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Volk und Wirtschaft

In der Komplexitätsfalle?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMittwoch, 05.05.2021
Gerade erleben wir, wie schwierig und komplex es ist ein Land durch schwierige Zeiten zu "steuern". Ein zunächst einfach erscheinendes Problem, ein ansteckendes aber teilweise tödliches Virus zu bändigen, zerfällt in eine Kaskade von tausenden Teilproblemen. Deren Lösung kollidiert wiederum mit tausenden Gesetzen und Regeln, Zuständigkeiten, Interessen, Ansichten und Interpretationen. Es fehlen Informationen, die durch den überbordenden Datenschutz auch nicht einfach beschafft werden können. Die Bürokratien und Entscheidungsebenen agieren langsam, uneinheitlich und übervorsichtig. Das ganze soziale und wirtschaftliche System scheint zu ächzen, Reibungen sowie Streitpunkte nehmen zu und die Unübersichtlichkeiten wachsen.

 Da wird ein Artikel aus dem Jahr 2007 wieder interessant, den "brand eins" – wohl aus aktuellem Anlass – wieder veröffentlicht. Er beginnt zunächst im Politischen. Wenn wir etwa unseren Politikern im Bundesrat oder auf den Konferenzen der Ministerpräsidenten zusehen versteht man besser.
Politiker handeln nicht. Sie verhandeln. Und sorgen dafür, dass das politische System an Überkomplexität erstickt. ... Da kommen die Informationen zum einen in einer Menge, die kein normaler Mensch bewältigen kann. Und zum Zweiten sind diese Informationen politisch vorgefiltert. .....Am Ende des parlamentarischen Aushandlungsprozesses stehen dann Gesetze wie die sogenannte Gesundheitsreform. Also Gesetze, die kaum ein Experte versteht und die den politisch interessierten Bürgern nicht vermittelbar sind. Das ist nicht nur ineffizient, sondern systemgefährdend.

So weit so hart. Doch dabei bleibt es natürlich nicht. Gesetze, die man nicht versteht und deren Wirkungen unklar sind, lassen sich auch nicht zielführend durchsetzen. Was natürlich zu Legitimationsproblemen der Demokratie und des Rechtsstaates führt. Und einfach alles ganz simpel zu gestalten, was man als Ratschlag oft hört, scheint an der Kompliziertheit und Verflochtenheit unserer Gesellschaftsstrukturen zu scheitern. Oder hat Oswald Metzger recht, wenn er meint: 

"Die Politik hat sich selbst in eine Komplexitätsfalle manövriert. Es dominiert das Fachidiotentum." Leute, die den Überblick bewahren, gebe es immer weniger, und im Grunde spürten auch alle, dass "die Summe der Entscheidungen von Fachidioten mit Tunnelblick am Ende nur Mist ergibt". Metzger nennt das die "organisierte Verantwortungslosigkeit, die einfache Wirkungszusammenhänge verkennt".

Wenn Einfachheit ein Garant für Funktionsfähigkeit ist, warum machen wir es nicht wie z.B. Österreich oder Dänemark? 

In Österreich sorgte eine kräftige Entrümpelung des Steuerrechts, verbunden mit einer konsequenten Sparpolitik, dafür, dass es wirtschaftlich deutlich bergauf ging. Dänemark macht mit einem stark vereinfachten Arbeitsmarktrecht die freudige Erfahrung der Fast-Vollbeschäftigung. 

Dazu, meint der Politikwissenschaftler Claus Leggewie, habe unser deutsches System zu viele Vetospieler.

Wenn in Deutschland eine Idee auf dem Tisch liegt, beginnt die Feilscherei. Zum Beispiel das Einkommensteuermodell mit drei Steuertarifen der Weniger-Staat-Partei FDP: 15, 25 und 35 Prozent. Steuerlich absetzbar wäre nichts mehr. Ausnahmen: keine. Punkt. Der durchformulierte Gesetzentwurf hat 33 Seiten, die aktuelle Gesetzgebung 475. Warum nicht so? Oder ähnlich? Aber eben verständlich.

Vereinfachen scheint nötig, aber es ist offensichtlich sehr schwer, die komplexe Wirklichkeit mit einfachen Regeln abzubilden. Und wir Deutschen scheinen auch die Einzelfallgerechtigkeit zu lieben. Also bevorzugen wir Gesetze, die jeden "Spezialfall" abdecken. Die Unübersichtlichkeit wächst dadurch zusätzlich.

"Komplexität zu reduzieren hat den Preis, dass man Ungleichheit und Vielfalt erträgt", .... Denn Vereinfachung ist mit dem Wahren von Besitzständen inkompatibel. Wer Einfachheit will, muss Freiheit zulassen. Die Kehrseite von mehr Freiheit ist mehr Ungleichheit. Und Ungleichheit ist mit deutschen Wählern nicht zu machen. Auch dann nicht, wenn Vereinfachung unter dem Strich den meisten, wenn auch nicht allen, nützt.

Im Prinzip müssten Politiker oft unangenehme Wahrheiten verkünden, was beim Volk nicht gerade beliebt ist. Und so sitzen Volk und seine Politiker in der Komplexitätsfalle – solange bis es kracht?

In der Komplexitätsfalle?

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Kommentare 1
  1. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor mehr als 3 Jahre

    ... das ist ein sehr wichtiges Thema. Betrifft nicht nur Deutschland, sondern auch die EU. Die Finanzmarktregulierung MiFID II umfasst 20.000 Seiten, die natürlich niemand ganz gelesen hat, auch nicht die Verfasser, die in sich Widersprüchlich ist und die niemand versteht.
    In den Naturwissenschaften gelten übrigens die einfachen Modelle als überlegen. Modelle, die möglichst gut zu den Daten passen (in der Sprache der Politik: möglichst viel Einzelfallgerechtigkeit haben), haben oft die Tendenz, zu komplex zu werden. Man spricht dann von "overfitting" und sucht nach einfacheren Modellen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die Politik sich an der Naturwissenschaft ein Vorbild nimmt.

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