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Zeit und Geschichte

Über den Leichnam Polens führt der Weg zum allgemeinen Weltbrand

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSonntag, 16.08.2020

Das war Lenins Traum - über die Eroberung Polens zur Weltrevolution. Und es hätte beinahe funktioniert. Aber auch Polen träumte von einem Staat in den Grenzen der Polnisch-Litauischen Union, die sich im 17. Jahrhundert vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer erstreckte. Als Russland 1918/19, durch den Bürgerkrieg zwischen Bolschewiki und Weißen geschwächt, am Boden lag, sich die Truppen der Mittelmächte zurückzogen, wollte man diese Vision in die Tat umsetzen. Unter der Führung Pilsudskis marschierte 1920 die neu formierte polnische Armee los und eroberte mit Kiew die Hauptstadt der Ukraine. Dann wendete sich das „Kriegsglück". Die Rote Armee hatte gelernt, in den von Welt- und Bürgerkrieg verwüsteten Weiten ohne brauchbare logistische Infrastrukturen zu kämpfen.

Leo Trotzki hatte sie zu einer kampfkräftigen Truppe geformt, indem er zahlreichen zaristischen Offizieren ihre Vergangenheit vergab und mit Kommandos betraute. So befehligte der ehemalige Oberleutnant Michail Tuchatschewski inzwischen die vier Armeen der Westfront, die den Hauptschlag gegen die polnischen Verbände führen sollte. In der Ukraine rückte die Reiterarmee des Semjon Budjonny (und sein Politischer Kommissar Josef Stalin; Th.W.)  heran, eines ehemaligen Feldwebels, deren hochmobile und skrupellose Kämpfer Isaak Babel kennenlernte.

Babel erzählt in seinem Buch über die Reiterarmee das Grauen der Kämpfe: 

„Ich reite mit dem Kriegskommissar die Bahnstrecke ab, wir bitten flehentlich, die Gefangenen nicht niederzumachen ... Ich habe nicht in die Gesichter gesehen, sie haben sie erstochen, erschossen, die Leichen mit Leibern zugedeckt, den einen ziehen sie aus, den anderen erschießen sie, Stöhnen, Schreie, Röcheln, den Angriff hat unsere Schwadron geführt.“

Erst kurz vor Warschau konnte der Vormarsch der roten Armeen gestoppt werden. Ein wesentlicher Grund - die Rivalitäten der bolschewistischen Heerführer. Das "Wunder an der Weichsel" war geboren. Dieser Sieg begründete den Mythos Pilsudskis und macht ihn zum starken Mann der polnischen Republik. Am 18. März 1921 wurde in Riga ein Vertrag geschlossen. Der legte die gemeinsame Grenze zwischen 200 bis 300 Kilometer jenseits der Linie fest, die der britische Außenminister George Curzon 1919 als Ostgrenze Polens vorgeschlagen hatte. Stalin hat das nie vergessen:

Als er, längst zum allmächtigen Diktator der Sowjetunion aufgestiegen, im August 1939 in seinem Pakt mit Hitler die Konditionen für die vierte Teilung Polens festlegte, forderte er als Demarkationslinie zwischen beiden Imperien ziemlich genau die Grenze, die Lord Curzon vorgeschlagen hatte. Sie ist bis heute die Ostgrenze Polens.

 Man versteht m.E. die heutige Politik, die aktuellen Ängste der Osteuropäer nicht, ohne diese Geschichte im Hinterkopf zu haben. Die Vergangenheit vergeht wohl niemals ganz .....

Über den Leichnam Polens führt der Weg zum allgemeinen Weltbrand

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