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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Im Fluss der Geschichte gegen den Strom

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDienstag, 13.02.2024

Nun ist Helga Paris real tot; mit ihrem Tod als Künstlerin beginnt Ingeborg Ruthe ihren hervorragenden Nachruf, der uns die große Fotografin näher bringt:

Im Jahr 2011, es war im nassen, kalten Herbst, hatte sie die Kamera weggestellt. Endgültig und gelassen: Menschen, Jahre, Leben. Helga Paris sagte, sie habe „alles gesehen, alles fotografiert und registriert“. Sie will, sie kann nichts wiederholen. „Die Erregung ist weg“, erklärte sie, „in mir ist es still und friedlich, ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte.“

Viele im Text genannte Fotos und vieles mehr kann man auf Webseite dieser Meisterin aus Ostberlin, die diese Provinz zur Welt machte, sehen. So Bilder von berühmten Künstlern wie Christa Wolf über Ostberliner Müllfahrer bis zu Reiseimpressionen wie diese von russisch-jüdischen Veteranen des 2. Weltkriegs, die sie 1995 in New York aufnahm

So entsteht ein historischer Bilderbogen von den 1960er Jahren bis bis zum Anfang des 21. Jahrhunderts.

Auch ihre Selbstporträts sind sehenswert; in der FAZ sah Freddy Langer in diesen die Enttäuschung über die nicht eingelösten Versprechen des sozialistischen Staates:

Selbstporträts aus den Jahren 1981 bis 1989, für die sie in konzentrierter Selbstbefragung jeweils mit starrem Blick in die Kamera schaute, seltsam leer und zugleich von beißender Schärfe. Es war nicht nur, als verbiete sie sich wie schon Jahre zuvor beim Schauen in den Spiegel jegliches Gefühl von Zufriedenheit - vielmehr schien sie sich störrisch jenem Lächeln oder gar Lachen regelrecht zu widersetzen, das besetzt war durch die offiziellen Medien.

Viele auf Piqd kennen Annett Gröschner: sie schrieb in der taz einen persönlichen Nachruf, in der sie auf die Fähigkeit zur Freundschaft und Gemeinschaft von Helga Paris in ihrem Kiez im Prenzlauer Berg hinwies:

Helga Paris hat die Winsstraße häufig fotografiert, sie hat mehr als ein halbes Jahrhundert in dieser Straße gewohnt, in derselben Wohnung. 1966 war sie mit ihrem Mann, dem Maler Ronald Paris und den Kindern Robert und Jenny eingezogen. Kurz zuvor hatte sie angefangen zu fotografieren. Erst die Kinder, dann die Nachbarn. Ronald Paris zog irgendwann aus, die Wohnung blieb ein Treffpunkt für Künstlerinnen und Künstler, ob es nun Schreibende, Malende, Fotografierende waren. Zu ihrer eigenen Generation gesellte sich später die der Kinder.

Zum Schluss noch der Schluss von Ingeborg Ruthe:

Wie kommt man Menschen so nahe wie möglich, ohne ihnen auf den Pelz zu rücken? Diese Quadratur des Kreises hat sie für sich und ihre Kleinbildkamera mit Empathie gelöst. „Ich habe Vertrauen aufgebaut“, erzählte sie damals an ihrem Wohnzimmertisch in Prenzlauer Berg, „ich hab den Leuten gesagt: Ihr müsst nichts machen, was Ihr nicht wollt.“ Auf diese geduldige, stille, abwartende, auch ermutigende Weise erkundet sie Gesichter, Haltungen, spontane Gesten oder Posen, ohne zu belästigen. Es ist eine behutsame, immer die nötigen Zentimeter Distanz wahrende und mit Geduld gepaarte Hartnäckigkeit, die ihre Bilder vom Menschen hervorgebracht hat. Es ist eine starke und zugleich sensible Porträtkunst, die keiner stilbildenden Fotoschule entsprungen ist, keinem technischen Trend folgte. Eine Fotokunst, die aus Menschenliebe entstand.

Wer sich durch die Webseite von Helga Paris klickt und sieht, wird ins Erstaunen kommen - und zuweilen zur Erkenntnis.

Gestern & Heute: Im Fluss der Geschichte gegen den Strom

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