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Volk und Wirtschaft

Lässt sich das Wirtschftswachstum von CO2-Emissionen entkoppeln?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMittwoch, 22.09.2021

Diese Frage stellen sich der Ökonom Guntram Wolff, Direktor des Brüsseler Thinktanks Bruegel, und sein Kollege Simone Tagliapietra. Klar ist, in der Geschichte der Menschheit hat Wirtschaftswachstum immer zu höherem Verbrauch von Energie und natürlichen Ressourcen geführt. Und heute machen fossile Brennstoffe 80 Prozent des weltweiten Energiemixes aus.

Grundsätzlich gibt es bei wachsender Weltbevölkerung wahrscheinlich nur zwei Wege aus dem Dilemma – entweder man entkoppelt die globalen Emissionen vom Wirtschaftswachstum oder man beendet das Wachstum der Wirtschaft bzw. man schrumpft sie sogar. 

Basierend auf einer Analyse des Thing Tanks  "Can technology save us from degrowth?" kommen die Autoren dort zunächst zu folgender Schlusfolgerung: 

However, we do not see any likelihood that either advanced or developing economies would accept and implement the radical propositions embedded in the degrowth literature. We also do not think that it is in any way possible to manage degrowth without massive negative welfare effects. On the whole, this therefore points to green growth and the need to confront its current limitations.

Sie sehen die "Degrowth" Diskussion als theoretische Debatte ohne realistische Chance auf eine Umsetzung. Weder die wohlhabenden und erst recht nicht die ärmeren Länder werden sich auf diese Option einlassen. Dazu kommt, das unklar bleibt, was „Degrowth" konkret beinhalten sollte:

There is no exact definition of what ‘degrowth’ stands for. Authors are not always clear on exactly what should ‘degrow’. There are at least five different interpretations: degrowth of GDP, consumption, worktime, the economy’s physical size, or ‘radical’ degrowth, referring to a wholesale transformation of the economic system …. It is perhaps better to say that degrowth covers all these interpretations. 

Wie auch immer: Wirtschaftswachstum ist grundlegend für Wohlstand, für einen Sozialstaat und für Zukunfts-Investitionen oder die Schuldentragfähigkeit. Und die Entkopplung ist schwierig:

Pursuing deep decarbonisation will be challenging. Annual global GHG (global greenhouse gas) emissions keep rising and show no sign of peaking. In 2019, they were 62 percent higher than in 1990, the year of the first Intergovernmental Panel on Climate Change report, and 4 percent higher than in 2015 when the Paris Agreement was signed... Even unprecedented circumstances such as the massive restrictions introduced to contain COVID-19 led only to a 6 percent drop in emissions in 2020, from which a quick rebound to pre-pandemic levels promptly followed.

Aktuelle Prognosen für das Bevölkerungswachstum und das Pro-Kopf-BIP signalisieren, dass die CO2-Emissionen pro Einheit des realen BIP weltweit im Durchschnitt um etwa neun Prozent pro Jahr sinken müsse, um bis Mitte des Jahrhunderts eine Netto-Null-Emission zu erreichen. 

Zum Vergleich: Zwischen 1995 und 2018 sind die weltweiten Emissionen pro Einheit des realen BIP nur um 1,8 Prozent pro Jahr gesunken. 

Also eine gewaltige Herausforderung und die Wissenschaft streitet, ob das gelingen kann.

Insgesamt hängt die endgültige Antwort auf die Frage, ob der Klimawandel bekämpft werden kann, ohne dass das Wirtschaftswachstum aufgegeben wird, von der Bereitschaft ab, die Klimaschutzmaßnahmen massiv zu verstärken. Es wird außerordentlicher Anstrengungen und massiver Investitionen in Technologien und Infrastruktur bedürfen, um die erklärten Klimaziele zu erreichen. 

Was natürlich selbst ein Wachstumsprozess ist. Ein Weg könnte u.a. das sogenannte Konzept der Ökomoderne sein – die weitgehende Entkopplung der Gesellschaft von der Natur. 

Ökosysteme werden in der Regel nicht dadurch geschützt oder verbessert, dass die Menschheit, im Hinblick auf Ernährung und Wohlstand, immer abhängiger von diesen Systemen wird.

Dazu sind auch erhebliche Verhaltensänderungen erforderlich. Besonders in Sektoren, 

die schwieriger zu dekarbonisieren sind, wie Flugverkehr, Landwirtschaft und Landnutzung, ... Verhaltensänderungen können auch die Kosten des grünen Übergangs senken: Die Europäische Kommission schätzt, dass durch Verhaltensänderungen die zusätzlichen jährlichen Investitionen, die erforderlich sind, um den Netto-Nullpunkt zu erreichen, um ein Drittel reduziert werden könnten.

"Grünes Wachstum", da stimmen internationale Organisationen und Regierungen lt. Studie überein, bedarf also einerseits ökologischen Fortschritt durch vermiedene Klimaschäden und andererseits wirtschaftliche Vorteile durch hohe Investitionen und Innovationen.

Lässt sich das Wirtschftswachstum von CO2-Emissionen entkoppeln?

