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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Das Bild von Deutschland als kranker Mann Europas ist zurück. Der ECONOMIST widmet daher den Problemen Deutschlands, wie schon einmal vor 24 Jahren, gleich zwei Artikel – interessanterweise ebenso wie den Problemen Chinas.
Deutschlands Probleme, so die Einschätzung in dem einen Artikel, seien tief in Fehlern der Vergangenheit verwurzelt, sind vielfältig untereinander vernetzt oder verkoppelt und es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sie demnächst behoben werden.
Was sind nun diese Probleme? Deutschland hatte nach 2000, nach der Agenda 2010 bis etwa 2020, einen sehr guten Lauf.
Ein Jobwunder (Beschäftigungswunder), das in den 2000er Jahren begann, erreichte seine volle Blüte, weitgehend ungehindert durch die globale Finanzkrise von 2007-09, als Arbeitsmarktreformen, die von Gerhard Schröder, Kanzler von 1998 bis 2005, eingeführt wurden. Kombiniert mit Chinas Nachfrage nach Industriegütern und einem Boom in den Schwellenländern, konnten so 7 Mio. Arbeitsplätze geschaffen werden. Von Mitte der 2000er bis Ende der 2010er Jahre wuchs die deutsche Wirtschaft um 24%, verglichen mit 22% in Großbritannien und 18% in Frankreich. Angela Merkel, Kanzlerin von 2005 bis 2021, wurde für ihre durchdachte Führung gelobt. Der Populismus der Trump-Brexit-Variante galt als Problem anderer Länder. Deutschlands Sozialmodell, das auf engen Beziehungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern aufbaut, und sein kooperativer Föderalismus, der das Wachstum im ganzen Land ausbreitete, begeisterte viele Kommentatoren, …
Genau diese überdurchschnittliche Leistung verführte zu Selbstgefälligkeit aber sie beruhte auch auf "alten", konventionellen Industrien und sie verschleierte den Mangel an Investitionen in neue Industrien. Diese Selbstgefälligkeit und
der Zwang zur Haushaltsdisziplin haben dazu geführt, dass zu wenig öffentliche Investitionen getätigt wurden, und zwar nicht nur in die Deutsche Bahn und die Bundeswehr. Insgesamt sind die Investitionen in die Informationstechnologie im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt weniger als halb so hoch wie in Amerika und Frankreich.
Dazu kommt ein überbordender Bürokratismus. Eine solche sklerotische Verwaltung ist natürlich ein Hindernis, wenn sich Unternehmen, ja die ganze Volkswirtschaft an eine sich schnell verändernde Weltwirtschaft anpassen müssen. Dazu soll auch noch der gesamte Kapitalbestand, der auf fossilen Brennstoffen basiert, ersetzt werden.
Im Moment dauert es mehr als 120 Tage, bis ein deutsches Unternehmen eine Betriebslizenz erhält, verglichen mit weniger als 40 in Italien und Griechenland. Baugenehmigungen dauern mehr als 50% länger als der OECD-Durchschnitt. Klinische Studien sind so schwierig, dass Biotech-Unternehmen ihre Forschungszentren im Ausland einrichten. Fast 70% der Deutschen denken, dass der Staat überfordert ist.Das Problem dabei – so der Economist – sei nicht der Mangel an Mitteln. Es liegt in der Natur der Verwaltung und an ihren Strukturen selbst. Beobachter zeichnen das Bild einer von Anwälten gesättigten Regierungsstruktur, die aber (gerade deswegen?) unfähig ist, die Politik zu steuern oder auch nur diese Berater richtig zu überwachen.
Olaf Scholz, der sozialdemokratische Kanzler des Landes, hat bisher wenig Interesse an einer tiefgreifenden Reform dieses Staates gezeigt und scheint mehr an Steuerregeln als an mutigen Veränderungen interessiert zu sein.
Drei weitere Problemfelder kommen hinzu – die sich verkomplizierende oder verschlechternde geopolitische Lage, der Klimawandel und die Verpflichtung, Kohlenstoffemissionen zu reduzieren sowie die alternde und schrumpfende Bevölkerung. Auch wenn das für alle entwickelten Länder zutrifft, hat Deutschland doch auch da einige besondere Schwierigkeiten.
