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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Heute ähnelt Britannien dem, der es in den siebziger Jahren schon einmal gewesen war. Die Reallöhne liegen tiefer als vor der Finanzkrise von 2008/09. Die Inflation hält sich hartnäckiger als in vergleichbaren Ländern. Die Zahl der Armen, die auf Nahrungsmittelspenden angewiesen sind, wächst. Streikwellen lähmen Eisenbahnen und Spitäler.
"Der Spiegel" hat vor einigen Monaten eine eindringliche Reportage (hier der Podcast) dazu gebracht.
Lebensmittel werden knapp, Wohnungen verschimmeln, Pflegekräfte flüchten: Ein Sturm fegt über Großbritannien, Millionen Menschen rutschen in die Armut. Eine Reise an den Rand des Erträglichen.
Und natürlich wird allgemein das Problem einseitig darauf zurückgeführt, das die Reichen immer reicher werden und der Neoliberalismus sich eben auswirkt. Der Brexit hat sicher ebenfalls seinen Anteil. Aber wie ist es mit dem Staat, den politischen Eliten und auch mit der Demokratie? Die politische Lage in GB ist permanent instabil. So haben die Torys, seit über 13 Jahren an der Macht, in sieben Jahren zwei Premierminister und zwei Premierministerinnen verschlissen.
Kürzlich haben zwei Akteure des konservativen Regierungslagers ihre politischen Memoiren veröffentlicht. Das ist einmal Theresa May, Innenministerin von 2010 bis 2016 und danach drei Jahre Premierministerin. Der zweite Autor ist der frühere konservative Abgeordnete Rory Stewart, eine Zeit lang Entwicklungshilfeminister im Kabinett von Theresa May.
Unabhängig voneinander schildern sie Innenansichten vom Zentrum der Macht und ringen nach Erklärungen für das britische Malaise. ….. May reiht über ein Dutzend Beispiele von «Staatsversagen» aneinander.
Die NZZ schildert diese Analysen des eigenen Polit-Handelns in den Netzwerken der Macht und das individuelle Erleben der politischen Strukturen. Beide Akteure zeigen, wie schwer es ist, solche alten, traditionell gewachsenen politischen Strukturen zu verändern und wie stark diese zu Unterlassungen und zu Fehlhandlungen beitragen.
May schildert etwa Fälle von Übergriffen durch Amtsträger - Spesenskandale oder sexuelle Belästigungen und Mobbing durch Abgeordnete. Gewichtiger sieht sie wohl Fälle von Machtmißbrauch, bei denen Amtsträger und Institutionen die eigene Interessen höher gewichten als das Gemeinwohl. Immer wieder geht es darum,
dass Autoritäten untätig geblieben sind, wenn sie hätten eingreifen müssen. Ein Beispiel ist die Brandkatastrophe im Wohnhochhaus Grenfell in Westlondon im Sommer 2017, die mehr als siebzig Todesopfer forderte. Wie man mittlerweile weiss, waren bei der Renovation des Gebäudes Bauvorschriften missachtet worden, und Hausverwaltung und Behörden hatten nicht auf Warnungen der Bewohner reagiert. ..… So kritisiert sie das Versagen der Polizeiorganisation in Rotherham im Norden Englands. Zwei Jahrzehnte lang blieben die Ordnungshüter untätig, während eine Bande pakistanischstämmiger Männer Hunderte von Mädchen sexuell missbrauchte und zur Prostitution zwang. Die Angst, als rassistisch verleumdet zu werden, lähmte das Pflichtbewusstsein der Polizisten.
Dabei liegen die Skandalen oft an strukturellen Schwächen des politischen Systems in England, auf die May nicht eingeht - so die Kritik von Markus M. Haefliger in der NZZ. Etwa der britische Zentralismus:
Vielfach – immer für die 85 Prozent von Briten, die in England leben – laufen die Fäden wie seit je im Londoner Regierungsbezirk Westminster zusammen, auch wenn sich die Macht über die Jahrhunderte in vielen kleinen Schritten vom Königshaus zum Parlament und dort vom Besitzadel hin zu den gewählten Volksvertretern verschoben hat.
Das führt dazu, das Subsidiarität der britischen Gesellschaft fremd geblieben ist. Es wird nicht auf der Ebene entschieden, die für das Problem die höchste Kompetenz hat, sondern Westminster hat meist das erste und letzte Wort. Die 400 Gemeindebehörden des Landes sind eher Londons Ausführungsorgane.
In gewissem Sinn sind die Briten Untertanen geblieben. Angestellte und Beamte scheuen sich, nach eigenem Wissen und Gewissen über einen Sachverhalt zu verfügen. Die Folgen sind Schlendrian und Stümperei, die durch ein tiefes Berufsbildungsniveau im Tieflohnsektor verstärkt werden. In England kann man es sehen: ohne Ausbildung kein Berufsstolz, ohne Berufsstolz kein Pflichtbewusstsein.Dafür gibt es immer wieder Beispiele. Wahrscheinlich muß man letztendlich auch den Brexit und seine Durchführung dort einordnen - viel stümperhafter ging es kaum. Das passt auch zu dem Sittenbild, das Rory Stewart schildert. Der charakterisiert die Torys in seiner Unterhausfraktion als "eitle Schaumschläger", die lieber intrigieren als ernsthaft politische Ziele zu verfolgen. Irgendwelche Selbstzweifel sind ihnen dabei aber grundsätzlich fremd, Kompetenz scheint kaum eine Rolle zu spielen. So hätten nur wenige Politiker die technischen Aspekte des EU-Austritts-Vertrags verstanden. Aber es wurde laut für oder gegen sie argumentiert. Ein Volk, das solche Politiker wählt braucht keine Feinde. Dazu kommt - so Stewart - die ungeeignete Struktur der demokratischen Mechanismen:
Der bei Unterhauswahlen geltende einfache Majorz – pro Wahlkreis gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen – verstärkt den Konkurrenzdruck und die Duckmäuserei. Dazu kommt, dass die Exekutive die Gesetzgebung weitgehend allein bestimmt. Der Anreiz für parteiübergreifende Vorstösse fällt entsprechend gering aus. Grossprojekte, über die ein Konsens herrschen sollte, damit sie in der Ausführungsphase von der Politik verschont bleiben, geraten zum Spielball enger Parteiinteressen.
Was dazu führt, das Reformen nur schlecht gelingen, Kompromisse nicht zustande kommen, ständige politische Richtungswechsel an der Tagesordnung sind. Was auch zeigt, des es für eine funktionierende Demokratie nicht reicht ordentliche Wahlen durchzuführen. Auch die Moral, Kompetenz und die Interessen der politischen Klasse und die Struktur der politischen Institutionen sind enorm wichtig. Der Artikel diskutiert daher einige Schritte zu einer Verfassungsreform, die das verbessern soll. Es bleibt die Hoffnung, dass diese Reform gelingt bevor die britische Insel politisch und wirtschaftlich endgültig versinkt.
Quelle: Markus M. Haefliger www.nzz.ch
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Was bitte haben die geschilderten Probleme in Großbritannien mit der aktuellen Situation in Deutschland zu tun? Bläst da jemand ins selbe Horn wie die Springer-Presse und rechte Hetzer?