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Zeit und Geschichte

"Es kommt zu einer Enthemmung, wenn sich jemand zurückgesetzt fühlt." (Christoph Hein)

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergSamstag, 25.08.2018

In diesem scharfen wie scharfsinnigen Interview legt der große Chronist Bruchlinien zwischen Ost und West, in Deutschland wie in Europa offen. Sarkastisch kommentiert er den Austausch der Eliten in der DDR. Dabei blieben Dreckecken des Westens im Dunkeln, die allmählich ans Licht kommen. Bei den Schriftstellern ging es nicht so hart zu wie bei den Malern. Da war mehr Geld im Spiel.

Am lockersten waren noch die Architekten: Die West-Architekten wussten, dass, auch wenn sie nichts unternahmen, die Ost-Architekten ohnehin keine Chance haben würden. Also waren sie ganz gelassen und freundlich.

Auf ganz große Form läuft Hein beim Zerfall der Sowjetunion und beim relativen Wiederaufstieg Russlands. Aus eigener Anschauung schildert er die Herabsetzung der nichtrussischen Bevölkerung in der späten Sowjetunion:

Meine verstorbene Frau sprach sehr gut Russisch, in Moskau aber eröffnete sie jedes Gespräch erst einmal auf Englisch oder Deutsch. Wenn sie mit Russisch anfing, nahm man automatisch an, sie komme aus einer Sowjetrepublik und behandelte sie sofort ganz übel.

So werden rüde Reaktionen der Nachfolgestaaten gegenüber Russland verständlich. Bereits Anfang der 1990er warnte Christoph Hein vor einer Demütigung Russlands. Damals lud die SPD zu einer großen Konferenz mit führenden Intellektuellen des Landes ein:

Ich erkühnte mich damals, das Wort zu ergreifen, und sprach davon, dass wir mit Russland aufpassen müssen. Einer der Gründe für den Zweiten Weltkrieg war das Gefühl der Demütigung, das die Deutschen durch den Versailler Vertrag erfahren haben. Diesen Fehler sollten wir nicht auch begehen. Da wurde ich unglaublich zusammengefaltet.

Das Erscheinen des Romans VERWIRRNIS ist Anlass dieses bemerkenswerten Interviews. Das Buch erzählt anhand einer Liebe zwischen zwei Männern von vier Jahrzehnten deutscher Teilung und enthält ein indirektes Porträt von Hans Mayer, dem homosexuellen Lehrer von Christoph Hein. Hier kann man sich das Werk von Sylvester Groth vorlesen lassen.

"Es kommt zu einer Enthemmung, wenn sich jemand zurückgesetzt fühlt." (Christoph Hein)
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