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Volk und Wirtschaft

Verstärkt Erben wirklich die soziale Ungleichheit?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 04.03.2022

Ab und zu sollte man auch geglaubte Gewissheiten mal infrage stellen. Es stimmt:

Jahr für Jahr werden riesige Summen verschenkt und vererbt, umverteilt von “oben” nach “unten” wird davon nur wenig. Das gilt besonders für Österreich, wo es keine Erbschaftsteuer gibt. Es gilt aber auch für Deutschland, wo Schätzungen zufolge zuletzt bis zu 400 Milliarden Euro im Jahr vererbt oder verschenkt wurden, der Staat aber nur 8,5 Milliarden Euro an Erbschaft- und Schenkungsteuer erhielt. Die Tabaksteuer brachte im selben Jahr 14,7 Milliarden Euro. Deutschlands Erben tragen weniger zur Staatsfinanzierung bei als Deutschlands Raucher.

Aber komplexe Systeme verhalten sich oft kontraintuitiv. Und so stellen sich Ökonomen immer wieder die Frage: Wie viel kann man mit einer Erbschaftssteuer im Kampf gegen die soziale Ungleichheit wirklich erreichen?

Zwei neue Studien, aus Australien und Norwegen, geben nun grundsätzlich zu denken, ob die Erbschaftsteuer überhaupt etwas gegen die Ungleichheit in einer Gesellschaft ausrichten kann. Beide Studien verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Sie schauen, welches Gewicht im Verhältnis zu den sonstigen Vermögen die Erbschaften überhaupt ausmachen. 

In diesen Ländern gibt es schon länger keine Erbschaftssteuern mehr – in Australien seit 1979, in Norwegen seit 2014. 

Und die Australier z. B. übertrugen in den vergangenen zwei Jahrzehnten Vermögen im Gesamtwert von etwa 1,5 Billionen Dollar – 90 Prozent davon als Erbschaften.

Gemessen an der Höhe des bereits vorhandenen Vermögens, erhielten die weniger wohlhabenden Menschen im Durchschnitt einen viel größeren Zuwachs durch Erbschaften. Bei den ärmsten 20 Prozent war er etwa 50-mal so hoch wie bei den reichsten 20 Prozent. “Vermögenstransfers verringern also tendenziell den Anteil des Vermögens der reichsten Australier”, hieß es. Und diese Entwicklung werde sich wahrscheinlich fortsetzen.

Ähnliches lässt sich für Norwegen sagen. Dort kommt noch die für empirisch arbeitende Ökonomen hervorragende Datenlage hinzu. Individuelle Steuererklärungen sind in Norwegen seit Anfang des 19. Jahrhunderts öffentlich. Man kann also flächendeckend über einen langen Zeitraum analysieren, in welchem Verhältnis Erbschaften zu den Arbeitseinkommen oder zu staatlichen Transferzahlungen stehen. Die Analyse umfasste allerdings nur die Jahre zwischen 1995 und 2013, bezog aber die gesamte Bevölkerung ein.

Das durchschnittliche Nettovermögen der Norweger lag 2013 bei umgerechnet 176 000 Euro. Der Wert ihres bis zu dem Zeitpunkt verdienten Arbeitseinkommens nach Steuern betrug im Schnitt etwa 1,04 Millionen Euro, die Transfers nach Steuern lagen bei 266 000 Euro, der Wert der erhaltenen Geschenke und Erbschaften bei 45 000 Euro. Schenkungen und Erbschaften machen im Durchschnitt also nur zwei bis fünf Prozent des Gesamteinkommens aus. Als die Forscher simulierten, wie die norwegische Einkommens- und Vermögensverteilung aussehen würde, wenn es keine Schenkungen und Erbschaften gäbe, stellten sie fest, dass sie im Wesentlichen unverändert wäre. Ihr Fazit: Für die Vermögensverhältnisse im Land spielen Erbschaften keine große Rolle.

Wie in Australien liegt das daran, dass die meisten Menschen ihre Erbschaft meist spät im Leben antreten. Der Lebenslauf, die Karrieren sind also schon über dem Höhepunkt.  

