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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Wenn sich Peter Sloterdijk äußert, sei es schriftlich oder mündlich, ist das immer ein Feuerwerk von Begriffsbildungen, originellen Gedankenverknüpfungen und Metaphern. Hier äußert er sich im Interview zu seinem jüngsten Buch „Den Himmel zum Sprechen bringen“. Er beantwortet unter anderem die Frage, warum und wozu wir eine Telekommunikationsindustrie benötigen.
Alle Kulturen kannten und brauchten demnach Techniken, den Himmel zu sich sprechen zu lassen:
Ja, man gesteht dem Himmel nur bis zu einem gewissen Grad die Freiheit zu, schweigsam zu sein, und wenn er zu lange schweigt, bringt man ihn zum Sprechen. Die höheren Kulturen des Altertums haben allesamt Verfahren entwickelt, wie man dem Jenseits Fallen stellt, sodass es zur Aussage genötigt wird. In einigen Kulturen hat man etwa aus den Eingeweiden von Opfertieren Rückschlüsse auf göttliche Dispositionen gezogen.
Als die Gesellschaften komplexer, hierarchischer, die Völker zahlreicher wurden, reichten die allgemeinen Naturreligionen, die in den Familien und Clans weitergegeben wurden, nicht mehr aus, um den „Zusammenhalt" zu managen. Es entstand der Gedanke, wir Menschen ständen unter Dauerbeobachtung durch Himmelsgötter.
Mit dem Seelenfunken-Gott ist eine Art innere Garnison beziehungsweise eine innere Polizeistation gemeint, die dafür sorgen sollte, dass Ruhe im Quartier eintrat. Jede Person sollte sich selber als ein unruhiges Viertel in der Gottesstadt begreifen und sich selbst beherrschen. Das ergab die alteuropäische Version der innengesteuerten Persönlichkeit. Also jener Persönlichkeit, die auf den Gedanken kommen konnte, so etwas wie unveräußerliche Menschenrechte zu besitzen. Für die heutige Zeit erscheint diese Persönlichkeitsidee zu aufwendig.
Und so entstanden laut Sloterdijk die modernen Überwachungstechnologien. Wobei die Chinesen aktuell zeigen, dass technologische Außensteuerung alles in allem effizienter und billiger ist als die Gottessysteme.
An einem innengesteuerten Menschen muss man 25 Jahre lang arbeiten. Es bedarf sehr langer Bildungsprozesse, bis jemand sich so weit im Griff hat, dass er an der Arbeitsgesellschaft teilnehmen möchte oder kann – und dabei besteht immerzu ein beträchtliches Risiko, dass die Innengesteuerten zu Dissidenten werden. Darum verzichtet man heute auf die innere Polizeistation und den ganzen Gewissensluxus; man gibt den Leuten ein Huawei-Gerät in die Hand. Das ist eine Telekommunikationsmaschine, die aus der Benutzerperspektive dazu dient, mit anderen Menschen Kontakt zu pflegen, das aber aus der Herstellerperspektive ein ideales Tracking des Benutzers erlaubt.Damit ist eine weitgehende Globalbeobachtung und -steuerung der menschlichen Aktivitäten und des individuellen Wollens möglich. Das heißt, an die Stelle Gottes tritt ein Telekom-Unternehmen, das Verhalten scannt und Informationen steuert – meint der Philosoph. Der Mensch erliege aber auch der Magie der Telekommunikation und imaginiere, erfolgreich Telepathie auszuüben. Dazu passe auch, dass die Nutzer sich z. B. bei Instagram oft so unbekleidet zeigen, wie sonst nur vor Gott "oder vor dem Urologen".
Wie Gott hat die Gesellschaft die Fähigkeit, an allem schuld zu sein – das ist die moderne Variante von Schöpfungsglauben. Alles, was passiert, kann und soll ihr zur Last gelegt werden. Sie genießt darin ihre Allmacht. Sie möchte gerne an allem schuld sein können.
Was gibt uns diese Betrachtung unserer Welt? Ich halte zwar einiges für originell, einige Analogien auch für zutreffend. Telekommunikation ist als Wirtschaftszweig u. a. auch ein Mittel, Gesellschaften zu beobachten und als Gesamtgesellschaft, als Staat, Einfluss auszuüben – im Guten wie im Bösen. Telekommunikation bietet jedoch viel mehr. Sie ermöglicht den Individuen, sich zu informieren und mit einander in selbstorganisierten Austausch zu treten. Das wird wahrscheinlich nie total beherrschbar sein. Die Gesellschaften erhalten Freiheitsgrade und Offenheit – jenseits des göttlichen Auges. Sloterdijk schreibt in seinem Buch:
Erscheinende Götter gaben ihrer Klientel so viel zu sehen, zu hören, gelegentlich zu lesen, wie zu deren Lenkung, Bindung und Belehrung geboten schien.
Das Internet bleibt dabei nicht stehen. Vom größten Blödsinn bis zum brauchbaren Wissen bekommt man alles geboten, man kann alles einspeisen. Man muss "nur" qualifiziert sein das positiv zu nutzen – wie etwa bei pigd.
Quelle: Peter Sloterdijk mit Svenja Flasspoehler www.philomag.de
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