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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Vor 150 Jahren begann die Pariser Kommune

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergSamstag, 20.03.2021
„Das 20. Jahrhundert begann am 18. März 1871 in Paris“, schrieb Sebastian Haffner und begründete es damit, dass bei der Pariser Kommune erstmals das auf der Tagesordnung stand, um das heute gerungen wird:

Demokratie oder Diktatur, Rätesystem oder Parlamentarismus, Sozialismus oder Wohlfahrtskapitalismus, Säkularisierung, Volksbewaffnung, sogar Frauenemanzipation – alles das stand in diesen Tagen plötzlich auf der Tagesordnung.

Das war vor 50 Jahren; 1971 zum 100. Jahrestag.

20 Jahre später, der Ostblock war abgeschmolzen und die Sowjetunion verröchelte, schien vieles entschieden. Einige sahen sogar ein Ende der Geschichte.

30 Jahre später ist vieles wieder offen. Hier einige Beiträge zum 150. Jahrestag der Pariser Kommune.

Im Hauptstück wird gezeigt, wie diese immer noch und immer wieder quer zur offiziellen Geschichtserzählung steht:

1971 hatte anlässlich des 100. Jahrestages der konservative Präsident Georges Pompidou die »Mauer der Föderierten« besucht und sich vor der Gedenktafel mit der schlichten Inschrift: »Den Toten der Kommune, 21. - 28. Mai 1871« verneigte. Ob sich dazu in diesem Jahr auch Präsident Emmanuel Macron durchringen wird, bleibt abzuwarten. In seinem Umfeld ist man eher skeptisch: Er halte es mehr mit Napoleon.

Wer gern die Ereignisse von damals kompakt lesen möchte, ist bei diesem Beitrag des Historikers Florian Grams gut aufgehoben.

Der Schriftsteller Richard Schuberth publizierte im Standard einen bemerkenswerten und bissigen Artikel, in dem es heißt:

Es wäre also angebracht, wenn der französische Präsident, dessen Regierung das Arbeitsrecht aushebelte, massiv Stellen im öffentlichen Dienst kürzte, Renten einfror, Sozialsteuern erhöhte und Sozialleistungen ebenso senkte wie die Vermögens- und Unternehmenssteuern, auf Worte des Gedenkens verzichtete.

Er ist die freundliche Maske eines weltumspannenden Systems des irrationalen Wachstums und des Krieges der Reichen gegen die Armen, das sich in Europa noch hinter Rechtsstaat und Parlamentarismus zu verstecken und erpresserisch als liberale Alternative zu den Modellen Erdoğan oder Orbán anzupreisen weiß.

Aufschlussreich ist im Perlentaucher dieser Überblick zur neuen Literatur, bei dem ich das Buch Luxus für alle herausheben möchte.

Ross' kurze Schrift sucht Spuren, Kontinuitäten und Möglichkeiten, soziale Gerechtigkeit, direkte Demokratie, Internationalismus und Ökologie zusammenzuführen. Sie erkundet das geistige Nachleben der Kommune bei Karl Marx oder William Morris und zeigt sehr schön die Dialektik von Erfahrung und Erkenntnis.

Am stärksten ist jedoch das titelgebende Kapitel "Luxus für alle", in dem Ross die Vorstellungen der Kommunarden zu Bildung, Kunst und Kultur aufscheinen lässt. Der Luxus für alle bezieht sich auf die Kunst, die dem Geografen und Anarchisten Elisée Reclus zufolge nicht länger "dieses armselige, dürftige Leben bei wenigen außergewöhnlichen Menschen" fristen sollte, sondern befreit und von allen Menschen gelebt werden sollte.

Und auf YouTube gibt es die Fernsehaufzeichnung der BE-Inszenierung von Brechts Die Tage der Commune mit Hilmar Thate und Angelica Domröse, mit Gisela May und Wolf Kaiser, mit Peter Sodann und vielen anderen erstklassigen Schauspielern.

Und hier noch eine digitale Konserve einer deutsch-französischen Runde, an der ich auch teilnahm.

Gestern & Heute: Vor 150 Jahren begann die Pariser Kommune

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