Eine höhere Besteuerung der Erbschaften, meinen die Forscher, würde kaum zur Verringerung der ungleichen Vermögensverteilung beitragen. Dafür wirkten sich die Erbschaften einfach zu wenig auf die finanziellen Möglichkeiten der Menschen im Laufe ihres Lebens aus.

Was natürlich insgesamt noch kein Plädoyer gegen eine vernünftige und einfach zu handhabende Erbschaftssteuer ist. Solange dabei die Besteuerung von zu vererbenden Betriebsvermögen nicht zur Destabilisierung der Familienunternehmen führt.

Verstärkt Erben wirklich die soziale Ungleichheit?

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Kommentare 9
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 2 Jahre

    ok. unterscheiden von ungerecht verteilten Reichtum und Vererben an sich und ungerechtem Vererben. Allerdings vergessen die genannten Statistischen Arbeiten, dass vielleicht Menschen oft erst im höheren Alter erben, aber ihre Eltern zt bereits geerbt hatten etc. Das Vererben bildet ja oft eine Kette über mehrere Generationen hinweg. und da würde eine Steuer schon weit eher greifen...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      Ich habe eigentlich nichts gegen eine Erbschaftssteuer. Nicht nur, weil ich nicht groß erben werde. Nur ist es offensichtlich nicht ganz einfach, den Wert der Vermögen fair zu bestimmen. In der Regel ist das ja kein Bargeld. Es wäre mal interessant zu erfahren, was mit dem Wert der Vermögen passieren würde, wenn man diesen wirklich substantiell besteuert?

  2. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 2 Jahre

    Die Autorin schreibt: „ Gemessen an der Höhe des bereits vorhandenen Vermögens, erhielten die weniger wohlhabenden Menschen im Durchschnitt einen viel größeren Zuwachs durch Erbschaften. Bei den ärmsten 20 Prozent war er etwa 50-mal so hoch wie bei den reichsten 20 Prozent.“
    Bezugsgröße ist hier das „vorhandene Vermögen“. Dazu ein Rechenbeispiel: wenn jemand 1 Mio € Vermögen hat und 2 Mio € erbt, erbt er doppelt so viel wie er hatte. Wenn jemand 1000 € Vermögen hat ( d.h. Zu den 20% Ärmsten gehört) und 100.000 € erbt, erbt er 100 mal so viel wie er hatte. Hat sich die soziale Ungleichheit verringert? Der Artikel behauptet „ja, der „Arme“ erbte 100 mal so viel wie er hatte“. Ich meine: „nein, der „Reiche“ erbte 2Mi, der „Arme“ nur 100.000. Damit hat er vielleicht den Eigenkapitalanteil für eine Eigentumswohnung und kann sich vielleicht den Rest von der Bank leihen, um die Wohnung zu kaufen. Der „Reiche“ hatte schon vor dem Erbfall eine Villa und kauft sich vom Erbe Aktien und ist ab sofort ‚Kapitalst‘“. Ich würde mir vom kritischen Journalismus, der statistische Untersuchungen zum Gegenstand hat, wünschen, dass er erst mal genau darstellt welche Äpfel mit welchen Birnen verglichen werden und ob das eigentlich sinnvoll ist.
    Walter
    Walter

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

      Der Vergleich von zwei Einzelfällen ist noch keine Sozialstatistik. Auch wenn es unsere Intuition gefühlt nahelegt. Zumal die Erbschaftssteuer schon sehr hoch sein müßte. Es geht ja vornehmlich darum, wieviel das Erben im Vergleich zum Einkommen am Ende des Berufslebens überhaupt ausmacht. Also der Ansatz ist wesentlich komplexer als Ihr Vergleich zweier Fälle.

