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Zeit und Geschichte

„Was ist mit den Frauen passiert, die schwanger wurden?“ - „Sie mussten nach Hause oder abtreiben."

Michaela Maria Müller
Autorin
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Michaela Maria MüllerMontag, 06.11.2017

Die Webdokumentation „Hoyerswerda 1991“ schildert eine Vielzahl von Perspektiven auf Ursachen der Ausschreitungen in der sächsischen Stadt Anfang der 1990er Jahre. Im April hat der Kollege Achim Engelberg sie bereits empfohlen. 

Ich habe mich in den letzten Wochen immer wieder damit beschäftigt. Bemerkenswert ist der strukturelle Rassismus der Behörden. Er war der Gewalt vorgeschaltet, die Neonazis später gegen Ausländer ausübten.

Die größte Gruppe der ausländischen Vertragsarbeiter/innen kam aus dem Vietnam. Kurz vor der Wiedervereinigung lebten in der DDR etwa 60.000 Vietnamesen. Wie sie lebten, war streng reglementiert, von Anspruch auf fünf Quadratmeter pro Person im Wohnheim über die Anzahl der Handtücher. Frauen war es untersagt, schwanger zu werden. Wurden sie es trotzdem, drohte Rückführung. Ein Ausweg waren Abtreibungen, sie wurden von der Krankenkasse bezahlt. Die Sozialwissenschaftlerin Regina Koch und die  Filmemacherin Angelika Nguyen ("Bruderland ist abgebrannt", 1992) schildern die Lebensumstände. (Leider ist es nicht möglich, auf Nguyens Film direkt zu verlinken.)

Heute sind viele Vietnamesen selbständig. Sie haben Blumenläden, führen Restaurants, Imbisse oder Nagelstudios. Dies war ein Schritt aus der Not heraus. Eine Integration nach der Wiedervereinigung war nicht vorgesehen. Hunderte bewarben sich damals um eine Qualifizierung über ein Fachkräfteprogramm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), doch kein Bewerber wurde angenommen. Dabei gab es bis 1995 die Vorgabe, dass, wer nicht für sich selbst sorgen konnte, ausgewiesen wurde. Illegaler Straßenhandel mit Zigaretten war ein Ausweg, der sie jedoch kriminalisierte.

Der strukturelle Rassismus gegen die ehemaligen Vertragsarbeiter ist nur ein Aspekt dieser umfassenden Webdokumentation. Sie beschreibt die Ereignisse in verschiedensten Kontexten und mit ausgesuchtem und außergewöhnlichem Material, ganz besonders dem Filmmaterial.

„Was ist mit den Frauen passiert, die schwanger wurden?“ - „Sie mussten nach Hause oder abtreiben."

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Kommentare 1
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 7 Jahren

    Schön, dass Du diese Webdokumentation noch mal an den Start gebracht hast und sie nun stärker wahrgenommen wird.
    Ja, die Unterdrückung, die Verachtung (in vollkommener Unkenntnis beschimpfte man Vietnamesen als "Fidschis", kriminalisierte einige von ihnen. Es gibt zwar nicht mehr die spektakulären Morde der 1990er Jahre, aber etliches Illegales kann man immer noch beobachten.

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