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Volk und Wirtschaft

Politischer Radikalismus - es ist nicht (zuerst) die Wirtschaftslage!

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlMontag, 17.09.2018

Die beliebteste Erklärung für den Vormarsch der AfD ist letztendlich die ökonomische Lage, die viele „Abgehängte“ und Unzufriedene produziert. Dabei waren noch nie so viele Bürger in Lohn und Brot wie heute, die Arbeitslosenrate ist die niedrigste seit Jahrzehnten, langsam steigen die Löhne wieder, die Ungleichheit der Einkommen stagniert. Es braucht also anderer Erklärungen für das Phänomen des politischen Radikalismus breiter Schichten der Bevölkerung. Schließlich wählten 21% der Arbeiter, 12% der Angestellten und auch 10% der Beamten die AfD. Und so kommen selbst die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung und das Institut der deutschen Wirtschaft zu vergleichbaren Ergebnissen, die wirtschaftlichen Ursachen wurden bisher überbewertet:

„Allein durch wirtschaftliche Schwäche lässt sich der regionale Erfolg der AfD nicht erklären“, heißt es in einer IW-Studie: Ihre westdeutschen Hochburgen habe die Partei in Bayern und Baden-Württemberg, zwei reichen Ländern, während sie im ärmeren Nordwesten von Nordrhein-Westfalen bis Schleswig-Holstein bei der Bundestagswahl über einstimmige Ergebnisse nicht hinauskam. ..

Die Strategie der Altparteien, diese Radikalisierung durch mehr Sozialstaat zu bekämpfen dürfte daher nur bedingt funktionieren. Wenn sich die politische Orientierung vom klassischen Rechts-Links-Schema "(Markt gegen Staat) auf eine kulturelle Konfliktlinie verschoben“ hat, etwa Individualismus gegen Gemeinschaft, werden eher „kulturhistorische, soziokulturelle oder sozialpsychologische Faktoren“ ausschlaggebend. Die Gesellschaft spaltet sich einerseits in "Kommunitaristen“, die die Globalisierung als kulturelle und ökonomische Bedrohung sehen. Auf der anderen Seite „Kosmopoliten“, denen die Welt eher zu klein scheint. Die Nicht-Anerkennung der Sorgen und Weltsichten der "Kommunitaristen“ führt zur Radikalisierung. Fakten spielen nur untergeordnet eine Rolle - hier wie in vielen Teilen Europas.

Politischer Radikalismus - es ist nicht (zuerst) die Wirtschaftslage!

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Kommentare 9
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 6 Jahren

    Das transnationale Wirtschaftssystem, das finanzmarktdominiert ist, bleibt schon entscheidend.

    Dass es kein Ziel mehr gibt, tut sein übrigens.

    Es gibt eine blutige Spur durch die Geschichte der zweiten staatlichen Einheit Deutschlands, die mit dem deindustriellen Osten begann.
    Bereits 1993 schrieb Heiner Müller über die nichtintegrierten Mehrheit der Ostdeutschen:
    "Aus dem dumpfen Schweigen der befreiten Besiegten wächst die blinde Gewalt."

  2. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor 6 Jahren

    Hatte ich vergessen zu schreiben: Interessanter Text mit aufschlussreichen Schlussfolgerungen.

  3. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor 6 Jahren

    Natürlich ist ein monokausaler Verweis auf die ökonomische Lage nicht ausreichend. Aber man sollte sich die Hochburgen der AfD genauer anschauen und nicht allgemein auf die Bundesländer verweisen. In NRW ist die AfD bspw in Gelsenkirchen deutlich stärker als im reichen Münster. Ein nicht unerheblicher Teil der AfD-Wählerschaft wohnt also durchaus in vergleichsweise abgehängten Regionen - Betonung auf dem Wort: vergleichsweise, sprich: gefühlte Benachteiligung, die - und jetzt eine steile These - auch von der politischen Linken noch befeuert wird: Jedenfalls kann ich mir vorstellen, dass die Debatten über Gerechtigkeit auch auf der politischen Rechten wahrgenommen werden. Es gibt da draußen sicher mehr kommunizierende Röhren, als man sich das gemeinhin vorstellt. Hier eine Aufschlüsselung nach Regionen: https://www.welt.de/po...

    1. Ralph Diermann
      Ralph Diermann · vor 6 Jahren

      Interessante These, da ist sicher was dran. Die hohen Zustimmungsraten in Bayern und Baden-Württemberg sind da auch kein Gegenargument, weil die Argumente der politischen Linken zur Gerechtigkeit hier wohl kaum verfangen werden.
      Und noch zu Münster: In Westfalen ist die AfD generell schwach - ebenso war es übrigens die NSDAP (zumindest im landesweiten Vergleich), weil die Zentrumspartei eine so starke Bindungskraft hatte. In seiner westfälischen Ausprägung schützt der Katholizismus offenbar vor der Wahl rechtspopulistischer und -extremer Parteien. Schade, dass das in Bayern anders ist.

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 6 Jahren

      @Ralph Diermann Ergänzend zu Münster: Ja, es gibt das historische Argument. Aber Recht hat auch der aus Münster stammende konservative Politiker Ruprecht Polenz: Die dortige CDU hat nie gegen Minderheiten gehetzt und der AfD damit keinen Nährboden bereitet.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Jahren

      Hier kann man auch noch mal rein schauen: https://www.svr-migrat...

      „Die Befragten ohne Migrationshintergrund sind zu 60 Prozent dafür, weiterhin Flüchtlinge aufzunehmen, auch wenn Deutschland das einzige Aufnah- meland in der EU wäre. Bei den Zuwanderergrup- pen schwanken die Werte: Am höchsten ist die Zustimmung bei den Türkeistämmigen, hier liegt sie noch etwas höher als bei der Mehrheitsbevöl- kerung. Deutlich zurückhaltender sind die Spät-/ Aussiedlerinnen und Spät-/Aussiedler: Hier ist die Mehrheit dagegen. Befragte mit einem Migrationshintergrund aus der EU und der „übrigen Welt“ liegen mit rund 52 bzw. 57 Prozent dazwischen.“

    4. Rico Grimm
      Rico Grimm · vor 6 Jahren

      Der Fehler, den der Text oben macht: Er schaut nur auf heute. Aber die tiefere, mittelfristige Ursache für den Aufstieg der neuen Rechten war die Finanzkrise bzw. die Globalisierung, die manche Regionen deindustrialisiert hat. Hier habe ich das beschrieben: https://krautreporter....

      Aber Kultur spielt natürlich auch eine Rolle, keine Frage. Es ist ein Gemisch an Gründen.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Jahren

      @Rico Grimm Ich glaube, die Finanzkrise wird genau so „überbewertet“ wie die Flüchtlingskrise. Und es wird damit genau so Angst geschürt. Auch war es in Europa zu großen Teilen eine Staatsschuldenkrise. Da ging und geht viel durcheinander. Und es war gewollte Politik, dass sich Millionen Bürger Wohnraum leisten können. Fannie Mae und Freddie Mac waren US staatlich geförderte Unternehmen. Ich warte noch auf eine differenzierte Darstellung dieser ganzen Geschichten ....

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Jahren

      @Rico Grimm Danke für den Artikel ..... Der ist spannend.

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