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Volk und Wirtschaft

Merit-Order und Übergewinne

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
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Jürgen KluteMontag, 05.09.2022

Meine letzte Empfehlung in dieser Rubrik war ein Artikel von Nina Magoley auf dem Webportal des WDR (Wie der Gaspreis den Strompreis in die Höhe treibt), der erklärt, wie Strompreise zustande kommen und weshalb sie derzeit so rasant nach oben gehen.

Die heutige Empfehlung ist eine gute Ergänzung zu der letzten. Der Artikel kommt aus der Feder – oder treffender: aus dem Keyboard – von Ulrike Herrmann. Sie ist ja nicht nur Wirtschaftsredakteurin bei der taz, sondern auch Buchautorin. Also solche hat sie mehrfach gezeigt, dass sie sich nicht nur mit der aktuellen Wirtschaftslage auskennt, sondern auch über ein fundiertes wirtschaftshistorisches Wissen verfügt. Was sie in diesem Artikel erneut unter Beweis stellt.

Es geht um das Prinzip der „Merit-Order“, nach der der Gaspreis festgelegt wird. Eingeführt wurde sie mit der Liberalisierung der EU-Gasmärkte um das Jahr 2000. Das lässt den Eindruck entstehen, es handele sich hier um ein noch sehr junges Prinzip der Preisfindung. Das ist aber nicht der Fall. In ihrem taz-Artikel erinnert sie daran, dass das Prinzip der „Merit-Order“ bereits auf eine rund 200-jährige Geschichte zurückblickt. Wo, weshalb und von wem es entwickelt wurde, zeichnet Herrmann in ihrem Artikel nach. Auch auf die Schwachstellen, die diesem Prinzip schon immer anhaften, geht sie ein. Und ja: Sie spricht sich auch dafür aus, die durch die „Merit-Order“ bedingten Übergewinne in Form von Steuern den öffentlichen Kassen zufließen zu lassen, um soziale Schieflagen infolge der aktuellen Krise zu kompensieren.

Merit-Order und Übergewinne

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Kommentare 2
  1. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor 2 Jahren

    Ich finde ja das Wort "Übergewinne" nicht ganz so glücklich, das englische "windfall profits", zu Deutsch "Fallobst-Gewinne" ist da treffender, teilweise setzt sich auch "Zufallsgewinne" durch.
    Marx nannte etwas ähnliches seinerzeit "Extraprofite", im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen, die einem Kapitalisten erlauben, deutlich mehr als seine Kosten als Preis zu berechnen. Extraprofite gibt es immer nur für eine gewisse Zeit. Entweder sinkt die Nachfrage, oder das Angebot steigt, oder beides. Dass die Gasnachfrage sinkt, können wir schon beobachten - Habeck duscht kürzer (ich übrigens auch, aber ist natürlich ein Witz) und die Industrie geht auf andere Energiequellen über. Ebenfalls, dass das Angebot mit einem gewissen Erfolg versucht wird, hochzufahren (LNG-Terminals).
    Dieser Anpassungsprozess geht aber nicht beliebig schnell. Im Beispiel des Artikels, Malthus und Ricardos Nahrungsmittelpreis-Prognose, erfolgte das Bevölkerungswachstum immer noch langsam genug, um die Anpassung der Produktivität nicht vollkommen zu übertreffen. Es ist diese Zeit der krassen Fehlanpassung, die das Problem darstellt.
    Und natürlich können wir mit Gasknappheit umgehen - es wird halt nur ungemütlich, sehr ungemütlich. Wir müssen einige Räume in der Wohnung ungeheizt lassen und in den geheizten dicke Kleidung anziehen. Unangenehm sowas, geht aber.
    Der entscheidende Punkt in dieser Lage ist, dass keine Preispolitik der Welt mehr Gas herbeischafft. Preise können nur die Verteilung zwischen den Konsumenten ändern. Bekommen die Haushalte genug Geld, über Extraprofitsteuer und Umverteilung, um das Gas zu kaufen, bleibt weniger übrig für Firmen, so dass nur noch die Gas erhalten, die es bei Strafe der Pleite brauchen.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 2 Jahren

      Die Kernfrage ist doch, ob es tatsächlich eine Gasknappheit geben wird und wie massiv sie sein wird. Das hängt ja von Faktoren ab, die derzeit nur bedingt einzuschätzen sind. Aktuell gibt es jedenfalls keine akuten Versorgungsprobleme.

      In der kalten Jahreszeit wird sich die Situation natürlich verändern. Gibt es einen sehr kalten Winter, muss viel geheizt werden. Gibt es einen milden Winter, dann kommt man vermutlich mit den derzeit wieder ganz gut gefüllten Gasspeicher und einem Verzicht auf eine übermäßige Nutzung von Gas relativ gut durch die kalte Jahresphase. Bekanntermaßen spart auch ein Tempolimit Gas ein.

      Es gibt also durchaus Spielräume, die kurzfristig den Gasverbrauch reduzieren können, ohne dass es zu einem dramatischen Wohlstandsverlust kommen muss. Da geht es immer noch um den kommenden Winter, also um die nahe Zukunft und nicht um die Gegenwart. Gegenwärtig lassen sich die Preissteigerungen ja nicht mit einer Knappheit begründen, denn es gibt noch keine dramatischen Versorgungsengpässe. Die Preise sind also nicht von realer Verknappung, sondern im wesentlichen aufgrund von Spekulationen nach oben geschossen und infolge von Wechselkursveränderungen zwischen Euro und Dollar. Produktionskosten haben sich ja nicht in einem Maße verändert, dass sie die Preissteigerungen begründen könnten.

      Man kann also derzeit noch gar nicht von einer realen Knappheit reden, zumindest nicht, solange noch keine Anlagen still gelegt werden mussten infolge von Gasknappheit. Das ist m.W. bisher nicht der Fall. Gasknappheit steht also bisher nur als Drohung, als Möglichkeit im Raum.

      Die aktuellen Preise sind also künstlich, wie der liberale belgische Premierminister Alexander De Croo seit Monaten immer wieder beton. Diese künstlichen Preise, so De Croo weiter, leeren die privaten wie die öffentlichen Kassen in der EU und füllen die Kriegskassen Putin. #Deshalb hat er bereits im März d.J. einen Preisdeckel an den Börsen vorgeschlagen und eine Reform des EU-Strommarktes (was von der Bundesregierung bis heute blockiert wird). Damit legitimiert der liberale belgische Premierminister Eingriffe in die ehe politisch festgelegte Preisstruktur für Energie.

      M.E. hat dieser völlig richtige Ansatz von De Croo den Charme, dass er private und öffentliche Kassen schont. Damit fällt es leichter, die nötigen Investitionen für einen möglichst schnellen Ausstieg aus fossiler Energienutzung vorzunehmen (was in Belgien ehe schon passiert).

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