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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Die Titel sind sprechend: Age of Extremes (Eric J. Hobsbawm), Höllensturz (Ian Kershaw), The Dark Valley (Piers Brendon), Das Europa der Diktaturen (Gerhard Besier). In solchen Darstellungen wird die europäische Geschichte latent in eine Korridorperspektive gezwängt: Der politische Gegensatz von Demokratie und Diktatur zieht sich von der (stalinistischen) Sowjetunion über das Deutschland des (totalitären) »Sonderwegs« hinüber zum demokratischen Großbritannien, nebenan Frankreich, im Hintergrund die USA. Länder jenseits des Korridors, die dieses Bild modifizieren würden, und die zentraleuropäischen, etwas eigentümlichen Demokratien der Niederlande oder Belgiens, die ihre Konflikte damals erfolgreich in »Säulen« gegossen oder in ein permanentes Krisenmanagement transformiert hatten, werden in der Regel ignoriert.Aus der Sicht einer solchen Geschichtswissenschaften ergibt sich fast zwangsläufig das Bild der erneut drohenden Zerstörung der europäischen Demokratien. Zumindest, wenn wir nicht mit sehr dramatischen Aktionen dagegenhalten.
Wieder scheint eine komplexe, multiple Krisensituation moderne Gesellschaften zu überfordern. Damals aufgrund der Folgen des Weltkriegs, von Inflation und der unkontrollierbaren Weltwirtschaftskrise, die im Mittleren Westen der USA mit einer ökologischen Katastrophe einherging. Heute Klimawandel, Kriege und Flüchtlingskrise. Die Zeit politischer Utopie scheint beendet, und mit zahllosen Feuerwehraktionen bekommen die westlichen Gesellschaften ihre Wald- und politischen Brände nur noch mühsam und kurzfristig unter Kontrolle.Dabei sollte, mit Luhmann gesprochen, klar sein, dass man in modernen komplexen Gesellschaften Stabilität nur bedingt erwarten darf. Dank zahlloser Variationsmöglichkeiten lassen sich gegebene Relationen und Strukturen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dauerhaft stabilisieren. Wir werden also mit Friktionen, Instabilitäten und nicht planbaren Übergängen in neue Strukturen leben müssen. Wie können wir helfen, diese mit möglichst wenig Gewalt und totalitären Maßnahmen zu überstehen, fragt m.E. zu Recht:
Indem wir analysieren, wie Brandstifter und Opportunisten schon einmal vorgegangen sind? Oder indem wir diejenigen optimistischen Pragmatiker in den Blick nehmen, die seinerzeit Demokratien am Laufen gehalten haben? Warum gibt es zahlreiche Forschungsprojekte zu Gewalt und antidemokratischen Akteuren, aber keines – oder kaum eines – zur friedlichen Kooperation? Ergibt sich das aus der Sache selbst oder bloß aus heutigen Rezeptionsmustern? Aus der selbstzerstörerischen Dynamik der medialen Aufmerksamkeitsökonomie – Zersetzung »sells« –, an der Lust an multiplen Katastrophen? Wenn wir so betont einseitig auf die Geschichte der Demokratie blicken – warum reden wir uns dann ein, sie verteidigen zu wollen?Das Problem dabei fängt schon bei der Interpretation und den Entscheidungen ab, wann Staaten eigentlich Demokratien sind. Etzemüller weißt mit vielen interessanten Beispiel auf die Unschärfe solcher quantitativer und/oder qualitativer Analysen und Konzepte hin.
Stehen mehrere Parteien zur Wahl? Verhindert ein Staat Wahlbetrug? Ist die Regierung gegenüber dem Parlament verantwortlich? Liegen das Bruttosozialprodukt unter oder über 200 Dollar, der Urbanisierungsgrad unter oder über 50 Prozent, die Alphabetisierungsquote unter oder über 75 Prozent? Sind mindestens 50 Prozent der Erwachsenen – oder der Männer – wahlberechtigt? Schon mit dem Kriterium »universales Wahlrecht« könnte man »die USA erst ab 1920, Großbritannien erst ab 1928 und etwa Belgien, Frankreich und die Schweiz in der Zwischenkriegszeit zu keinem Zeitpunkt als Demokratien einstufen«. Deshalb macht der Politologe Steffen Kailitz für diese Zeit gar keine vollendete Demokratie aus.Die kurze Schilderung von Beispielen unterschiedlicher europäischer Staaten, die sich damals als »Demokratien in einer Grauzone zwischen Scheitern und Überleben bewegen« bewegten, ist sehr lesenswert. Aber bewußt auch irritierend. Ich denke, wir müssen in unseren Auseinandersetzungen zu Demokratie und ihren Gefährdungen einerseits viel differenzierter und genauer werden. Andererseits aber auch skeptischer, irritierter, was unsere schwarz/weiß Narrative und "Feindbilder" betrifft. Und gelassener?
Quelle: Thomas Etzemüller www.merkur-zeitschrift.de
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Ja mir fehlen oft auch die weniger europäischen bzw. angeblich "typischen" Demokratien in der Diskussion.
Belgien. Libyen (als Struktur). Etc.
Wobei ich es immer schon ...witzig... fand, dass als klassische Demokratie eine Monarchie gilt: GB : - )...
Das ist eine einseitige Interpretation. Nur zwei Beispiele: Extreme heißt bei Hobsbawm, dass in keinem Jahrhundert zuvor so viele gewaltsam starben, aber die Menschheit am Ende sich deutlich vermehrt hat. Der Titel von Kershaw bezieht sich auf die Weltkriegszeit, nicht auf das 20. Jahrhundert. Es ist der erste Band.