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Zeit und Geschichte

Entkommen unmöglich

Knud von Harbou
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Knud von HarbouDienstag, 09.02.2016

Zunehmend treibt uns ein Problem um, für das wir bislang noch keine Theorie haben: Es ist die zerfaserte Struktur von Kriegen, mittlerweilen klischeeartig als asymmetrisch, d. h. total verschiedenartig definiert. So beherrscht uns in Europa nicht mehr nur die Angst vor einem Krieg, sondern wir müssen uns mit der Wahrnehmung vertraut machen, dass er bereits da ist. In welchen Erscheinungen, mit welchen Ursachen, Zielen - das untersucht auf der Folie modernster Erkenntnisse der Berliner Zeithistoriker Jörg Baberowski (Räume der Gewalt. S. Fischer Verlag), unterlegt von einer klein gesetzten siebzehnseitigen Bibliographie. Schon der Buchtitel verweist auf ein anderes Denken, löst Baberowski doch die vielen Detailstudien über Ursachen, Kriegsabläufe, Täterprofile auf zugunsten einer zeitübergreifenden Betrachtung, wie Gewalt fester Bestandteil unseres Lebens ist. Was nur mittels Abwehr verdrängt wird - denn „wir können ihr nicht entgehen“. Keineswegs ist sie eine Ausnahme, vielmehr mutiert sie durch komplizierte Dynamiken, die gesellschaftliche Räume und Situationen völlig verändern, zu schlussendlich neu akzeptierter Normalität.

Besonders die Verwandlungsprozesse der Gewalt stehen im Fokus dieser handbuchartigen Studie. Skeptisch wird die „beispiellose Friedfertigkeit“ unserer Epoche hinterfragt. Die Beziehung von Moderne und Gewalt heute sieht er „entgrenzt“, zugleich versucht er, stark an die Soziologie angelehnt, neue Strukturlinien aufzuzeichnen. Damit leitet er zu dem anderen wesentlichen Begriff über, dem der „Unsichtbarkeit“. Diese sei das Merkmal der strukturellen Gewalt. Es sei vor allem die psychische Gewalt, die sich unsichtbar als „Todes- oder Verletzungsandrohung“ dauerhaft in der Psyche verankert. Die Menschen würden so, in Anspielung auf Elias Canettis „Masse und Macht“, nur noch auf drohende Gefahren reagieren. Die Gewaltspuren lagerten sich im Bewusstsein ab „und werden zu einer Struktur, die sich verselbständigt“. Trotz womöglich ausbleibender Gewalteinwirkungen bleiben diese jedoch unbewusst erhalten und sind kaum auflösbar.

Jeder Satz Jörg Baberowskis ist für sich ein thesenartiger Hammerschlag. Deprimierend seine Conclusio einer Anthropologie der Gewalt: „Ein Leben ohne Macht ist nicht vorstellbar, weil es ein Leben ohne Gewalt nicht gibt“, womit wir bei Freuds Abhandlung „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ zu Beginn des Ersten Weltkriegs wären.

Macht und Gewalt sind für den sehr bekannt gewordenen Osteuropahistoriker, der mehr als fünfzehn Jahre lang über die Stalinsche Gewaltherrschaft forschte, keine Gegensätze, vielmehr zwei Seiten einer Medaille: „Die Ordnung schützt uns vor Gewalt, aber nur deshalb, weil sie jederzeit durch Gewalt erzwungen werden kann.“ So durchschreitet Jörg Baberowski Räume und Situationen der Gewalt mit ihren Handlungszwängen, denn sie seien es, die darüber entscheiden, was mit uns geschieht, wenn die Gewalt ausgebrochen ist, nicht die Ideen und Gründe. Er greift damit die vor fünf Jahren erschienene Soldaten-Studie Sönke Neitzels und Harald Welzers auf, die zum Schluss kam, dass die Situation „viel entscheidender für das (sei), was Menschen tun, als die Persönlichkeitseigenschaften, die sie in diese Situation hineinbringen“. Was jetzt noch fehlt, ist eine große Studie über das Wechselverhältnis zwischen Gewalträumen und darin agierenden Personen. Immerhin sind beide Aspekte durch die Forschung nun in eine Art Gleichgewicht gerückt.

Entkommen unmöglich

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Kommentare 3
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor mehr als 8 Jahre

    Geht er auch auf die Gewalt ein, die wir gegen uns selbst richten? In meiner Wahrnehmung ist es eine Ausprägung neoliberaler Gesellschaften, dass Machthaber (gleich welcher Gestalt) Macht lediglich besitzen, nicht jedoch ausüben müssen. In einer besonders ironischen Volte, ist in vielen Fällen selbst die Exekution ausgelagert worden auf die zu Exekutierenden. Achtung - Pathos-Alarm: Die Verlierer diese Gesellschaft werden zu Richtern und Henkern ihrer selbst. (Ist jetzt natürlich "for the sake of argument" unzulässig verallgemeinert und vereinfacht.)

    1. Knud von Harbou
      Knud von Harbou · vor mehr als 8 Jahre

      mein lieber Frederik, nee. Und da wären wir wieder beim dem Defizit der Historiker, dass sie nämlich unfähig sind psychologisch zu denken. Die Mechanismen innerpsychischer Strukturen sind viel komplizierter und erstaunlicherweise von all diesen Welzers kaum aufgegriffen. Immerhin verschiebt Baberowski die Perspektive. Murmelt Knud in seinen aus heutiger Zeit gefallenen psychoanalytischen Dreitagesbart. Gehts Dir gut? Herzlich, Knud

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als 8 Jahre

      @Knud von Harbou Hier ist noch einer, allerdings auch kein Historiker: Stavros Mentzos http://www.buecher.de/...

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