Nach dem drastischen Signal aus dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem aggressiveren Auftreten Chinas muss und will der Westen die Lieferketten neu gestalten, um nicht mehr auf einen einzigen, nichtwestlichen Lieferanten angewiesen zu sein. Im Mittelpunkt hier China als globale Werkbank, aber auch als Absatzmarkt und Investitionsort.
Die entstehende Weltordnung wird für Deutschland einige Vorteile mit sich bringen. Unternehmen, die die Produktion wichtiger Vorprodukte, wie z. B. Halbleiter, ins Ausland verlagern oder Fabriken für neue Produkte, wie z. B. Elektrofahrzeuge, bauen wollen, könnten an deutsche Standorte gelockt werden.Tesla, ein Hersteller von Elektrofahrzeugen, hat bereits eine Fabrik in der Nähe von Berlin errichtet und plant, diese zum größten Automobilwerk Deutschlands auszubauen. Intel hat sich bereit erklärt, in Magdeburg (Mitteldeutschland) ein 30-Milliarden-Euro-Chipwerk zu errichten. Am 8. August kündigten tsmc und drei weitere Chiphersteller Pläne für eine 10-Milliarden-Euro-Fabrik in Dresden an.
Diese Investitionen sind allerdings für den deutschen Steuerzahler mit großem Aufwendungen verbunden. Die Bundesrepublik wird Intel rund zehn Milliarden Euro an Subventionen gewähren. Weitere fünf Milliarden Euro gehen an tsmc. Die Politik scheint sich damit in ein globales Subventionsrennen zu begeben.
In der neuen Geopolitik deutet sich auch an, dass die industrielle Produktion möglicherweise nicht mehr die Cash-Cow ist, die sie bisher war. Von allen großen westlichen Volkswirtschaften aber ist Deutschland über den Warenhandel industriell am stärksten mit China verflochten.
Im vergangenen Jahr belief sich der Handel zwischen den beiden auf 314 Milliarden Dollar. Diese Beziehung wurde einst vom Gewinnmotiv bestimmt; jetzt sind die Dinge komplizierter.
So verlieren die deutschen Autohersteller in China gerade den Kampf um Marktanteile gegen einheimische Konkurrenten. Auch dort findet ein Kampf um fortschrittliche Fertigung und robuste Lieferketten statt, gestützt auf
eine Flut von Subventionen zur Förderung der einheimischen Industrie, die entweder deutsche Unternehmen bedrohen oder Subventionen innerhalb der Europäischen Union verlangen wird.
Aufstrebende chinesische Autoproduzenten stellen besonders im Übergang zur Elektromobilität eine schnell zunehmende Bedrohung für Deutschlands berühmte alte Marken – BMW, Mercedes, Porsche, Volkswagen – dar. Heute schon beträgt die Marktkapitalisierung der vier Unternehmen zusammen nur weniger als die Hälfte der von Tesla.
Ähnlich wie bei der deutschen Wirtschaft als Ganzes funktionierte ihr Geschäftsmodell wohl einfach zu gut, um sich dynamisch auf die neuen Bedingungen umzustellen. Die chinesischen Autohersteller hingegen wetteten voll auf die wachsende Nachfrage bei Elektromobilen. Insgesamt
hat China im vergangenen Jahr 2,7 Mio. Fahrzeuge ins Ausland verkauft, viele davon unter den Marken westlicher Automobilhersteller, gegenüber weniger als 400.000 im Jahr 2015. Rund zwei Fünftel davon waren Elektro- oder Hybridfahrzeuge. So hat der deutsche Autovermieter Sixt kürzlich 100.000 Fahrzeuge bei dem chinesischen Hersteller BYD bestellt.
Diese Herausforderung mischt sich mit der ambitioniert vorgetragenen deutschen Klimapolitik, insbesondere mit der Energiewende.
Obwohl Deutschland eines der energieeffizientesten Länder in Europa ist - was bedeutet, dass der Abfall gering ist - verbraucht es aufgrund seiner großen industriellen Basis enorme Mengen an Energie .
