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Kurator'in für: Zeit und Geschichte Fundstücke
Michaela Müller, in Dachau geboren, studierte Politikwissenschaften, Zeitgeschichte und Geschichte Asiens in Berlin. Sie schreibt über Menschenrechte, Migration und Ostafrika. Aufenthalte in Kenia, New York, Paris, Somalia und Somaliland. Bücher/Essays: Vor Lampedusa (2015), Auf See. Die Geschichte von Ayan und Samir (2016). Für piqd wählt sie Texte über die Geschichte des Holocaust, Arbeitergeschichte, Migration und Mentalitätsgeschichte aus.
Aus Anlass des 35. Jahrestages der Atomkatastrophe von Tschernobyl zeigt der Sender Pro Sieben die Mini-Serie „Chernobyl“. Ulrike Klode hat sie bereits hier vorgestellt. Inzwischen wurde sie mit zwei Golden Globes und zehn Emmys ausgezeichnet.
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen der Wissenschaftler Waleri Legassow und der Leiter der Regierungskommission Boris Schtscherbina. Sie sind es, die nach der Nuklearkatastrophe die Situation vor Ort in den Griff bekommen sollen.
Aktuell ist die Serie auch in einer anderen Hinsicht. Der fehlende Wille, aber auch die Fähigkeit politisch Verantwortlicher zur Technikfolgenabschätzung und zugleich das bereitwillige Ignorieren von Wissenschafts- und Expertenmeinungen. Eine Selbsttäuschung, die angesichts des Wissens, das die Zuschauer*innen den Protagonist*innen voraus haben, umso bedrückender wirkt.
Schtscherbina wird später zum Vorwurf gemacht, die Evakuierung der nahegelegenen Stadt Pryjpat zu spät, erst 36 Stunden nach der Explosion, veranlasst und 50.000 Menschen einer hohen Strahlung ausgesetzt zu haben.
In der Serie ist es immer wieder Waleri Legassow, der auf die drohenden Gefahren hinweist und so viel schlimmere Folgen abwendet, wie etwa die Explosion der anderen Reaktoren, die durch die Kernschmelze des havarierten vierten Reaktors ausgelöst worden wäre, wenn die darunter liegenden Wasservorräte nicht rechtzeitig abgelassen worden wären.
Legassow und Schtscherbina zählten später selbst zu den Opfern. Legassow nahm sich zwei Jahre später, am 27. April 1988 das Leben, Schtscherbina starb 1990 in Moskau. Auch das Schicksal des weißrussischen Feuerwehrmannes Wassili Ignatenko und seiner Frau Ljudmila wird stellvertretend für die vielen Opfer aus dem Kreis der Feuerwehrleute, Liquidatoren, Soldat*innen und der Menschen aus Pryjpat erzählt.
Filmisch ist es eindringlich dargestellt, was Kritiker*innen einerseits positiv, aber auch negativ hervorgehoben haben.
Historischen Stoff für ein großes Publikum zu verfilmen, ist eine Herausforderung: das richtige Verhältnis zwischen Unterhaltung und historischer Faktenlage in der Erzählung zu finden. Ich finde diese Mini-Serie gelungen.
Als Lektüre möchte ich die Protokolle "Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft" der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch empfehlen. Sie hat mit vielen betroffenen Menschen gesprochen, die heute mit den Folgen leben müssen. Außerdem richtet die Historikerin Melanie Arndt in diesem Aufsatz den Blick auf die transnationale Wahrnehmung und die Folgen der Katastrophe.
Am 12., 19., und 26. April gibt es im Programm des Senders Pro Sieben drei Themenabende.
Quelle: Craig Mazin (Buch)/Johan Renck (Regie) Bild: HBO/Sky EN www.youtube.com
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