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Zeit und Geschichte

Wo sich die Extreme treffen - die ex-linken Neurechten

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDonnerstag, 22.04.2021
In einem spannenden Interview mit dem Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar beleuchten die "Salonkolumnisten" Ellen Daniel und Michael Miersch das Phänomen der 68er ex-linken Neurechten. Warum radikalisieren sich eine nicht unbeträchtliche Zahl altlinker Revolutionäre im Alter (manche auch eher) noch mal nach rechts? Darunter bekannte Namen, oft damalige Wortführer wie Frank Böckelmann, Horst Mahler, Günter Maschke, Reinhold Oberlercher, Bernd Rabehl, Klaus Rainer Röhl,  Rolf Peter Sieferle oder Dieter Kunzelmann. Dazu Kraushaar:
Zwei Fragen scheinen mir in diesem Zusammenhang wichtig: Wann sind diese Männer sozusagen nach rechts gekippt? Und welchen biographischen Hintergrund hatten sie? Der entscheidende Zeitpunkt für ihre Rechtswende war bei den meisten das Jahr 1998. Als SPD und Grüne mit Gerhard Schröder und Joschka Fischer an der Spitze die Bundestagswahl gewonnen hatten, hieß es in vielen Medien: Jetzt sind die 68er an der Macht. Diese Sichtweise war im Ausland noch viel zugespitzter, besonders in Frankreich. Bereits 1998 haben sich die meisten von denen, die Sie aufgezählt haben, öffentlich zum Rechtskonservatismus oder Rechtsextremismus bekannt.
Was die Interviewer zugespitzt zusammenfassen:
Die Linken von 68 kommen nach 30 Jahren an die Macht, worauf ihre einstigen Wortführer in die Gegenrichtung abdrehen… 
Der bekannteste und wohl auch krasseste Fall ist sicher Horst Mahler, der sich von der RAF bis in die NPD "entwickelte". Man kann schon sagen, ein Kreis schließt sich da. Symptomatisch ist, was diese Pole gemeinsam haben: "die Verachtung der liberalen Demokratie, des Pluralismus und des politischen Kompromisses". 

Ob bei Mahler 1998 wirklich Neid eine Rolle spielte, wie Kraushaar vermutet, darüber läßt sich nur spekulieren.
Ich vermute, dass Neid dabei eine Rolle gespielt hat. Neid darauf, dass so jemand wie Schröder plötzlich Bundeskanzler hat werden können. Schröder war wie er Rechtsanwalt. Als Mahler aus dem Gefängnis kam, wo er zehn Jahre als Terrorist gesessen hatte, erstritt ihm Schröder vor Gericht seine Wiederzulassung als Anwalt. Die beiden waren in dieser Zeit eng miteinander befreundet. Mit seinem Artikel in der „Süddeutschen“ hat Mahler eine Art Angebot unterbreitet, strategischer Vordenker für die neue Regierung zu werden. Mahler warnte Schröder davor, den europäischen Weg Helmut Kohls fortzusetzen und appellierte nun an seinen Kumpel, sich auf die deutsche Nation zu besinnen. 
Aber der Wunsch nach politischer Macht und Bedeutung ist m.E. spürbar. Auch interessant der Hinweis auf Rudi Dutschke, den Kraushaar u.a. als überzeugten Anhänger der deutschen Nation sieht. Was sich als Gesinnung bei Mahler dann so anhört:
Er (Mahler T.W.) versucht seine Konversion zum Nationalsozialisten im Nachhinein als folgerichtig darzustellen. Im Berliner SDS, dem er angehörte, habe man nationalistisch gedacht, behauptete er. Seine damaligen Genossen bestreiten dies heftig. Der Frankfurter SDS dagegen sei völlig „verjudet“ gewesen. Damit meinte er den Einfluss der Kritischen Theoretiker Horkheimer und Adorno. Er wolle, so sagte er, sein Denken nun „entjuden“. 
Unklar ist für mich, wie weit der Hinweis trägt, ein guter Teil der hier betrachteten 68er hätten Wurzeln in der DDR, wo die Frage nach der Nation stark im Vordergrund stand. Das Dogma war,
dass die DDR das bessere Deutschland sei, die „gute“ Nation. Das SED- Zentralorgan hieß nicht zufällig „Neues Deutschland“, die Armee „Nationale Volksarmee“ und die Blockparteien traten als „Nationale Front“ zur Wahl an. 
In der heutigen Gesellschaft der Singularitäten (um mit Reckwitz zu sprechen) wächst sicher die Sehnsucht nach Wärme und Gemeinsamkeit. Ob man das von einer Nation erwarten kann, ist mit Recht zu bezweifeln. Sicher gilt:
Sehnsucht stellt in erster Linie ein subjektives Gefühl von Individuen dar. Der Globalisierungsprozess, der sich unter neoliberalen Vorzeichen durchgesetzt hat, steht quer zu allem, was eine Re-Nationalisierung bewirken kann. Wer glaubt, zur Nation zurückkehren zu können, schadet langfristig dem eigenen Wohlstand. Im Übrigen ist die Nation zu groß, um die Wärme abzugeben, die von manchen herbeigesehnt wird.
Menschen sind aus krummen Holz, die Geschichte ist offen, das Interview gelassen reflektiert. Unbedingt lesenswert .....

Wo sich die Extreme treffen - die ex-linken Neurechten

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Kommentare 2
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 3 Jahre

    Ich denke der Ansatz, dass Linke und Rechte (zumindest in ihren extremeren Positionen) zumindest ihre Ablehnung des liberalen Staates der repräsentativen Demokratie teilen, dürfte es am ehesten erklären. und dass Menschen sich eben verändern.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre

      Ja, einiges verändert sich bei den Menschen. Anderes, wie der Wunsch nach Bedeutung und Einfluß nicht. Man will Politik machen.
      .....

      Interessant in dem Zusammenhang das Buch von Th. Wagner: Die Angstmacher.

      "Wer sind die Neuen Rechten? Eine Innenansicht. Mit dem Aufkommen der AfD droht die Neue Rechte breite bürgerliche Schichten zu erfassen. Wer sind ihre Ideengeber, und worin haben sie ihre Wurzeln? Thomas Wagner stellt erstmalig heraus, wie wichtig »1968« für das rechte Lager war, weil es einen Bruch in der Geschichte des radikalrechten politischen Spektrums markiert, der bis heute nachwirkt. Das zeigen unter anderem die Gespräche, die Wagner mit den Protagonisten und Beobachtern der Szene geführt hat, darunter Götz Kubitschek, Ellen Kositza, Martin Sellner, der inzwischen verstorbene Henning Eichberg, Alain de Benoist, Falk Richter und Frank Böckelmann. Wagners Buch liefert eine spannende Übersicht über die Kräfte und Strömungen der Neuen Rechten und ihre Ursprünge. „Nur wer begreift, wie die Akteure wirklich denken, ist in der Lage, angemessen auf ihre Provokationen zu reagieren. Fest steht: »1968« ist nicht nur die Geburtsstunde einer neuen Linken jenseits der Sozialdemokratie, sondern auch die einer Neuen Rechten. Dieses Buch erzählt, wie es dazu gekommen ist.“ (aus der Einleitung)."

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