Die Industrie in Deutschland benötigt etwa doppelt so viel Energie wie die nächsten großen Standorte Italien und Frankreich. Deutsche Verbraucher haben einen zwar sinkenden aber immer noch viel größeren CO2-Fußabdruck als Franzosen oder Italiener. In der Zeit, als billiges russisches Gas keine Option mehr war, stieg Deutschland endgültig aus der Kernkraft aus. Unterlassene Investitionen in Netze, ein überbordendes Genehmigungssystem, aber auch lokale Widerstände behindern den Übergang zu billiger erneuerbarer Energie und drohen die Industrie weniger wettbewerbsfähig zu machen.
Aber es sind nicht nur Deutschlands Infrastrukturen und die industrielle Basis, die Zukunftssorgen verursachen – die Demografie tut es auch.
Deutschland ist zwar, wie andere auch, ein altes Land aber ein auf besondere Weise altes. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter macht, genau wie in Amerika, 64% der Gesamtzahl aus. Dennoch liegt das Durchschnittsalter Deutschlands bei 45 Jahren, verglichen mit 39 auf der anderen Seite des Atlantiks. Da der Babyboom in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine Kombination aus Hungersnot, Zerstörung und Vertreibung verzögert wurde, gibt es jetzt eine große Zahl von Arbeitnehmern, die kurz vor dem Ruhestand stehen.
Dieses abrupte Ausscheiden geburtenstarker Jahrgänge aus dem Erwerbsleben macht es zunehmend schwieriger, Arbeitsplätze zu besetzen. Das ist eine der größten Sorgen des viel gepriesenen deutschen Mittelstandes. Aber auch das Bundesland Berlin kann nicht einmal die Hälfte seiner Lehrstellen mit qualifiziertem Personal ausstatten.
Ohne Zuwanderung oder mehr Frauen und Ältere wird der Arbeitsmarkt bis 2035 sieben Millionen seiner 45 Millionen Arbeitskräfte verlieren, rechnet Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, einem Think-Tank, vor. Wie er anmerkt: "Die nackten Zahlen sind dramatisch".
Das alles zeigt, damit Deutschland in einer fragmentierteren, grüneren und alternden Welt weiter gedeihen kann, muss sich nicht nur sein Wirtschaftsmodell anpassen. Der ECONOMIST (und nicht nur er) mahnt daher eine Agenda 2030 an. Wie vor zwei Jahrzehnten sollte Deutschland auch heute eine Transformation gelingen.
Quelle: Economist EN www.economist.com
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Hoffentlich sehen wir bald, dass die Investition in IT Basistech auch nicht die Lösung ist, ich denke wir brauchen viel mehr IT gestützte Agrar,-Forst- , Energiespar- und Gewinnungs- Wassergewinnungs- und Spartechnologien, und da ist der Markt noch unterentwickelt und groß
Auch so eine deutsche Krankheit - Bürokratie:
"Auch die beiden Architekten kritisieren das oftmalige Fehlen von Rückhalt und den sich daraus ergebenden Mangel an Rückgrat der Entscheider. Es entsteht der Eindruck, es herrsche bei den Amtsträgern vielfach eine stetige Angst vor Fehlern, die lösungsorientierte Entscheide verhindere. Wo früher ein Gutachten gereicht hätte, müssten nun fünf her, damit sich ein Bürgermeister oder Amtsleiter stets vor der Opposition im Rathaus rechtfertigen könne. Auch das erhöhe den Zeitrahmen für Projekte und treibe die Kosten in die Höhe, ganz zu schweigen von zahlreichen weiteren Hürden im Bau- oder Vergaberecht.
Derzeit sollen in Deutschland knapp 1800 Bundesgesetze und Tausende Verordnungen in Kraft sein. Laut dem Normenkontrollrat (NKR), einem unabhängigen Kontroll- und Beratungsgremium der Bundesregierung, ist der sogenannte laufende Erfüllungsaufwand von Mitte 2021 bis Mitte 2022 um 6,7 Milliarden auf insgesamt 17,4 Milliarden Euro gestiegen. Er falle damit deutlich höher aus als in den vergangenen Jahren. Der Erfüllungsaufwand gibt den Zeitaufwand und die Kosten an, die neue Gesetze Jahr für Jahr verursachen. Der Anstieg sei primär auf die Erhöhung des Mindestlohns zurückzuführen.
