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Zeit und Geschichte

Wie kann und soll es im Zeitalter der Stagnation weitergehen?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 09.12.2022

Die Spielarten, die wir untersuchen, nennen wir »Wachstumsmodelle«,

sagt Lucio Baccaro, Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln und einer der renommiertesten Politökonomen Europas.

Sie sind national unterschiedliche Antworten der Volkswirtschaften und Politik auf den Nachfragemangel. Die tiefere Ursache der Stagnation liegt nach unserer Auffassung im Niedergang des lohngetriebenen Wachstums.

Nichts Geringeres wird in diesem Gespräch verhandelt als die Zukunft des "demokratischen Kapitalismus". So unterschiedliche Modelle es nach dem Zweiten Weltkrieg gab, verband sie ein Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit. Schon die Krisen in den 1970er schwächten diese Formen erheblich:

Die Löhne wurden von der unveränderlichen zur veränderlichen Größe. Die gesunkene Massennachfrage führt dann in die Stagnation.

Die genaue Ausführung unterschied sich in zentralen Ländern wie Deutschland und denen an den Rändern Europas. Die Variationen deutet Lucio Baccaro so an:

Eine, die sich etwa in Großbritannien und den USA entwickelte, ist eine Art »privatisierter Keynesianismus«. Das Wachstum beruht in den Ländern mit diesem Wachstumsmodell weiterhin auf der inländischen privaten Konsumnachfrage, die aber zunehmend durch Kredite finanziert wird. Der andere Fall sind exportgetriebene Wachstumsmodelle wie in Deutschland, die auf Auslandsnachfrage beruhen. Dann gab es Länder wie Irland oder Spanien vor der Eurokrise, die durch stark expandierende Häusermärkte wuchsen. In der Peripherie gibt es Länder, die ihr Wachstum der Einbindung in Wertschöpfungsketten oder Nischen in der Weltwirtschaft verdanken.

Das ist der ganz große makroökonomische, transnationale Rahmen, in dem das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung sein Gesamtgemälde aufhängt. Allerdings die Akteure, die in diesem Wimmelbild mit-, neben- und gegeneinander agieren, betrachten nicht die Totalität des Gesamtgeschehens.

Die fraglichen Leute orientieren sich an mikroökonomischen Anhaltspunkten. Im Zusammenwirken erzeugen ihre Handlungen aber makroökonomische Effekte, etwa durch Strategien der Kostensenkung.

Wie weiter, Herr Direktor? Was bedeutet das im Zwang zum Aufbau einer grünen, menschenfreundlichen Wirtschaft angesichts der Klimakatastrophe? Erleben wir nicht nur das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, sondern überhaupt das Ende dieser Produktionsweise dieses gesellschaftlichen Verhältnisses?

Ohne Bündnisse wird es nach der Expertise des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung einen ökologischen Umbau nicht geben und dabei zeigt sich,

dass die Bündnisse für grüne Wirtschaftszweige in Ländern mit höherem Industrieanteil, wie Deutschland und China, erfolgreicher waren als in den angelsächsischen Ländern, denen nach langer Deindustrialisierung die soziale Basis für ein solches Bündnis fehlt.

Das Forschungsteam verbindet die grünen Bündnisse mit der sozialen Frage. Denn ohne eine neue Aushandlung, die auch den Abbau der großen Ungleichheit beinhaltet, wird es nicht gehen:

Dazu müsste man den Bereich der privaten Dienstleistungen angehen. Dieser wächst, allerdings gibt es dort im Vergleich zum verarbeitenden Gewerbe und dem öffentlichen Dienst viel weniger Flächentarifverträge und der gewerkschaftlichen Organisationsgrad ist am geringsten. Hier sind Migranten und prekäre Arbeitsverhältnisse stark vertreten.

Wie kann und soll es im Zeitalter der Stagnation weitergehen?

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Kommentare 5
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor fast 2 Jahre · bearbeitet vor fast 2 Jahre

    Also ehrlich gesagt, finde ich den Begriff "lohngetriebenes Wachstum" nicht gerade aussagekräftig, zumindest unglücklich.
    1) Reallohnsteigerungen allein führen unter dem Strich in erster Linie zu quantitativem Wachstum über den privaten Verbrauch. Das Niveau des Verbrauchs an Naturressourcen der deutschen Wirtschaft steht bereits bei drei Erden, vgl. www.piqd.de/klimawande.... Im Interview wird zwar die Dekarbonisierung angesprochen, die ist aber nur ein Teil des Problems und wirkt über die Preisentwicklung auf die Löhne, schlimmstenfalls auf sinkende Reallöhne, zurück. Eine direkte Beziehung gibt es zur Außenwirtschaftsbilanz/ zum Exportüberschuss/ Binnenverbrauch, wie es auch anklingt.
    2) Die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung ist in den letzten Jahren, trotz Intensivierung des technologischen Fortschritts, rückläufig. Für dieses sog. Produktivitätsparadoxon haben Ökonomen noch keine hinreichende Erklärung gefunden. Höhere Löhne schmälern den Gewinn. Für ein qualitatives Wirtschaftswachstum ist die Reinvestition des Gewinns in Forschung und Entwicklung ausschlaggebend.
    3) Das Verhältnis der Löhne zu den Unternehmereinkommen/Gewinnen ist gewiss eine Verteilungsfrage, ob nun Flächentarif oder Präkariat. Die Schere der Einkommens- und Vermögensverteilung geht weiter auseinander. Aus den Konzentrationsprozessen entstehen multiple Gefahren für die exzessive Naturausbeutung und die Demokratie. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerschaft ist generell niedriger als die der Unternehmen. Und im Niedriglohnsektor ist deren Marktmacht besonders hoch, da es für Arbeitssuchende kaum besser bezahlte Jobs gibt.
    4) Die privaten Dienstleistungen werden nur allgemein angesprochen. Die größte Schwachstelle in D besteht m. E. aber bei den sozialen Dienstleistungen. Hier geht es nicht um ein "Rebalancing hin zu einem binnengetriebenen Wachstumsmodell", sondern um Sicherstellung einer ausreichenden Personalausstattung in Kliniken, Pflegeeinrichtungen etc. Diese Dienstleistungen werden überwiegend durch staatliche Umverteilung, das KV-/PV-System, finanziert. Das Lohnniveau ist hier nur ein Teil des Problems. Könnte Teil der Lösung werden - Erhöhung der Attraktivität der Beschäftigung, allerdings nicht ausschließlich über die Tarifautonomie. Ceteris paribus führten Lohnerhöhungen zu Personaleinsparungen. Um von primärem Gewinndenken abzukommen, ist ganz andere staatliche Regulierung erforderlich.

