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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Eine Nation ward Staat. Vor 150 Jahren begann die erste deutsche Einheit. Es war ein ambivalentes Ereignis:
Am 18. Januar 1871 versammelten sich Vertreter des deutschen Militärs und Adels im Spiegelsaal des Versailler Schlosses, um Wilhelm I. zum Kaiser auszurufen und mit diesem Akt die erste staatliche Einheit Deutschlands symbolisch zu vollziehen. Ort und Zeit waren wohlüberlegt, denn just an diesem Tag im Jahre 1701 ließ sich Friedrich I. in Königsberg zum preußischen König krönen. In dieser Zeremonie mit Generälen und Fürsten zeigt sich der Doppelcharakter dieses historischen Ereignisses: Die nationalstaatlichen Forderungen der 1848er Revolutionäre wurden erfüllt und gleichzeitig die Konterrevolution bewahrt.
So beginnt mein Beitrag zu diesem Ereignis, den ich nicht piqen wollte. Aber da andere Artikel mir nicht gefielen oder hinter Bezahlschranken stehen, entschloss ich mich erstmalig seit der Gründung von Piqd, also vor fünf Jahren, eigenes zu empfehlen.
Von Gestern gibt es einen Beitrag über die Schwierigkeiten vieler Linken mit Staat und Nation, den Ernst Engelberg vor zwanzig Jahren schrieb und der davor warnt, diese zu negieren:
Wir haben nun einmal eine gemeinsame Geschichte, so belastet sie auch sein mag, eine gemeinsame Kultur und Sprache, auch nationale Besonderheiten, wie jedes andere Land. Historisch Gewordenes ist auch menschlich Erfahrenes und Emotionales. Schwerlich können wir die Menschen erreichen, wenn wir ihre Heimatgefühle missachten; das ist sogar gefährlich, weil dann Nationalisten freies Spiel haben. Gegen eine skrupellose kapitalistische Globalisierung »von oben« kann man zunächst nur im nationalen Rahmen »von unten« ankämpfen, um von da aus international weiterzuwirken für ein vereintes Europa demokratischer Nationen.
Zurück zum Beitrag von Heute. Hier werden erstaunliche Parallelen dargelegt, etwa die Mieterproteste im Kaiserreich und heute, und prägnante Historiker wie Christopher Clark vorgestellt, die Muster des späten 19. Jahrhundert in der Weltpolitik wiederkehren sehen, die damals - nach Bismarcks Sturz - in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs führten.
Und der schillernde Henry Kissinger, selbst für etliche Kriege als Schreibtischstratege verantwortlich, warnt heute wie einst Otto von Bismarck, den er in seiner berühmten Formulierung als „weißen Revolutionär“ charakterisierte, vor einem neuen Krieg. „Die Welt darf nicht in eine Situation wie vor dem Ersten Weltkrieg geraten; damals hätte keines der Länder, die den Krieg 1914 begonnen hatten, dies getan, hätten sie gewusst, wie die Welt im Jahr 1918 aussehen würde. [...] Wir können es uns einfach nicht erlauben, immer tiefer in diese Eskalationsspirale zu geraten.“
Noch ist nicht entschieden, ob wir die neue, die zweite Chance der deutschen Einheit nutzen können – weder national, noch europäisch, noch global.
Gerade wer den Gang der Dinge von 1871 bis heute betrachtet, erkennt: Der Fortschritt ist kein beständiges Fortschreiten, dazwischen ereignen sich die Katastrophen.
Quelle: Ernst und Achim Engelberg www.blaetter.de
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"Wir haben nun einmal eine gemeinsame Geschichte, so belastet sie auch sein mag, eine gemeinsame Kultur und Sprache, …" – Da klinke ich mich aus. Obwohl deutscher Staatsbürger mit ganz überwiegend deutschen Vorfahren und einem Beruf als Texter, der komplett von der deutschen Sprache abhängt – ein Dutzend anderer Merkmale als die deutsche Identität ist für meine Identität und für mein Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen vorrangiger. Ich halte die Beschäftigung mit einer nationalen Identität bestenfalls für Zeitverschwendung und tendenziell immer für gefährdet, zum Nationalismus auszuarten. Im Rahmen meiner Möglichkeiten engagiere ich mich konstruktiv am gesellschaftlichen Leben und bin daher auch aktiver Staatsbürger. Aber mehr nicht.