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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Die Banalität von Geschichte äußert sich oft in verrückten Episoden. Hier erzählt Viktor Jerofejew wie er im Sommer 1962 als Heranwachsender auf der Datscha bei Moskau beinahe jeden Abend mit einem der merkwürdigsten und fanatischsten Menschen des 20. Jahrhunderts verbrachte. Dieser Mensch hieß Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, ein Massenmörder, der in der Sowjetunion mehr Todeslisten unterschrieb als Stalin. Dessen längster und engster Verbündeter er war. Und der ihn und seine Frau zum Schluß seiner Herrschaft selbst noch ins Visier nahm.
Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, im Westen berühmt unter dem Spitznamen «Mister Njet», unter Stalin zweiter Mann der Sowjetunion, über viele Jahre Chef der Aussenpolitik der UdSSR, weltbekannt durch den Molotow-Ribbentrop-Pakt, der Europa zwischen der Sowjetunion und Hitlerdeutschland in Einflusszonen aufteilte, lebte auf der Datscha nebenan. Molotow war bereits in Pension, von Chruschtschow aller Ämter enthoben. Man hatte ihm eine bescheidene staatliche Datscha zugeteilt.
Er wurde wie die Mehrzahl der Sowjet-Täter nie zur Rechenschaft gezogen. Molotow wurde am Ende seines Lebens zwar zur Unperson. Aber er
lebte beinahe ununterbrochen auf der Datscha, still und friedlich, und jede seiner Fahrten nach Moskau kränkte mich zutiefst. Vor seinem Haus fuhr dann eine schwarze, etwas in die Jahre gekommene SIM-Limousine vor, der Kofferraum, klein wie ein Necessaire, ging auf, der Chauffeur machte sich träge hier und da zu schaffen, weibliche Hausgeister tauchten auf – und dann trat er aus dem Haus, im tadellosen dunklen Anzug mit dunkler Krawatte und dunklem Hut. Akkurat in jeder Bewegung, umsichtig und einen Hauch verwirrt, duckte er sich und tauchte in den SIM ein, liess sich ohne Eile in den Rücksitz sinken.
Dort auf der Datscha traf sich Jerofejew abends gegen neun auf der Bank an der Grundstücksgrenze mit dem Expolitiker, den er Onkel Slawa nannte. Sie hörten gemeinsam auf dem 31-Meter-Band der Kurzwelle die "Stimme Amerikas" aus Washington. Wenn es die Störsender zuließen. Gemeinsame Stunden mit einem gebildeten Henker:
Der kommunistische Traum hat Dutzende von Millionen Menschenleben gekostet. Während Stalin niemals seine Memoiren schrieb und die geheimen Motive seines Handelns mit ins Grab nahm, konnte Molotow unumwunden zugeben, dass die blutige Kollektivierung der frühen 1930er Jahre ebenso notwendig gewesen sei wie der sogenannte Grosse Terror von 1937. Nach allen Normen der Menschenrechte hatte ich es mit einem wahren Henker zu tun, der seinen Nürnberger Prozess verdient hatte.
Bei Stalin hatte - so die Beobachtungen von Jerofejews Vater, von allen hohen Funktionären allein Molotow etwas zu sagen. Alle sonst waren lediglich kuschende Befehlsempfänger.
Sie regierten zu zweit die Sowjetunion. Bei ihnen oben liefen, wie sie es ja selbst angeordnet hatten, alle Fragen des extrem zentralisierten Staates zusammen, von globalen Problemen bis hin zum Schnitt von Damenblusen und zu der Gestaltung öffentlicher Toiletten in Moskau. Stalin fühlte sich sogar zuständig für die kleinen Bedürfnisse seiner Bürger.
Erst gegen Ende der 1940er wurde der alternde Stalin zunehmend misstrauisch gegenüber Molotow. In seiner grausamen, kalten Art zwang er seinen treuen Anhänger, sich von seiner geliebten Frau Polina Semjonowna Schemtschuschina als politisch unzuverlässiger Person los zu sagen. 1948 mussten sie sich scheiden lassen.
Molotow litt schwer unter der Trennung von seiner Frau. Stalin jagte sie systematisch davon: Sie wurde aus dem ZK ausgeschlossen und aller Posten enthoben. Dies war zum Teil darauf zurückzuführen, dass Stalin ihr misstraute, weil sie einmal mit seiner Frau Nadeschda Allilujewa befreundet gewesen war. Wenige Stunden vor deren mysteriösem Selbstmord im Jahr 1932 waren die beiden nachts lange im Kreml spazieren gegangen, hatten sich ausgetauscht, und möglicherweise kannte Schemtschuschina das Geheimnis ihres Todes.
im Februar 1949, wurde Polina Schemtschuschina verhaftet. Man beschuldigte sie, einen Anschlag auf Stalin vorbereitet zu haben sowie verbrecherische Beziehungen zu zionistischen Kreisen zu unterhalten. Zu Recht sagt man, der Totalitarismus frisst am Ende selbst seine treuesten Kinder.
Die großen theoretischen Erzählungen haben solche verstörenden Details oft übersehen oder verdrängt. Sie passen wohl nicht ins Menschenbild der Utopien. Schon deswegen lohnt es sich, diesen Artikel zu lesen.
Quelle: Viktor Jerofejew www.nzz.ch
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Ein großartiger Artikel mit vielen sprechenden Details!
Allerdings ein wenig Vorsicht ist angebracht. Der Kater in Bulgakows "Meister und Margarita" zum Beispiel hat nichts mit Molotow zu tun, denn Bulgakow starb schon 1940 - teilweise in den Tod gehetzt noch nicht mal fünfzigjährig.
Die Verhaftung von Molotows Ehefrau erfolgte erst 1949. Wenn der verdiente Massenmörder Molotow "sich (danach) in einen wütenden Kater mit Zwicker auf der Nase" verwandelt hat, war das nach Bulgakows Tod.