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Volk und Wirtschaft

Technik, Wirtschaft und Gesellschaft - wie entsteht Zukunft?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 25.05.2024

Ein Technik-Historiker, der Neues aufregend findet aber ein Feind des Begriffs «Fortschritt» ist. Das klingt interessant. Ist aber für mich nachvollziehbar. Nicht nur in der Technik. Der Begriff "Fortschritt"

.. kann fast nichts erklären. Er impliziert einen zwangsläufigen und zielgerichteten Weg in die Zukunft, von der wir doch praktisch nichts wissen. Zudem blendet der Begriff die Frage aus, für wen sich Vorteile und für wen sich Nachteile ergeben werden. Dieser «Fortschritt» ist gewissermassen naturwüchsig. Ich spreche lieber von technischem Wandel. Er lässt sich evaluieren und findet nicht einfach statt.

Den konkreten Wandel sehen alle, man kann ihn messen. Aber was für den einen daran Fortschritt ist, das ist für den anderen die Apokalypse. Ist eine Gesellschaft, in der die absolute Armut beseitigt ist, aber die als relativ definierte Armut nicht verschwindet, nun progressiv oder nicht?

Nehmen wir das Beispiel KI. Viele glauben durch diese Technik wird der Mensch zumindest im Arbeitsleben überflüssig gemacht. Andere meinen, damit wird die Menschheit zu völlig neuen intellektuellen und wirtschaftlichen Leistungen befähigt. Und das ist offensichtlich ein typisches Muster. Zuerst eine grosse Hysterie, die sich dann in eine pragmatische Nutzung wandelt. Dazu Daniel Di Falco:

Es stimmt, im Moment hat man die Wahl zwischen Apokalypse und Erlösung. Aber das heisst eigentlich nur, dass noch kein Konsens darüber gefunden worden ist, was zu erwarten ist. Wir wissen heute nicht, ob wir in zehn Jahren über die KI nur noch stöhnen oder ob wir sie in unsere Arbeitswelt und unser Privatleben integriert haben werden. Aber die Verheissungen und Befürchtungen klingen ganz ähnlich wie jene, die Mitte der 1990er Jahre aufkamen, als es um das Internet und um Suchmaschinen ging: Jetzt könne jeder alles wissen, sagten die einen. Jetzt könne jeder alles behaupten, sagten die anderen. Mittlerweile haben wir uns recht kommod mit diesen Dingen eingerichtet und wissen sie einzusetzen. Und wir wissen auch, was sie nicht leisten können.

Dabei sind bei der historischen Analyse allgemeine, abstrakte Begriffe wie "der Mensch" oder "die Menschheit" wenig hilfreich. Jede Epoche hat ihre typischen Vorstellungen vom Menschsein und diese ändert sich mit den technischen Möglichkeiten:

Der sogenannte Mensch ist Kitsch. Es gibt Junge, Alte, Reiche, Arme – das Entscheidende sind die unterschiedlichen Motivationen und Interessen. Als Historiker frage ich mich, was man sich in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit unter dem «Menschen» vorgestellt hat. Und je nachdem, wie diese Gedankenfigur aussah, gab es Irritationen angesichts des technischen Wandels. 

Di Falco macht dies anschaulich am Beispiel des Schachcomputers. Als der Schachcomputer «Deep Blue» 1997 das erste mal den Weltmeister geschlagen hatte, galt diese Niederlage von Garri Kasparow als eine Beleidigung für den «Menschen». 

Das hat sich gelegt, vielleicht weil Schach nicht mehr als ultimativer Intelligenztest gilt. Oder weil ein Computer nicht Mitglied in einem Schachklub werden kann. Er wird heute als Trainingsgerät genutzt.

Der Historiker macht zurecht auf die konkrete Wechselwirkung zwischen Gesellschaftsentwicklung, Technikentwicklung und Wirtschaft im Geschichtsprozess aufmerksam. Nicht hier Technik, da Mensch, nicht hier Ursache, da Wirkung. Erklärt wird dies im Artikel am Beispiel der Schweiz die im späten 19. Jahrhunderts damit anfing, elektrische Energie zu produzieren. Es gab noch keine Nutzer und auch auch keinen Konsens, wozu man Strom alles verwenden könnte oder sollte.

Die Technik wurde der Gesellschaft angepasst, die Gesellschaft passte sich der Technik an:

Wer ein Flusskraftwerk in Betrieb nehmen wollte, der konnte den Strom zwar nicht den Kühen am Ufer der Aare verkaufen. Aber vielleicht liessen sich die Bauern der Umgebung gewinnen: Hast du dir schon einmal überlegt, eine Melkmaschine anzuschaffen? Und wenn du dann schon einen Motor hast: Du könntest damit auch eine Güllepumpe antreiben. Und ein Heugebläse. Und eine Holzfräse. Und weisst du was: Wir schenken dir einen guten Motor. Für den Strom zahlst du einen Pauschaltarif, aber du darfst ihn nur tagsüber nutzen, denn abends brauchen wir Strom für die Beleuchtung auf dem Dorfplatz und in den Beizen. So machten es die Produzenten, und so funktioniert technischer Wandel eigentlich immer: Es ist nicht die Nachfrage, die die Entwicklung stimuliert, sondern umgekehrt. Man macht ein Angebot und bemüht sich darum, dass sich das passende Bedürfnis entwickelt. Solche Dinge gehören zum Prozess, in dem sich eine Gesellschaft über eine neue Technologie verständigt.

Hier würde ich etwas widersprechen. Auf einer allgemeinen Ebene gab es natürlich schon immer Bedürfnisse nach einer Erleichterung der Arbeit, nach einem besseren Leben ohne Hunger, in Gesundheit und nach intellektuellen Erlebnissen, nach Genuss in der Freizeit. Diesen allgemeinen, zeitlosen "Wünschen" folgt m.E. auch die Technikevolution

Di Falco macht klar, dass für ihn technischo-sozialer Wandel kein friktionsfreier, demokratischer Prozess ist. 

