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Zeit und Geschichte

Erleben wir den unaufhaltsamen Abstieg des Liberalismus?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 12.02.2021

Eine der entscheidenden politischen Fragen unserer Epoche ist die, ob die liberalen Demokratien immer weiter ins Autoritäre abgleiten, ob sie in der entstehenden multipolaren Welt, innerlich zerrissen, keine kohärente Politik mehr gestalten können.

Es scheint eine Debatte dazu zu entstehen, zumindest gibt es jetzt zahlreiche Beiträge. Einen der besten, den der britische Historiker und Publizist Timothy Garton Ash verfasste, empfahl ich schon auf piqd.

Andere Facetten beleuchtet die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Grünen-Politikerin Antje Vollmer. Einen geopolitischen Überblick der letzten 30 Jahre, in dem viele Freiheitsversprechen sich nicht erfüllten, gibt sie. In dieser Zeit waren die USA die letzte verbliebene Weltmacht, deren politische und ökonomische Kaste die Gunst der Stunde kurzfristig auskostete.

„America First“ war zwar erst viel später die Leitparole von Donald Trump, aber der Sache nach war es der Leitstern, dem alle US-Regierungen stets folgten.

Eine Rückkehr in diese Epoche ist weder möglich noch wünschenswert. Selbst ein bessere Administration als die von Biden wäre dazu nicht in der Lage. Es entstand überall, wo der Westen seine Macht durchsetzte, eine große Gereiztheit.

Alle rechtspopulistischen Strömungen in Ost und West haben in dieser Ernüchterung und in der daraus folgenden Wut ihre Ursache. Darum sind sie so gefährlich. Darum muss man begreifen, was eigentlich falsch gelaufen ist. Denn der Kern dieses Zweifels zielt auf das westliche Gesellschaftsmodell selbst.

Für Antje Vollmer sind wir an einem Scheideweg angekommen, ein Zurück ist unmöglich geworden, ein Abdriften in autoritäre Formen möglich und teilweise schon geschehen, aber gibt es auch mehr als eine Minichance, dass die liberalen Demokratien sich erneuern? Und was müssten sie innen- wie auch außenpolitisch ändern?

Die westlichen Demokratien ... müssen sich von der geliebten Annahme der selbstverständlichen, unbestreitbaren Überlegenheit ihres Systems in Form und Inhalt verabschieden. Sie müssen ganz neu anfangen, ihre eigenen Feindbilder und Hysterien zu bekämpfen, die längst einen neuen Kalten Krieg vorbereiten. Sie müssen wieder lernen, diplomatische Kompromisse zu schließen: mit China, mit Russland, mit dem Iran, mit Griechenland, Polen und Ungarn. Sie müssen alles auf die Karte der Uno setzen. Sie müssen endlich den internationalen Konzernen, Banken und Hedgefonds, Google und Amazon, Steuern und Regeln verordnen, sie dürfen vor US-Sanktionen nicht länger kuschen. Sie müssen die Rüstungsausgaben begrenzen und umgehend mit einer weltweiten Entspannungspolitik ernst machen. Sie müssen sich neu als Demokratie erfinden.

Na, das klingt mächtig, nahezu nicht zu bewältigen, wenn man die müden Debatten in unserem Land ein halbes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, die zumindest eine Ära beenden wird, betrachtet.

Keiner weiß, wie sich diesmal Geschichte ereignet, schleichend wie eine Schnecke oder doch eruptiv. Wir dürfen nicht vergessen, dass vor der Seuche es so viele Unruhen und Demonstrationen gab wie seit dem Epochenjahr 1989/90 nicht mehr.

Das weiß natürlich auch Antje Vollmer, weshalb ihr Schluss lautet:

Das sind Herkulesaufgaben mit ungewissem Ausgang. Aber wenn Demokratien das nicht können, wer sonst?

Den Beitrag kann man sich auch vorlesen lassen.

Erleben wir den unaufhaltsamen Abstieg des Liberalismus?

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