Beispiel, nur ein Minimum an Sprache zu verwenden. Wer beim Essen einen Löffel brauchte, musste etwa „Bitte, Löffel“ sagen. Kleine Fehltritte wurden hart bestraft. Wenn Mages etwa als Kind ihr Bett einnässte, bekam sie eine eiskalte Dusche und musste für den Rest der Nacht in einer Zimmerecke stehen. 

Das Personal, wurde durch Alarmglockensensoren, die in den Matratzen der Kinder – und manchmal auch in deren Unterwäsche – angebracht waren, auf Bettnässen aufmerksam gemacht.  

Als Erwachsene konnte Mages die Erinnerungen an diesen Ort nicht abschütteln, obwohl sie sich in den USA ein erfolgreiches Leben aufgebaut hatte. Schließlich beschloss sie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Sie erinnerte sich an die Straße, in der die Villa gewesen war, und fand heraus, dass diese als Kinderbeobachtungsstation bekannt war, geleitet von Dr. Maria Nowak-Vogl, die unethische Experimente an Kindern durchführte. Eine größere Untersuchung hat mittlerweile den systematischen Missbrauch in dieser Einrichtung aufgedeckt.

Wie Michaela Ralser, Professorin an der Universität Innsbruck, die am Bericht der Kommission mitarbeitete, schrieb, war das Ziel von Nowak-Vogl „der Schutz der Gesellschaft vor psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen“. Ralser beschrieb die Villa als „ein geschlossenes System ..., das durch den autoritären Führungsstil seines uneingeschränkten Leiters gekennzeichnet ist.“
 Wie Evy später herausfand, gab es eine ausgeprägte nationalsozialistische Linie in der Praxis der Kinderpsychiatrie in Österreich, die den Ansatz von Nowak-Vogl prägte. Die Geschichte der Innsbrucker Kinderbeobachtungsstation und anderer Einrichtungen dieser Art war mit der Geschichte des Nachkriegsösterreichs und seiner äußerst mangelhaften Entnazifizierung verwobe [...] Der Kommissionsbericht stellte fest, dass die Stille, die in der Villa herrschte, leicht aufrechtzuerhalten war, auch weil den Kindern häufig Psychopharmaka und Beruhigungsmittel verabreicht wurden, oft als Reaktion auf „disziplinarische Schwierigkeiten“.

 Nowak-Vogl  war besessen davon, Sexualität und Selbstbefriedigung bei den Kindern auszurotten. 

Aus den medizinischen Aufzeichnungen ging hervor, dass ihnen auch starke Beruhigungsmittel, darunter Rohypnol, verabreicht worden waren [...] Freundschaften und Zuneigungsbekundungen zu anderen Kindern und Jugendlichen waren verpönt und wurden unterbunden, oft als sexualisiertes Verhalten interpretiert.

Jahrzehnte nach ihrer Zeit in der Villa reiste Mages zurück nach Österreich, um mehr zu erfahren. Sie besuchte Archive, traf sich mit anderen Opfern und kehrte sogar in die Villa zurück. Sie nahm auch wieder Kontakt zu ihrer entfremdeten Schwester auf, deckte schockierende Familiengeheimnisse auf, darunter auch Verbindungen zu den Nazis, und stellte sich ihrer ehemaligen Pflegemutter, um über ihre Behandlung zu sprechen. 

Es ist ein sehr langer Artikel, der Mages' Geschichte ausführlich beschreibt und darüber hinaus die systematische Unmenschlichkeit zeigt, die Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Herrsschaft in dieser Villa weiterwirkte. Aber auch die unglaubliche Resilienz von Evy Mages. Das rebellische Verhalten, dessentwegen sie in der Villa gelandet war, hat man ihr zum Glück nicht austreiben können. 


Hinter verschlossenen Türen

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Kommentare 1
  1. Michaela Haas
    Michaela Haas · vor 5 Monaten

    Eine wirklich irre Geschichte. Ich habe sie auch schon mal gepickt: https://www.piqd.de/us...

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