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Zeit und Geschichte

Leben wir in einem Zeitalter der Ratlosigkeit? (Teil 4)

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMittwoch, 07.06.2023

Noch ist die Hoffnung auf eine ukrainische Offensive, die vieles wendet, nicht gestorben. Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber sie stirbt.

Wer diese älteren piqs/unpiqs liest, erkennt, dass in Russland staatsnahe Berater wie Dimitri Trenin ihr Publikum auf einen langen Krieg in der Ukraine vorbereiten, ja, von einer Auseinandersetzung von 15 bis 20 Jahren schreiben.

Etliche Staaten im Süden wenden sich nicht zuletzt aufgrund ihnen näheren Krisen ab.

Gerade in diesem geschichtlichen Augenblick erschien in "Foreign Affairs" einer der wichtigen, mit der politischen Nomenklatura verbundenen Strategiezeitschriften der USA, der Essay "An Unwinnable War". Hier bereitet Samuel Charap seine Leser und Multiplikatoren darauf vor, dass wir an einem Scheideweg stehen.

Entweder entwickelt sich ein "ungewinnbarer Krieg" oder eine Alternative wird gefunden.

Fünfzehn Monate Kämpfe haben deutlich gemacht, dass keine Seite in der Lage ist – selbst mit Hilfe von außen – einen entscheidenden militärischen Sieg über die andere Seite zu erringen.

Unabhängig davon, wie viel Territorium die ukrainischen Streitkräfte befreien können, wird Russland weiterhin in der Lage sein, eine ständige Bedrohung für die Ukraine darzustellen. Das ukrainische Militär wird auch in der Lage sein, die von den russischen Streitkräften besetzten Gebiete des Landes zu gefährden – und militärischen und zivilen Zielen in Russland selbst Kosten aufzuerlegen.

Ein Ende des Konflikts kann er nicht erkennen, aber ein Krieg in der jetzigen Intensität erhöht die Kosten immens und steigend – in Menschenleben wie in anderen Bereichen. Viele andere Krisen werden zu wenig beachtet.

Eine wirksame Strategie für die folgenreichste internationale Krise seit mindestens einer Generation erfordert daher, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten ihren Schwerpunkt verlagern und beginnen, ein Endspiel zu ermöglichen.

Damit wäre ein Szenarium wie in Korea oder im geteilten Deutschland denkbar. Korea ist bis heute geteilt, aber für die Ukraine wäre später ebenso eine Variante der deutschen Neuvereinigung möglich.

Jedenfalls entwickelt der Experte der einflussreichen RAND Corporation, einer Institution, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Beratung des US-Militärs gegründet worden ist, einen Ausweg aus dem jetzigen Krieg. Dieser ist damit verbunden, dass die Ukraine noch mehr Gebiet verliert als schon 2014.

Mit einer dynamischen Entwicklung wie in Südkorea soll das ausgeglichen werden.

Die Ukraine bliebe in einem Konflikt mit Russland um die von Moskau besetzten Gebiete gefangen, aber dieser Konflikt würde sich auf politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet abspielen, wo die Ukraine mit westlicher Unterstützung Vorteile hätte.

...

Auch ein russisch-ukrainischer Waffenstillstand würde die Konfrontation des Westens mit Russland nicht beenden, aber die Risiken eines direkten militärischen Zusammenstoßes würden drastisch sinken, und die globalen Folgen des Krieges würden gemildert werden.

...

Viele Kommentatoren werden weiterhin darauf beharren, dass dieser Krieg nur auf dem Schlachtfeld entschieden werden muss. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass sich die strukturellen Gegebenheiten des Krieges selbst dann nicht ändern werden, wenn sich die Frontlinie verlagert – ein Ergebnis, das keineswegs garantiert ist. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sollten in der Lage sein, der Ukraine sowohl auf dem Schlachtfeld als auch am Verhandlungstisch zu helfen. Jetzt ist es an der Zeit, damit zu beginnen.

Natürlich lässt dieser Ansatz viele Fragen offen, aber er zeigt neue Verschiebungen – diesmal auf der westlichen Seite.

Wer zudem die anderen sich überlappenden Krisen betrachtet – von der Klimakatastrophe über die anderen Kriege weltweit bis zum Auseinanderdriften in Arm und Reich –, dem stellt sich die Frage:

Leben wir in einem Zeitalter der Ratlosigkeit?

Leben wir in einem Zeitalter der Ratlosigkeit? (Teil 4)

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Kommentare 9
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

    Das Szenario im Piq liegt sicher im Bereich des spieltheoretisch Logischen. Allein, Theorie ist nicht Wirklichkeit. Ja ich bin ratlos. Im Chaos ….

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Meine Ratlosigkeit steht im Titel.

      Allerdings, Überraschungen sind möglich, nach dem Scheitern der Frühjahrsoffensiven, scheint mir dieses Szenario wahrscheinlich.

      Meine persönlichen Erfahrungen in der Region sind so, dass ich im Mai dort war. Der Grund: Man sagte mir, dass einige Wege nach der Schneeschmelze erst ab Mitte April wieder zu passieren sind und es ab Mitte Juni sehr heiß in der Steppe sein kann.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Hoffen wir auf die positive Kreativität und den Zufall…..Ordnung aus dem Chaos ist oft überraschend.

