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Warum die Franzosen nicht mehr arbeiten wollen

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
Zum Kurator'innen-Profil
Theresa BäuerleinDonnerstag, 26.01.2023

Gleich vorweg: Die Überschrift ist eigentlich Quatsch. Denn es geht in diesem Artikel nicht darum, dass die Menschen in Frankreich gar nicht mehr arbeiten wollen, sondern um Proteste gegen die Senkung des Rentenalters. Die Überschrift entspricht dem Original auf Englisch – und das ist auch schon die Erklärung, denn den Text hat eine amerikanisch-französische Autorin geschrieben. Sie kennt sich also einerseits gut mit den französischen Verhältnissen aus, kann aber auch aus eigener Erfahrung mit den USA vergleichen. Aus US-amerikanischer Perspektive sind die Proteste in Frankreich, das schwingt deutlich im Text mit, ziemlich kurios. Weil die Menschen in Frankreich im Vergleich sowieso ziemlich paradiesische Arbeitsbedingungen haben. 

Aber auch für Deutsche ist die Analyse interessant. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will also das Rentenalter auf 64 erhöhen und erntet dafür massiven Widerstand. Die Franzosen leben nämlich viel länger als früher, sodass es derzeit nicht genügend Arbeitnehmer gibt, die in das System einzahlen. 

Die Befürworter einer Reform in Frankreich dürften mehr Spielraum haben als die meisten anderen, denn laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dauert der Ruhestand hier im Durchschnitt etwa 25 Jahre. Das ist einer der längsten Werte in Europa, wo sich der Ruhestand bei etwa 22 Jahren einpendelt, und liegt deutlich über der durchschnittlichen Ruhestandsdauer in den Vereinigten Staaten, wo die Menschen heute etwa 16 Jahre nach Beendigung ihrer Erwerbstätigkeit leben (gemessen ab dem Zeitpunkt, an dem die meisten Amerikaner mit 63 Jahren in den Genuss der Sozialversicherung kommen).

Dennoch sind laut einer neueren nationalen Erhebung achtzig Prozent der Franzosen gegen die Reform. Der Widerstand geht durch alle Schichten und Altersgruppen. Laut der Analyse der Autorin liegt es daran, dass Kapitalismuskritik in der französischen Gesellschaft besonders stark verwurzelt ist – und Solidarität Teil des französischen Selbstbilds ist. 

Obwohl Frankreich ein erfolgreiches kapitalistisches Land ist, steht die Bevölkerung den ungehinderten freien Märkten skeptisch gegenüber. In einer landesweiten Umfrage von 2019 gaben etwa zwei Drittel der Befragten an, dass sie eine "ziemlich schlechte" oder "sehr schlechte" Meinung vom Kapitalismus haben. Die einst mächtige Kommunistische Partei Frankreichs ist heute ein unbedeutender politischer Akteur, aber sie war noch in den späten 1990er Jahren an einer Regierungskoalition beteiligt und ist nach wie vor präsent - die Partei hat immer noch etwa ein Dutzend Abgeordnete in der Nationalversammlung und Hunderte von Bürgermeistern, meist in kleinen Städten.


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