Laut dem NKR-Vorsitzenden Lutz Goebel zeigt sich aber auch unter Ausblendung des Mindestlohns ein negativer Trend beim Erfüllungsaufwand. Dabei sollten Wirtschaft, Verwaltung und Bürger gerade in Krisenzeiten von unnötiger Bürokratie entlastet werden. «Es ist an der Zeit, mit neuem Elan und kreativen Ideen auf einen Neustart beim Bürokratieabbau hinzuarbeiten», sagte Goebel. Für Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), wären weniger Bürokratie und effiziente Regulierung ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif."
https://www.nzz.ch/wir...
Das scheint eine neue Debatte zu werden.
Heute war es auch der Aufmacher im FAZ-Feuilleton.
https://blendle.com/i/...
Wichtig zu wissen:
Bereits im April meldete der Paritätische Gesamtverband, dass in den vergangenen 15 Jahren zwar das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt um 46 Prozent gewachsen ist, aber auch die Armut in dieser Zeit stark zugenommen hat.
https://taz.de/Armut-i...
Ungemein erhellend finde ich dieses Gespräch mit Krastev:
Wir sehen nun, dass der Erfolg Deutschlands auf drei Säulen fußte – und die sind alle drei mehr oder weniger gleichzeitig zusammengebrochen. Säule 1: Deutschland hat seine Sicherheit komplett an die USA outgesourct. Nicht in irgendeine Form von Verteidigung zu investieren, bedeutet, dass man glauben will, Soft Power sei entscheidend und Hard Power nicht mehr wichtig. Nun ist der Krieg wieder ein reales Risiko und die USA sind sehr viel weniger verlässlich als früher, und da musste Deutschland Dinge tun, die keiner erwartete, etwa die berühmte 100-Milliarden-Euro-Investition in die Bundeswehr.
Säule 2?
Deutschland hatte sich entschieden, die Wettbewerbsfähigkeit großer Teile seiner Wirtschaft auf billigem russischem Gas aufzubauen. Als es 2014 sehr klar wurde, was Putin umtrieb, sagten die Deutschen: Okay, Putin hat schreckliche Dinge getan, aber er wird auf keinen Fall so weitermachen. Weil es außerdem schwierig war, die Abhängigkeit von russischem Gas zu beenden, entschied Deutschland sich, sie lieber zu verdoppeln.
Die Erdgaspipeline Nord Stream 2
Genau. Nur wenn man überzeugt sein wollte, dass die Welt sich nicht radikal geändert hatte, dann ergab Nord Stream 2 Sinn. Wenn man aber überzeugt war, dass sie sich radikal geändert hatte, dann ergab das überhaupt keinen Sinn, weil es die eigene Verletzbarkeit enorm erhöhte. Und damit kommen wir zu Säule 3, dem Herzen des deutschen Erfolgs: Die Abhängigkeit von einem wachsenden chinesischen Exportmarkt, den es so nicht mehr gibt. Damit sind praktisch alle drei Säulen nicht mehr da. Als Ergebnis ist Deutschland mehr als jeder andere gezwungen, sich neu zu erfinden.
https://taz.de/Ivan-Kr...
Die "WELT" äußert sich zu den Artikeln:
"Den Unterschied macht ein Fragezeichen. Vor fast einem Vierteljahrhundert, im Juni 1999, erklärte das einflussreiche britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ Deutschland zum „kranken Mann der Eurozone“.
Das beschrieb damals die Lage sehr treffend, und die Bundesrepublik brauchte viele Jahre, um das Ruder herumzureißen. Nun schafft es Deutschland erneut auf die Titelseite – mit der Zeile „Ist Deutschland erneut der kranke Mann Europas?“ Immerhin scheint das Magazin diesmal noch nicht ganz sicher in seinem Urteil."
https://www.welt.de/wi...