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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Wenn Philosophen und Literatur-/Kulturwissenschaftler eine neue Geschichte des Kapitals schreiben (wollen), dann entsteht meist eine abstrakte und intellektuell herausfordernde Vernetzung von Begriffswelten etwas jenseits der Empirie. Von denen man allerdings nicht genau weiß, ob da die Welt den Begriffen und Abstraktionen angepasst wird oder eher umgekehrt. Haben wir es hier mit einer neuen Scholastik zu tun (wie Klaus-Rüdiger Mai in der NZZ nahelegt),
die aus dem Begriff ableite(t), was wirklich sein müsse, und deshalb die Beziehung von Wirklichkeit und Erfahrung einsparen könne. Hans Blumenberg stellte diesen Illusionisten die Realisten gegenüber: «Realist ist, wer eingesteht und zugesteht, was ihm unmöglich passen kann und obwohl es ihm verquer liegt. Realität ist, was das Konzept durchbricht, auch und gerade das einer Ideologie.»
Jedenfalls sollte man nicht zu viele Gewissheiten hinter den Begriffen vermuten.
Lese ich das Interview mit Joseph Vogl (Professor für Neuere deutsche Literatur, Literatur- und Kulturwissenschaft/Medien an der Humboldt-Universität) in "Soziopolis" zu einer neuen "kapitalistischen Ontologie", finde ich zunächst die von ihm gestellten Fragen, etwa zu den Begriffen Basis und Überbau, richtig und spannend. Die Gegenüberstellung von Basis und Überbau scheint
zwar eine klare Sortierung ökonomischer und sozialer Faktoren zu bieten – etwa zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen oder zwischen materiellen Voraussetzungen und irgendwie geistigen Manifestationen. Allerdings wird diese Dualität bei genauem Hinsehen recht unklar und verliert ihre begriffliche Schärfe: Gehört die doppelte Buchführung zur Basis oder zum Überbau? Wohin sortiert man pädagogische Praktiken oder die Disziplinarmächte? Die Thermodynamik und den physikalischen Arbeitsbegriff? Oder die gegenwärtige Informationstheorie? Auf welcher Seite operieren Zentralbanken?
Aus solchen Grauzonen der Zuordnung von realen Prozessen zu konzeptionellen bzw. theoretischen Begriffen, leitet Vogl ab,
dass bestimmte Affektlagen – wie eben das Ressentiment – nicht nur Effekte und Produkte, sondern womöglich auch Ressourcen und Produktivkräfte im Wirtschaftssystem darstellen.
Richtig ist sicher, dass man, je nach Zuneigung oder Ablehnung einer Gesellschaftsdeutung, andere Zuordnungen treffen wird. Und zwar solche, die vermutlich produktiv wirken können oder eben kontraproduktiv erscheinen. Oder sowohl als auch? Vorurteile und Ressentiments spielen immer eine Rolle im Weltbild und daher in der Analyse der Realität. Generell sind solche "Unschärferelationen" nicht wegzudenken, in Demokratien eine der Grundlagen sowie Gründe für politische Auseinandersetzungen.
Ich bin mir nicht sicher, ob mit der Entstehung des Kapitalismus (neben Rationalisierungsprozessen und dem Aufstieg der kaufmännisch rechnenden Vernunft) wirklich
christliche Todsünden oder Hauptlaster wie Geiz, Neid und Verschwendung ... nun produktiv gewendet und von der Feststellung begleitet (wurden), dass sich weniger die Tugenden denn vielmehr ungehemmte Passionen und Begierden als besonders erfinderisch, listig und schöpferisch erweisen.
Sicher ist richtig, dass man Gefühle und Leidenschaften nicht bloß als innerpsychische Regungen begreifen darf. Sie sind in jeder Gesellschaft konstituierend für soziale Beziehungsgefüge, "als eine Art Basis für die Zirkulation sozialer Energie". Das ist nun wirklich nicht typisch für "den Kapitalismus". Auch wenn laut Vogl bereits Adam Smith in seiner Theorie der ethischen Gefühle meinte, die bürgerliche Gesellschaft würde
nicht nur durch einen Kreislauf von Sympathien zusammengehalten. Die Marktgesellschaft wird auch durch diabolische Affekte angetrieben, durch resentment oder ‚Vergeltungsgefühle‘, sofern es in dieser Ökonomie zwangsläufig ums Verdienen, ums Belohnen und Bestrafen geht. Ohne die Mobilisierung von Affekten gibt es keinen einträglichen Geschäftsverkehr, Affekte wären hier also so etwas wie eine produktive Selbsterregung des Systems.
In welcher Gesellschaft war das wirklich anders. Vielleicht im real existierenden Sozialismus, der keine produktive Selbsterregung des Systems hervorbrachte? Jedenfalls denke ich, es waren eher die von M. Weber genannten Rationalisierungstendenzen, der Zusammenhang zwischen protestantischer Ethik und dem Geist des Kapitalismus (die ja auch eine Zähmung der Begierden erfordern) bestimmend. Das macht den Unterschied, auch wenn menschliche Begierden immer wieder durchbrechen ...
Quelle: Joseph Vogl, Martin Bauer www.soziopolis.de
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Ebenfalls ein gutes Gespräch.
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