    2. Michael Bauer-Leeb
      Michael Bauer-Leeb · vor mehr als 2 Jahre

      @Thomas Wahl Der Vergleich mag keine Sozialstatistik sein, aber es ist evident, dass die meisten großen Erbschaften in sozialen Klassen stattfinden, die bereits hohe Vermögen haben. Insofern zeigt der Vergleich eine grundsätzliche Thematik auf, die sehr wohl relevant ist. Es zeigt sich zB an Studien der österreichischen Nationalbank immer wieder aufs Neue, dass die Vermögenswerte der obersten 10% in Österreich regelmäßig deutlich unterschätzt werden. Es ist davon auszugehen, dass die bereits bestehende soziale Ungleichheit daher größer ist, als bisher angenommen wird.
      Wenn wir schon bei Statistik sind: weiters ist es von Relevanz, wer welche Bildungschancen und Netzwerke verfügbar hat - diese werden als wichtige Treiber von Ungleichheit (oder deren Verminderung) ja auch im von ihnen gepiquten FAZ Blogbeitrag genannt. Auch hier zeigt sich, dass die vermögenderen Personen besser ausgestattet sind und mit ihrem Erbe weitergeben. Das kommt in den beiden im Blogbeitrag zitierten Studien nicht zur Sprache. In wie weit sie also geeignet sind, um zum Schluss zu gelangen, dass Erbschaften nicht zur Vergrößerung der sozialen Ungleichheit beitragen, darf - ja muss - deutlich in Frage gestellt werden.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      @Michael Bauer-Leeb Also das die Personen, die hohe Erbschaften machen vorher schon besser ausgestattet sind ist ja der Grund, warum Erbschaftssteuern monetär nicht gut gegen soziale Ungleichheit hilft. Und das steht eindeutig in den Studien und im FAZ Beitrag. Dort steht übrigens auch nicht, dass das Erben nicht zu mehr sozialer Ungleichheit führen. Sondern nur, dass eben Erbschaftssteuern statistisch nicht gut dagegen wirken.

      Was die Rolle von Netzwerken und Bildungschancen innerhalb sozialer Gruppen betrifft, die waren nicht Gegenstand der Betrachtung. Aber schauen Sie in Länder, wo man versucht hat die Bildungschancen der intellektuellen oder der Wirtschafts-Eliten zugunsten der anderen zu bremsen oder zu minimieren. Die Folge war mehr Armut für alle.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

      Die Wissenschaftler der Norwegen-Studie z.B. benennen ihre Zielstellung wie folgt:
      "This paper aims at understanding whether this fear is well founded by examining where individuals get their resources: Do the richest echelon of society get their money mostly from inheritances and gifts, or do their resources predominantly come from work, without inheritances or inter-vivos gifts?"
      https://www.nber.org/s...

  3. Michael Bauer-Leeb
    Michael Bauer-Leeb · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

    Man kann natürlich "geglaubte" Gewissheiten in Frage stellen. Wenn es sich aber um empirische Evidenz handelt, ist es wohl eher der unbedingte "Glauben" daran, dass diese Evidenz halt doch nicht so evident ist - oder sein sollte, weil dass halt dem eigenen "Glauben" widerspricht. Auch in der Klimawandel-Diskussion gibt es dieses Phänomen. Mittels Cherry-Picking kann man dann schon auch "Evidenz" produzieren, die dem eigenen "Glauben" eher entspricht und so Zweifel sähen. Eine seit Jahrzehnten durchaus bewährte (und überwiegend vom rechten politischen Lager eingesetzte) Strategie, die von Oreskes und Conway im Buch "Merchants of Doubt" aufgedeckt wird. Es stellt sich also die Frage, inwiefern das auch hier passiert ist. Einen Hinweis liefert dieser Satz für die norwegische Studie: "Für ihre Analyse konzentrierten sie sich auf den Zeitraum zwischen 1995 und 2013." Warum dieser Zeitraum, wo "doch [die] hervorragende Datenlage [...] [i]ndividuelle Steuererklärungen [...] in Norwegen seit Anfang des 19. Jahrhunderts öffentlich“ zugänglich macht. Aber klar, gerade das "linke politische Lager" kann, ja darf gerade in ökonomischen Fragen einfach nicht die Evidenz auf seiner Seite haben. Weil, wo führt uns das am Ende noch hin, nicht wahr?

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

      Ganz klar, es kann nur ideologische Gründe geben …. Das die Studie vielleicht ein Anfang ist und die Datenauswertung kompliziert, sollte man zumindest in Erwägung ziehen. Und wenn man ernsthaft neugierig ist, dann kann man die Studie auch mal selber herunterladen. Und da findet man dann.

      "Tax records on gifts and inheritances are only available from 1995 to 2013, so this period is the focus of our analysis. "

      https://www.nber.org/s...

      Folgt der Wissenschaft …..!

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