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

    Muß nicht "lohngetriebenes" Wachstum eigentlich produktivitätsgetrieben sein? Sonst ist es Inflation, d.h. eigentlich kein reales Wachstum. Und gerade die Produktivität steigt wenig. Mir kommt die Erklärung etwas "überabstrahiert" vor. Und gerade bei privaten Dienstleistungen lassen sich hohe Löhne nicht erzwingen. Auch nicht durch Gewerkschaften. Diese Löhne sind doch immer abgeleitet von den Löhnen in den primären Sektoren, der Industrie. Kein Land wird davon wohlhabend, sich gegenseitig die Haare zu schneiden, sich Waren zu liefern oder zu bekochen. Insofern stimmt es, dass ein grüner Umbau eigentlich nur mit entsprechender industrieller Basis erfolgen kann. Das ist m.E. weniger eine Frage der Bündnisse. Man muß den Umbau ja auch bezahlen können …..

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      Ich glaube, dahinter steckt die Umverteilungsfrage, die stärker ins Zentrum rückt. Ein dezidiert linkes Magazin wie Jacobin nimmt natürlich gern diese Überlegungen des Direktors eines wichtigen deutschen Instituts.

    2. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor fast 2 Jahre

      Ich hatte den Satz von der deindustrialisierten Basis eher so verstanden dass etwa die durch Globalisierung verlagerten Industrien jetzt in ihren durchaus reichen Herkunftsländern zu Problemen führt, für ökologischen Umbau und soziale Umverteilung gibt es nun zu geringe Möglichkeiten...

       (für grüne Wirtschaftszweige in Ländern mit höherem Industrieanteil, wie Deutschland und China, erfolgreicher waren als in den angelsächsischen Ländern, denen nach langer Deindustrialisierung die soziale Basis für ein solches Bündnis fehlt.)

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre

      @Cornelia Gliem Das ist zu eindimensional. Kein Land, außer vielleicht China und Indien mit ihrer Milliardenbevölkerung, kann heute allein die ganze Palette der Industrieproduktion selbst abdecken. Dazu ist einerseits die Bevölkerung zu klein und andererseits werden in den Dienstleistungsbereichen, gerade in Forschung und Bildung, Verwaltung und auch Gesundheit zunehmend Arbeitskräfte benötigt. Das Bedeutet auch, das die Globalisierung eine notwendige Arbeitsteilung war, die in vielen ärmeren Ländern einen gewaltigen Anstieg des Wohlstandes geführt hat. Und auch bei uns. Mit der Globalisierung einher ging die Produktion in großen Stückzahlen, was zu sinkenden Preisen und hoher Produktivität hat. Dazu kamen für die Konsumenten in den reicheren Ländern die niedrigeren Löhne in den sich industrialisierenden Nationen (wo allerdings die Löhne lange Jahre auch zweistellig stiegen). Und die verbliebenden Industrien in Deutschland profitierten selbst auch durch ihre Qualitätsprodukte - der deutsche Maschinenbau modernisierte u.a. Chinas Fabriken. Globalisierung ist also ein Prozess aus vielfältig verflochtenen Teilprozessen, Wirkungen und Rückkopplungen. Er bringt - gut gemacht - allen Vorteile. Schlecht ist, wenn man durch zu hohe Löhne, nachlassender Wettbewerbsfähigkeit aus dem Prozess fällt, wenn zu viel Industrie ein ehemals reiches Land die Produktion einstellt und sekundäre Sektoren den Wegfall nicht kompensieren können (siehe insbesondere GB). Oder wenn eben Kriege und Pandemien die Logistik unterbrechen. Da muß man neue, sichere Lösungen finden. Ein Abbruch der Globalisierung wird zu dramatischen Wohlstandsverlusten führen. Selbst wenn Deutschland wollte könnte es eine Energiewende nicht mit eigenen industriellen Mitteln bestreiten. Dazu fehlen Arbeitskräfte, Investitionen, Energie und Rohstoffe.

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