Es geht in diesen Aushandlungsprozessen darum, aus heterogenen Motivationen homogene Interessen zu bilden. Das geschieht nicht ohne Konflikte, und es ist ein knallhartes Geschäft mit Gewinnern und Verlierern.

Dabei haben große Konzerne, Unternehmen natürlich eigene Interessen. Dabei wäre es naiv anzunehmen, 

alles werde in den Zentralen von Google oder Apple entschieden. Auch die Nutzer haben ihre Interessen, und das ist einer der Gründe, warum sie sich ein Smartphone kaufen. Sie wollen den Wochenendausflug planen, den Lohneingang auf dem Konto kontrollieren und wissen, ob die Kinder im Bett sind. Jedes Gerät hilft einem, eigene Interessen durchzusetzen. Wenn es wirklich so wäre, dass die Anbieter den technischen Wandel nach ihrem Willen gestalten und durchsetzen könnten, dann gäbe es auch keine Erklärung für die ganzen Fehleinschätzungen und Misserfolge.

Wenn aber die Metapher vom Fortschritt zur Analyse des historischen Prozesses der Gesellschafts- und Technikentwicklung nicht geeignet erscheint, was dann? Es könnte das Bild von den evolutionären Prozessen in der Natur sein - es ist Evolution. Also der Mechanismus der Anpassung an sich verändernde Umgebungen. Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Lösungsansätzen, bei denen wir erst im Nachhinein sehen, welche erfolgreich sind. Der Erfolg muß sich über Versuch und Irrtum erweisen. Aus dieser Sicht würde das Vorsorgeprinzip nicht bedeuten, Lösungen frühzeitig abzublocken sondern verschiedene Lösungen sich im Entwicklungsprozess nach ihren Potentialen und Risiken selektieren zu lassen. Sozusagen das "Survival of the Fittest" im Sinne der darwinschen Evolutionstheorie - das Überleben der am besten angepassten Technik.  

Dazu findet sich gerade in "Soziopolis" eine interessante Rezension zu „Co-Evolution. Die Symbiose von Mensch und Maschine“ von Edward Ashford Lee

Auch hier finden wir eine Absage und eine vorsichtig optimistische Sicht, die digitale Erweiterung des menschlichen Geistes weniger als Bedrohung, sondern als logische Fortsetzung eines evolutionären Prozesses zu erklären.

Bereits auf den ersten Seiten von Co-Evolution fällt auf, dass Lee über Maschinen, Softwaresysteme und KI schreibt, als spräche er von Lebewesen. Sie „altern“, sie sind „lebendig“, sie „sterben“, sie werden „getötet“ (S. 19, 21) – Begrifflichkeiten die für gewöhnlich auf biologische Organismen und nicht auf digitale Systeme angewendet werden. Die Anleihen aus der Biologie sind dabei keineswegs metaphorisch zu verstehen. Lee ist es vollkommen ernst mit der Übertragung evolutionsbiologischer Prinzipien auf Mensch-Maschine-Beziehungen, die für ihn ein „viertes Zeitalter“ in der Entwicklung der Menschheit markieren.

Diese vierte Etappe der Evolution überschreitet die vorherigen biologischen Entwicklungen kohlenstoffbasierten Lebens. Das vierte „synthetische“ Zeitalter der Evolution überschreitet für Lee 

die Grenze zwischen belebter und unbelebter Welt und verbindet die Domäne kohlenstoffbasierter Lebewesen mit der Siliziumwelt der Maschinen. Der entscheidende qualitative Sprung besteht dabei darin, dass die Entwicklung der menschlichen Intelligenz sich nicht länger aus sich selbst speist, sondern zum Effekt der Interaktion mit Maschinen wird, deren genaue Funktionsweise sich zunehmend der Kenntnis menschlicher Akteur:innen entzieht. Genau das beobachten viele mit wachsendem Unbehagen seit der Veröffentlichung von ChatGPT im November 2022.

Diese Sicht auf einen Prozess in dem sich Mensch und Maschine sich wechselseitig in Co-Evolution verändern hat natürlich Folgen auf unsere Erwartungen. 

Ist die Menschheit von einer autonomen Akteur:in zu einem bloßen Spielball technologischer Entwicklungen geworden? Keineswegs. Wir mögen keine volle Kontrolle über die Entwicklung haben, aber wir können mit politischen Maßnahmen und Regulierungen immer noch wenigstens versuchen, sie in die richtige Richtung zu lenken und unerwünschte Ergebnisse zu minimieren. Längst sind wir auch noch nicht so vollständig mit der uns umgebenden Technik verschmolzen, dass ein Überleben ohne sie nicht mehr möglich wäre (das Fortbestehen der Art, wohlgemerkt – nicht das Überleben einer möglichst hohen Zahl von Individuen!). Womöglich kommt es auch nie so weit. Und schließlich sind wir nach wie vor weit davon entfernt, dass Software sich gänzlich abgekoppelt von menschlichem Input selbst fortschriebe und die Menschheit damit letztlich obsolet machte. Immer noch sind Computer genauso auf Menschen angewiesen wie wir auf Computer. 

Daraus ergibt sich natürlich kein idealer Prozess, Anlässe zur Beunruhigung bleiben. Die Konstellation der schnellen Co-Evolution mag für die Gattung nützlich sein. Bei den Einzelnen hingegen wird es Verlierer und Gewinner geben. Aber wir können und müssen versuchen, diese Gefahren abzumildern, 

und die Chancen stehen nicht schlecht, dass uns das auch gelingen wird.


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