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Zeit und Geschichte

Was steht Deutschland und der Welt bevor?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergSamstag, 08.04.2023

Es ist eine überwältigend unbeantwortbare Frage, die Christoph Hein in seiner Rede zu beantworten versucht: Was steht Deutschland und der Welt in den nächsten Jahrzehnten bevor?

Es ist eine Frage, die uns beschäftigt, aber bei der wir wenige Kenntnisse haben und ebenso unwissend und beschränkt sind wie der dänische Physiker und Nobelpreisträger Niels Bohr, der – befragt, was kommen wird – nur sagen konnte: „Prognosen sind immer schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“

Keine helle, lichte Zukunft malt der große Autor für uns. Kein "die Enkel fechten es besser aus" singt er für sein Publikum, sondern er zeigt Kontinuitäten auf – positive wie negative – , die aber andere Wirkungen erzielen könnten als bislang.

Noch immer werden Kinder geboren, wenn auch in vielen reichen Ländern zu wenige. Das gilt auch für Deutschland.

Als ich in den Vereinigten Staaten arbeitete, hörte ich den Satz: „Warum werden immer wieder Kinder geboren?“ Und hörte die Antwort: „Damit die Dreijährigen nicht aussterben.“ Ein sehr wahrer Satz, denn gerade die Dreijährigen mit ihren unaufhörlichen Wieso-Weshalb-Warum-Fragen entzücken Eltern und Großeltern.

Viele dagegen fliehen aus armen, oft kinderreichen Gegenden und wir locken Fachkräfte an, die wir nicht ausgebildet haben. Gleichzeitig wird die Abschottung der reichen Ländern vor den ankommenden Armen stärker und stärker:

An der Freiheitsstatue prangt noch immer der Satz, dass das Land alle Flüchtlinge aufnimmt, doch heute liest sich dieses stolze Versprechen wie Hohn und Spott. Willkommen waren die armen Einwanderer nur, als es darum ging, die indigene Bevölkerung, die Ureinwohner, zu vertreiben, zu vernichten.

Kriege hat es, so traurig es ist, immer gegeben und doch ist der Krieg in und um die Ukraine anders.

Der 1944 in Schlesien geborene Christoph Hein hat keine Erinnerungen an Krieg und Vertreibung, sondern kennt sie nur aus den Erzählungen der älteren, aber tief prägten ihn die zerstörten Städten mit Kriegsinvaliden, in denen er als Kind aufwuchs. Deshalb formuliert er seine Position klar, aber vorsichtiger als Junge, die keine Kriegsfolgen direkt erlebten:

Russland ist ein Aggressor, schuldig mehrerer Kriegsverbrechen, denn neben der Ermordung von Zivilisten und der Verschleppung ukrainischer Kinder ist auch der Einsatz der irregulären (Wagner-)Truppe ein Kriegsverbrechen. Die Ukraine führt einen gerechten, einen überaus gerechten Krieg. Doch die immense Unterstützung, die die Nato der Ukraine zukommen lässt, ängstigt viele, denn in den letzten Monaten ging die Nato sukzessive immer weiter auf die ukrainischen Forderungen nach Kriegsgerät und Munition ein. Auch meine Sorge ist, dass dieser von der Nato unterstützte Verteidigungskrieg den Dritten Weltkrieg auslöst.

Neben der Geisel des Krieges, dessen Möglichkeiten in Christoph Heins Lebenszeit überwältigend schrecklich bis zur Selbstauslöschung der Menschheit anwuchsen, bleibt der Schrecken einer Vernichtung durch die selbst verschuldete Klimakatastrophe.

Und ein Ende dieser Selbstzerstörung ist nicht absehbar, vielmehr werden diese Schädigungen geleugnet. Wir verbrauchen in nur fünf Monaten sämtliche im Laufe eines Jahres natürlich nachwachsenden Ressourcen der Erde, wir führen ein Leben auf Pump, auf Kosten der Zukunft, auf Kosten des Lebens unserer Kinder und Enkel. Die schlimmsten Umweltsünder stellen riesige Summen zur Verfügung, um Fachleute und Wissenschaftler zu gewinnen, die die Gefahren marginalisieren und kleinreden.

Die letzte menschliche Gesellschaft, die auf dieser Erde lebte, ohne sie zu schädigen, die nicht im Raubbau der Naturschätze und der Zerstörung der Welt ihren Lebenssinn sah, die geradezu pfleglich mit dieser Welt umging, das waren die Jäger und Sammler der Steinzeit.

Diese Rede ist eine realistischer Warnruf, dramaturgisch überzeugend, stilistisch weit über dem Durchschnitt.

Immer wieder zitiert Christoph Hein dabei aus klassischen Texten; so endet die Rede mit einem kurzen Gedicht von Gottfried Benn, der den Clinch zwischen Kontinuität und Wandel aufzeigt:

Alles bleibt

in seinem Grundverhalten,

wendet sich nur von der alten

einer neuen Richtung zu.

Was steht Deutschland und der Welt bevor?

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Kommentare 4
  1. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als ein Jahr

    Wunderbarer, informativer Artikel!
    Es zeigt mir, dass ein reifer Mensch, der viel gesehen und erlebt und gelernt hat, als Leitfigur für uns dienen kann!
    Im Gegenzug zu den unreifen Kindern, die es sogar in den deutschen Bundestag geschafft haben, und dort Aggression gegen unsere Nachbarländer stiften, und als williges Werkzeug der Großmächte dienen.

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

    "Unterstützung, die die Nato der Ukraine zukommen lässt, ängstigt viele, denn in den letzten Monaten ging die Nato sukzessive immer weiter auf die ukrainischen Forderungen nach Kriegsgerät und Munition ein." - ja diese Angst verstehe ich.
    Allerdings sind unter den zu recht Beängstigten auch viele, die einfach nur ihren antiamerikanischen Reflexen frönen und sich von Putin und Afd u.ä. instrumentalisieren lassen - das (!) ängstigt mich.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Ja, aber bei denen mit antiamerikanischen Ressentiments und bei Rechtsextremen, findet man keine Sätze wie bei Christoph Hein:

      "Russland ist ein Aggressor, schuldig mehrerer Kriegsverbrechen, denn neben der Ermordung von Zivilisten und der Verschleppung ukrainischer Kinder ist auch der Einsatz der irregulären (Wagner-)Truppe ein Kriegsverbrechen. Die Ukraine führt einen gerechten, einen überaus gerechten Krieg."

      So etwas gibt es auch nicht beim "Manifest für Frieden" von Schwarzer/Wagenknecht.

    2. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als ein Jahr

      Antiamerikanisch per se ist kaum jemand, jedoch sollte man genau schauen ob die Aktionen der USA für uns gut sind ( Nordstream Sprengung). Der Afd, den Linken kann und soll man auch zuhören, denn so funktioniert Demokratie .

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