  2. Jürgen S.
    Jürgen S. · vor mehr als ein Jahr

    Ein nicht zu gewinnender Krieg?

    Meine Güte, glauben die denn wirklich noch an die Überlegenheit der russischen Armee?
    Das sind doch potemkinsche Armeen, die hier aufgebaut worden sind.

    Woran man das sehen kann? Wir sehen es in der Ukraine. Putin hat mal gedroht, er könne in wenigen Tagen in Brüssel sein. Erinnert ihr euch noch? Tja, so wie es ausschaut, kommt er mit seiner (natürlich) unmotivierten und jammervollen Truppe nicht einmal bis Kiew. Nur Putin glaubt scheinbar immer noch an die Überlegenheit seiner Truppe. Klar, der Endsieg steht immer kurz bevor.

    Der Zustand der russischen Armee ist (zum Glück) jämmerlich. Berufssoldaten, die von der Front desertieren, Offiziere, die sich verstecken, eine Privatarmee, die außer Kontrolle ist, geschönte Berichte von der Front, in denen bombardierte Mähdrescher als Leopard-2-Panzer verkauft werden. Das ist so tragisch, dass es nur noch komplett lächerlich ist.

    Der Krieg wäre innerhalb weniger Tage zu beenden: NATO rein in die Ukrane, die Russen aus der Ukraine und von der Krim jagen, und fertig. Dazu bräuchten die Amis nicht einmal Soldaten. Die könnten das per Joystick aus Ramstein erledigen.

    Putin hält sich für den neuen Gröfaz (mal googeln), fürchtet Anschläge, sitzt schon in seinem Führerbunker. Die freie Welt der demokratischen Staaten hat die Verantwortung, diesen Bastard von den Schalthebeln der Macht zu entfernen, und zwar möglichst schnell.

    Die ganze russische Elite wartet doch nur darauf, dass Putin entfernt wird, auf die eine andere oder andere Weise. Dann bricht die Machtstruktur dort komplett zusammen, wie immer bei Diktatoren mit Personenkult. Denn, natürlich hat Putin keinen Nachfolger inthronisiert, weil er sich für unsterblich hält.

    Spätestens im Herbst wird man die Asche von Putin heimlich in der Moskwa verstreuen, um nur ja keine Pilgerstätte zu schaffen. Dann werden alle die Parallelen zu Hitler erkennen.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Haben Sie einen einzigen Beleg für ihre Behauptungen? Wer wäre ein möglicher Nachfolger Putins, der u. a. die Krim aufgeben kann? Kennen Sie die ukrainischen Verluste?

      Auf jeden Fall sind die Frühjahrsoffensiven beider Seiten gescheitert. Ob der Herbst eine entscheidende Wende bringt, ist zumindest offen. Umbrüche sind bei großen Kriegen üblich, allerdings in bestimmten Rahmen.

      Aufschlussreich ist, man kann es an meinen piqs/unpiqs nachlesen, dass diejenigen mit Geheimnisinformationen zunächst Beiträge über einem schnellen Sieg publizierten.

      Nun gibt es gerade von diesen Personen verstärkt Beiträge, die von einem langen Krieg oder einem eingefrorenen Konflikt schreiben.

      Seit über einem halben Jahr, also die Hälfte des bisherigen Krieges, hat sich die Frontlinie kaum verändert. Aber viele, sehr viele sind gestorben, verletzt, traumatisiert.

    2. Michael Praschma
      Michael Praschma · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Belege, Belege … Niemand hat hier Belege, und alle haben Hoffnungen. Die Wetterbedingungen für eine Offensive sind ja noch nicht lange gegeben, und derzeit gibt es halt nur geringe Frontverschiebungen zugunsten der Ukraine, kaum umgekehrt, deswegen gibt es auch nur Kaffeesatzlesen mit viel bzw. wenig oder gar keinem Hintergrundwissen.
      Und solange es Kaffeesatzlesen ist, ist jede öffentliche Äußerung über die Chancen nichts anderes als ein Beitrag zur Stimmung, die wiederum mit kriegsentscheidend ist – weswegen ich dafür plädiere, sich dessen zu enthalten. Es reicht, gesicherte Erkenntnisse zu verbreiten, auf deren Grundlage ein jedes individuell hoffen und spekulieren kann.

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      @Michael Praschma In meinen Beiträgen gibt es Belege und die Dokumentation von Entwicklungen.

    4. Michael Praschma
      Michael Praschma · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Vielleicht habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich meinte Belege dafür, wie sich der Krieg und alles, was damit zusammenhängt, entwickelt. Das war ja Fokus des Kommentars von Jürgen S., auf den du mit der Frage nach Belegen reagiert hast. Natürlich gibt es hier für Prognosen keine Belege, die diesen Namen verdienten, höchstens eine gewisse Plausibilität.

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      @Michael Praschma Belege für die Zukunft gibt es nie.

      Aber für die Vergangenheit. Es ist Sommer und die Frühjahrsoffensive der Ukraine ist aus- oder steckengeblieben. Bald glüht die Steppe in der Hitze. Die Ausbildung von ukrainischem Militär im Westen erfolgt nun selbst bei Piloten, die erst nächstes Jahr eingesetzt werden könnten. Und dazu die Statements der Berater aller Seiten. Und das sind nur wenige Indizien. Mehr geht nicht bei einem aktuellen Krieg.

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