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Kommentare 7
  1. Silvio Andrae
    Silvio Andrae · vor 3 Jahren

    Wir unterscheiden drei Stränge: "steady-state economics", "the new economics of prosperity" und "degrowth". Alle drei zielen darauf ab, eine Vision für eine prosperierende Wirtschaft zu entwickeln, die nicht auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist. Sie befürworten sehr ähnliche Politiken und Institutionen. Die Ansätze unterscheiden sich darin, wie eine nachhaltige und prosperierende Wirtschaft aussehen würde und welche materiellen Lebensstandards unter den Bedingungen von Umweltbelastungen möglich wären. Ziel ist nicht das Nullwachstum (oder ein Rückgang) des BIP. Vielmehr geht es darum, den stofflichen und energetischen Verbrauch innerhalb ökologischer Grenzen zu reduzieren und dann zu stabilisieren. Aufgrund der hohen Kopplung zwischen Ressourcennutzung und Wirtschaftstätigkeit kann es zu einer Stabilisierung (oder einem Rückgang) des BIP kommen, aber das ist nicht das eigentliche Ziel.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eine noch recht junge Forschungsrichtung hinweisen: die ökologische Makroökonomie. Der Schwerpunkt liegt nicht nur auf der Entwicklung neuer analytischer Ansätze zum Verständnis der Ökonomie, sondern auch auf einer normativen Neudefinition des Zwecks der Ökonomie.
    Makroökonomische Prozesse wie Arbeitslosigkeit, Wachstum und Inflation hängen von natürlichen Ressourcen und Produktionsabfällen ab. Umweltschäden fließen in die Makroökonomie zurück. Umweltpolitik kann potenziell kontraintuitive makroökonomische Effekte haben, wie z.B. makroökonomische Rebound-Effekte durch höhere Investitionen. Aus systemischer Sicht muss die Analyse über die Untersuchung der Systeme der Ressourcengewinnung und Abfallwirtschaft an den Grenzen des Wirtschaftssystems hinausgehen. Es sollten die sozialen Prozesse berücksichtigt werden, die indirekt die Umweltauswirkungen beeinflussen, einschließlich der Wirtschaftssysteme Produktion, Handel und Geld.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      Dem würde ich zustimmen. Aber ob man die Zwecke der Ökonomie normativ neu bestimmen kann? Letztendlich prägt m.E. die Evolution der Gesellschaft die Normen. Die Wissenschaft kann da sicher Vorschläge machen. Aber was raus kommt, ob die Normen umgesetzt werden, ist doch offen.

    2. Silvio Andrae
      Silvio Andrae · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Ein zaghaftes Pflänzchen, die Kreislaufwirtschaft, aber ein kleiner Anfang:

      https://www.circular-e...

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      @Silvio Andrae Eine konsequente Kreislaufwirtschaft wäre eine wesentliche Lösung. Im Grunde genommen kann man mit genügend Energie da sehr weit kommen. Energie ist für mich der Schlüssel zu allem.

    4. Silvio Andrae
      Silvio Andrae · vor 3 Jahren

      @Thomas Wahl Sehr gut. Dann soll aus dem Pflänzchen eine Pflanze werden.

  2. Michael Bauer-Leeb
    Michael Bauer-Leeb · vor 3 Jahren

    Vielleicht braucht es auch eine Diskussion darüber, was Fortschritt und Wohlstand im 21. Jahrhundert bedeuten und was innerhalb der ökologischen Tragfähigkeit des Planeten möglich ist. Das schaut im industrialisierten Überfluss westlicher Gesellschaften sicher anders aus als etwa in sogenannten Entwicklungsländern, aber grundlegende Ansätze dazu finden sich etwa bei Kate Jaworts Doughnut Economics oder auch bei Peter Victor (Managing without Growth) und Tim Jackson. Victor und Jackson zeigen etwa anhand von Simulationen verschiedener Entwicklungspfade für die kanadische Volkswirtschaft, dass ein breiteres Verständnis von Wohlstand - Victor spricht von Wohlbefinden, in dem die materielle Komponente (=Wohlstand) nur eine von vielen Rollen spielt - zu besseren ökologischen, sozialen und ökonomischen Ergebnissen führt, als immer nur starr auf das BIP zu starren. Dafür haben sie den SPI (Sustainable Prosperity Index) entwickelt. Die Simulation (Choosing the Future) kann man selbst auch ausprobieren auf https://exchange.isees...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      Natürlich muß man diskutieren, was Fortschritt und Wohlstand im 21. Jahrhundert bedeuten kann oder soll. Man kann es aber in einer Demokratie nicht vorgeben oder gar planen. Es wird sich aus dem Verhalten der Bürger und den Rahmenbedingungen der Natur oder auch der globalen sozialen/politischen Umwelten entwickeln.
      Zum BIP möchte ich sagen, das dort die materiellen Komponenten nur eine der Anteile sind. Es geht um Produkte und Dienstleistungen. Also z.B. Bildung Und Gesundheit ist mit drin. Wohlstand ist eben nicht gleich der materiellen Komponente. Die wird mit wachsendem BIP zunehmend anteilig eher geringer. Insofern ist ein schrumpfen des BIP nicht zwangsläufig notwendig. Eine Entkopplung vom Verbrauch materielller, natürlicher Ressourcen schon.

      Auch solche Modelle sind interessant. Aber man hantiert da natürlich mit abstrakten "Begriffen" und stark vereinfachten Teilstrukturen. Es sagt sich z.B. einfach, bis dann und dann auf regenerative Energien umstellen. Dann passiert dies oder das. Nur ist das technisch/ökonomisch ein nicht gesicherter und offener Prozess. Soziale Systeme sind generell nichtlinear mit etlichen gewollten und ungewollten Rückkopplungen und Nebenwirkungen. Im Modell hat der Sozialismus wunderbar funktioniert. Nur das Menschenbild war wahrscheinlich falsch. Wohlbefinden und Antriebe liegen großteils in den Individuen. Wie auch Vernunft, Unvernunft und die Gefühle/Leidenschaften.

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