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Zeit und Geschichte

Als Winston Churchill zu Winston Churchill wurde - Buchbesprechung

Knud von Harbou
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Knud von HarbouMittwoch, 24.01.2018

Die drei entscheidenden Wochen seines Lebens

Auch das ist eine biographische Volte, die im Ergebnis voll überzeugt: Der Churchill Chronist Antony McCarten (Die dunkelste Stunde. Churchill – als England am Abgrund stand. Ullstein Taschenbuch 2018) beschränkt sich auf den Zeitraum zwischen 10. Mai und dem 4. Juni 1940, also die Phase zwischen Churchills Ernennung zum Premierminister und der nahezu vollständigen Evakuierung der eingeschlossenen britischen Armee in Dünkirchen in letzter Sekunde. Das hat den Vorteil, dass gewissermaßen wie unter einer Lupe die nahezu aussichtslose Situation Englands kurz vor dem Fall beleuchtet wird, als auch die schillernde Persönlichkeit Winston Churchills in ihrem Wesenskern zum Vorschein kommt. Bedingt durch die politische Dramatik dieser nur drei Wochen erhält die Biographie eine enorme Intensität und der Leser sieht sich unvermittelt im Strudel existenzieller Entscheidungen, geleitet von einem Premierminister, dem zunächst mehrheitlich Vorbehalte entgegenschlugen.

Das militärische Desaster Englands in Norwegen, als sich die Marine vor den Deutschen zurückziehen musste, brachte das Fass zum Überlaufen: die Appeasement-Politik Neville Chamberlains galt als gescheitert, zu drohend zeichnete sich das Menetekel eines Siegs des Faschismus und der Untergang eines demokratischen Europas ab. Doch wer sollte ihm folgen? Man wähnte seinen Gegenspieler Außenminister Lord Halifax als natürlichen Anwärter, die Lords wollten ihn, König George VI. ebenso wie die Labourparty. Doch England brauchte jemanden, der über alle parlamentarischen Grabenkämpfe hinweg das Land einen konnte und auch das Militär hinter sich wusste. Und bereit war, notfalls gegen den zur unmittelbaren Invasion fähigen Hitler Krieg zu führen. Und dieser Mann sollte Winston Churchill sein? „Ein 65-jähriger Wortakrobat mit einem Alkoholproblem und einer jahrzehntelangen Geschichte von Fehlurteilen als Führer des Landes“? So jedenfalls dachten Neville Chamberlain und seine Freunde. Zwar war Churchills Ruf als Militär seit der ihm zugeschriebenen Niederlage in der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg lädiert, an Entschlossenheit hatte er es aber nie mangeln lassen. Anders Lord Halifax, der selbst als Hitler die Beneluxstaaten in einem Blitzkrieg erobert hatte, noch an einen Friedenschluss mit dem Diktator glaubte. Er konnte sich mit einem Westeuropa unter Hitler, aber einer durch ein Friedensabkommen gesicherten Autonomie Großbritanniens abfinden. Dazu trug auch seine in England durchaus verbreitete Affinität zum Nationalsozialismus und Hitlers Entourage bei. Beide Positionen, wobei auch Churchill einer Friedenslösung viel näher stand, als gemeinhin von seinen Biographen unterstellt, aber unverrückbar zu seiner Position eines Vertragsschlusses mit Hitler nur als ultima ratio stand, dominieren diese legendären drei Wochen.

Im Kern lautete die Frage, sollte Großbritannien, nachdem auch Frankreich besiegt war, allein weiterkämpfen, den drohenden Verlust seiner Streitkräfte und sogar der Nation vor Augen, oder sollte es auf Nummer Sicher gehen und ein Friedensabkommen mit Hitler in Erwägung ziehen? Bevor dies beantwortet werden musste, galt es zunächst die englische Öffentlichkeit mit der Realität zu konfrontieren. Die englische Presse zeichnete noch Mitte 1940 ein fast idyllisches Bild einer trügerischen Ruhe auf der Insel.

Anhand erstaunlicherweise bislang wohl noch nicht ausgewerteter Protokolle des Kriegskabinetts zeichnet Anthony McCarten Churchills Weg hin zu seiner kompromisslosen Entscheidung „wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es uns kosten möge“. Eine Entscheidung, die man als Historiker nur als klassisch bezeichnen kann, immerhin schien eine deutsche Invasion unmittelbar bevorzustehen, das französische Heer geschlagen, das englische Volk ungeschützt, die britische Armee seit Dünkirchen in totaler Konfusion, jede Hilfe der USA ließ auf sich warten. Aber Churchill wäre nicht Churchill, wenn er dieser enormen Verantwortung ausgewichen wäre. Abgezeichnet hatte sich sein Entschluss bereits in zwei Reden. Die erste hielt er vor Mitgliedern des äußeren Kabinetts, die in die Diskussionen des Kriegskabinetts nicht eingeweiht waren, die zweite („Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“) vor dem versammelten Parlament und somit vor der Weltöffentlichkeit. Von beiden gibt es keine vollständige Mitschrift. Konzipiert von ihm unter genauestem Studium von Ciceros Rhetorik sicherten sie ihm ausreichenden parlamentarischen Rückhalt und überraschend auch die Zustimmung von König George VI. Rückenwind erhielt er überdies durch den Erfolg seiner persönlich angeordneten „Operation Dynamo“. Zum ungläubigen Staunen seiner Militärs ordnete er die Rückführung von etwa 330 000 in Dünkirchen eingeschlossenen Soldaten auf die Insel mit kleinen, oftmals nur zehn Meter langen Fischerbooten an. Seine dritte Rede vor dem Parlament mit dem Bekenntnis, sich niemals dem faschistischen Joch zu unterwerfen, führte gewissermaßen die vorherigen Reden fort und ging mit gutem Grund in die Annalen berühmtester Reden ein.

Der Vorzug Anthony McCartens Darstellung ist, Winston Churchills Arbeitsweisen, Führungsqualitäten, Denken und vor allem die Psyche in diesen entscheidenden drei Wochen herauszuarbeiten und so als pars pro toto einer biographischen Kernaussage vorzustellen. Im Text fällt kaum auf, wie umsichtig er alle wesentlichen Biographien Churchills sowie amtliche Quellen einbezieht. Dabei ist natürlich die Vorlage für das Drehbuch für den gleichnamigen Film erkennbar, was aber in keinem Fall den Wert dieser Biographie schmälert. Der Filmbesucher sollte sich jedoch nicht dem Nutzen des auch als detaillierten Anmerkungsapparat zu lesenden Buches verweigern, viele der dialogischen Nuancen versteht man nur aufgrund der Hinweise des Buches.     

Als Winston Churchill zu Winston Churchill wurde - Buchbesprechung

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