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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Drei Krisen sind für ihn verflochten und verstärken sich:
- Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, auf nationaler und internationaler Ebene
- Die Klimakrise
- Der jetzige Kapitalismus ist ihm zu wenig widerstandsfähig, inklusiv und nachhaltig
So wie es ist, bleibt es nicht, da das System zusammenbrechen würde:
Die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichte werden weiter zunehmen, die Ungerechtigkeiten und die Umweltzerstörung werden wachsen. Wenn wir dagegen nichts unternehmen, werden die Veränderungen irgendwann auf anderem Wege kommen, durch gewalttätige Konflikte oder Revolutionen etwa. Das lehrt uns die Geschichte.
Er plädiert für die Rückkehr eines stärker in die Wirtschaft eingreifenden, auch umverteilenden Staates:
Der Markt löst allein keine Probleme. Ich plädiere nicht für eine Systemänderung. Ich plädiere für eine Systemverbesserung.
Der indischstämmige in New York lebende und lehrende Vivek Chibber vertrat schon vor Corona die Position, dass eine neue Gesellschaftsformation notwendig sei. Diese könne aber nur aufgrund der Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus den sozialistischen Bewegungen im 20. Jahrhundert gefunden werden.
In diesem Beitrag erläutert er, dass die Krisen sowohl des marktextremistischen Kapitalismus (verharmlosend Neoliberalismus genannt) als auch der Sozialdemokratie neue, an der Wurzel anpackende, also radikale Möglichkeiten eröffnen.
Dabei sieht er nicht nur klar, dass die Bilanz der Oktoberrevolution von 1917 negativ ist und dass das Modell einer Einparteiendiktatur mit Abschaffung bürgerlicher Freiheiten abzulehnen ist, sondern er zieht in Betracht,
dass Planung, wie Marx sie sich vorstellte, keine reale Option darstellt.
Eine alte Lehre der Arbeiterbewegung will er aber neu entdecken:
Wenn die Linke irgendetwas erreichen will, wenn sie ihre frühere Rolle als Motor sozialer Gerechtigkeit zurückgewinnen will, wird ihr das nur gelingen, indem sie wieder in die Lebenswelten der Arbeitenden zurückfindet. Bis heute hat noch niemand zeigen können, dass Veränderungen in der nötigen Größenordnung – die Menschen über die Profite zu stellen, die Umwelt zu retten und die soziale Unterdrückung auszumerzen – anders erzielt werden können, als dadurch, sich mit dem Kapital anzulegen.
Hier unterscheidet er sich deutlich vom Gründer des Weltwirtschaftsforums, der auf die Vernunft von einflussreichen Kräften des Kapitals setzt.
Wie aber unterscheidet sich die neue Produktion für Chibber von der alten:
Der Markt wird begrenzt, sodass er nicht mehr über das grundlegende Wohlergehen der Menschen gebietet.
Die entscheidenden Positionen in der Wirtschaft werden demokratisch besetzt und öffentlich rechenschaftspflichtig sein.
Ökonomische Ungleichheiten dürfen sich nicht in politische Ungleichheiten übersetzen.
Das wird im Beitrag näher erläutert, aber vieles bleibt offen.
Sicher ist sich Vivek Chibber nur in Wenigem, etwa - so sein Schlussabsatz -,
dass ein tragfähiger Sozialismus eine pluralistische Mehrparteienordnung sein muss, in der die Macht des Marktes erheblich zurückgedrängt ist. Wie weit wir ihn letztlich zurückdrängen, hängt in weiten Teilen von praktischen Fragen ab – was machbar ist und was nicht.
Doch gerade weil eine Strategie des Bruchs nicht auf dem Tisch liegt, müssen wir bei der Sozialdemokratie anfangen und dann zum demokratischen Sozialismus fortschreiten. Wir haben eine Menge Erfahrungen gesammelt, wie man zu ersterem kommt, zu letzterem hingegen nicht.
Kurzum: Beide - Klaus Schwab wie Vivek Chibber - wissen, wenn sich nichts Wesentliches ändert, ändert sich alles - zum Schlechten.
Die offene, unterschiedlich beantwortete Frage ist: Führen die Reformen zu einem revolutionären Systemwechsel oder zu einer Verbesserung?
Quelle: Marcus Gatzke und Marlies Uken befragen Klaus Schwab; Vivek Chibber www.zeit.de
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